Ein Gastbeitrag von Hermann v. Lilienfeld-Toal
Diabetes Technologie, cGM, Pumpen, AID, closed loop, ultrakurzwirkende Insuline, 1 Monat-wirkende Insuline etc. etc., das ist doch alles super. Patienten in großer Zahl profitieren, Folgeschäden des Diabetes gehen zurück, Patienten kommen viel besser mit dem Leben zurecht. Das ist doch gut.
Aber irgendwie bin ich nicht glücklich, weil es im Vergleich zu der großen Zahl der Typ 2 Diabetiker noch immer nur relativ wenige (Typ 1) Diabetiker sind, die davon profitieren. Ja, und ein „paar“ aktive, Insulin-bedürftige Typ-2er