Die Corona-Krise sorgt in Deutschland für den Ausnahmezustand und in den diabetologischen Schwerpunktpraxen ist nichts mehr so wie früher. Die Praxis von Dr. Winfried Keuthage in Münster Praxis will die Versorgung der Patienten auf jeden Fall weiter aufrechterhalten und nutzt hierfür diverse digitale Möglichkeiten:
Was hat sich in Deiner Praxis durch die Virusinfektion verändert?
Wir halten nach wie vor die Praxis offen. Oberstes Ziel für uns ist, das Infektionsrisiko zu minimieren -für unsere Patienten und auch für uns. Wir wollen die Verbreitung des Virus stoppen oder zumindest minimieren, indem wir alle Maßnahmen ergreifen, die geboten sind. Dafür haben wir für unsere Praxisziele formuliert und einen Leitfaden erarbeitet, der die Praxisabläufe neu definiert. So sollen sich z.B. Patienten mit Infektions-Symptomen immer zunächst telefonisch an uns wenden und wir versuchen dann gemeinsam abzuklären, ob ein Risiko vorliegt.
Eine weitere Maßnahme ist ein neuer Hygieneplan, den wir aufgestellt haben und der festlegt, welche standardisierten Maßnahmen zur Desinfektion durchgeführt werden müssen, so z.B. nach jedem Kontakt mit einer Fläche durch einen Patienten oder Mitarbeiter wird desinfiziert und dies stündlich dokumentiert. Alle Patienten müssen beim Betreten und Verlassen der Praxis die Hände desinfizieren.
Zur Vermeidung von Kontaktinfektionen achten wir darauf, dass der Patient in der Regel nichts in der Praxis berühren muss. Weniger dringliche Maßnahmen, wie zum Beispiel das Ausfüllen des Gesundheitspass Diabetes, vermeiden wir.
Um die Versorgung der Patienten sicherzustellen, haben wir zwei Schichten gebildet, die komplett separat arbeiten. Eine Schicht arbeitet mit mir, die zweite Schicht mit einer Kollegin. Sollte eines der Teams sich infizieren und in Quarantäne gehen, kann das zweite Team weiterarbeiten. Natürlich achten wir sehr genau darauf, dass die Abstände zwischen den Mitarbeitern zu den Patienten eingehalten werden und haben dazu die Sprechzimmer entsprechend umgestaltet.
Schwangere haben keinen Kontakt zum Rest der Praxis, weil sie in einem separaten Bereich der Praxis behandelt werden.
Wie reagieren die Patienten darauf?
Unterschiedlich: Es gibt Menschen, die ihr Verhalten gar nicht bis wenig verändern wollen und ihre Arzttermine regulär wahrnehmen möchten. Die Sorgloseren glauben, dass sie nicht betroffen sind, weil sie jung sind und für sich das individuelle Risiko als gering betrachten. Dann gibt es diejenigen, die Angst haben, sie verschieben ihre Termine und meiden die Praxis.
Es gibt aber auch viele Patienten, die das Gespräch suchen. Da wägen wir ab, wie wichtig oder dringlich der Termin ist und ob man alternative Kommunikationswege per Post, E-Mail, Videosprechstunde oder per Telefon nutzen kann.
Thema Videosprechstunde: Welchen Beitrag kann die Digitalisierung zur Bewältigung der neuen Herausforderungen leisten?
Die Corona-Pandemie wird der Digitalisierung in der Diabetologie eine enorme Dynamik verleihen. Auch wenn die Strukturen vielfach noch nicht vorhanden sind, werden wir jetzt quasi dazu gezwungen, die Patienten mit modernen Kommunikationswegen zu betreuen. Wir begrüßen sehr, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband auf die aktuelle Situation reagiert haben und die Begrenzungsregelungen für die Videosprechstunde aufgehoben haben. Mehr dazu finden Sie hier.
Da ist Flexibilität gefragt und für uns kommt in der aktuellen Situation zugute, dass wir bereits in der Vergangenheit Heimarbeitsplätze eingerichtet hatten. Darüber hinaus verfügt unsere Praxis über weitere Laptops, die als E-Mail- und Internet-Laptops eingerichtet sind und komplett getrennt von unserem anderen Praxissystem laufen. Diese Laptops, die für den laufenden Praxisbetrieb entbehrlich waren, haben wir dann innerhalb von einem Tag mit entsprechender Software und Programmen bespielen können. So haben wir aus fünf Homeoffice-Arbeitsplätzen zehn gemacht. Hierdurch haben wir aktuell Kapazitäten für drei Videosprechstundentermine, die wir parallel durchführen können.
Wie hilfreich ist Diabetes-Technologie in der jetzigen Situation?
Was das Auslesen der Daten von Pumpen und Blutzuckermesssystemen betrifft, sind gerade in der jetzigen Situation die Cloud-basierten Lösungen von Nutzen. Die Daten sind online zugänglich, wir können die Glukosewerte gemeinsam mit dem Patienten telefonisch oder per Videosprechstunde besprechen und der Patient muss hierfür nicht zu uns in die Praxis kommen.
Die Corona-Krise zeigt, dass die Digitalisierung in der Diabetologie gerade jetzt viele Chancen für die Sicherung und Verbesserung der Patientenversorgung bietet. Die Entwicklung der Telematik-Infrastruktur muss jetzt mit Hochdruck vorangetrieben werden. Die letzten Wochen sollten jedem klar gemacht haben: Es ist ein Anachronismus, dass die Patienten in die Praxis kommen müssen, um ihre Versichertenkarte vorzulegen, wenn man sie anschließend telemedizinisch betreuen will. Auch das elektronische Rezept würde vieles erleichtern.
Was telemedizinische Leistungen betrifft: Die Aufhebung der Begrenzung von Videosprechstunden ist ein Signal in die richtige Richtung. Allerdings muss auch über die Vergütung dieser Leistungen nachgedacht werden. Sie müssen genauso vergütet werden wie das persönliche Gespräch.
Stichwort Patientenschulung: Welche Auswirkungen hat die aktuelle Situation auf die Schulung?
Auch Diabetesschulungen sind ein Thema. Angebote für digitale Schulungen wie Online-Schulungen müssen dringend ausgebaut werden. Fakt ist: Wir haben Patienten, die ein CGM-System bekommen und die uns fragen, wie wir jetzt die Einweisung machen. Wenn eine solche Einweisung online durchgeführt werden kann, dann wäre das sehr wünschenswert.
Aktuell bieten wir Schulungen nur als Einzelschulung an, und zwar online, per Telefon oder Videosprechstunde. Langfristig ist aber unser Ziel, auch Gruppenschulungen online anzubieten. Wir arbeiten in unserer Praxis derzeit an einem Konzept, Teamsitzungen per Videokonferenz aufzubauen. Im nächsten Schritt werden wir sehen, wie wir das Instrument Videokonferenzen für Online-Schulungen nutzen können.
Welches Resümee ziehst Du aus der Corona-Krise?
Eins steht schon jetzt fest: Corona wird vergehen, aber die Welt wird nach Corona nicht mehr die gleiche sein. In vielen Teilen der Gesellschaft wird es ein Umdenken geben und beim Thema Digitalisierung in der Diabetologie wird es auch einen entsprechenden, einen nachhaltigen Schub geben, der nicht mehr umkehrbar sein wird. Davon bin ich überzeugt!
Lieber Winfried, wir danken für das Gespräch!
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Mit dem DiaChannel Newsletter informiert das Zukunftsboard Digitalisierung mit Unterstützung der BERLIN-CHEMIE AG regelmäßig über digitale Entwicklungen in der Diabetologie.
DiaTec weekly – Mrz 27, 20
Lieber Winfried Keuthage,
auch ich bin davon überzeugt, dass diese Krise einen Anschub in Interesse und Umsetzung für uns bringt.
Da wir ja längst die Telemedizin in größerem Maßstab in unserer Praxis erfolgreich nutzen, haben wir jetzt leider eher mehr Schwierigkeiten mit den Grenzen der Basis digitaler Techniken in Deutschland: alle Welt (Politiker,Firmen, Schulen, private Anwender etc. macht jetzt Videokonferenzen, home office ,webinare etc. Sowohl das Internet im Festnetzbereich (mit WLAN) als auch das mobile Netz (Smartphone) dekompensieren zunehmend. Da private Anwender (hier Patienten) eher geringere Datenvolumina haben, wird es zunehmend schwieriger, Video- und Audio-Dateien up-down zu laden. Besonders betroffen sind die Montage und überhaupt Vormittage. Glücklicherweise haben unsere Videodienstanbieter bei plötzlich hohem Andrang und somit anfänglicher Serverüberlastung extrem schnell reagiert.
Insgesamt finde ich den Interessenanstieg bei den Kollegen toll und möchte appellieren, nicht aufzugeben,wenn es aktuell nicht immer gelingt.
Stattdessen wird es in der Auswertung der Krise für unser Land noch wichtiger sein, mit Hochdruck am Ausbau der digitalen Infrastruktur zu arbeiten.
Alles Gute Dir und allen, Karin Schlecht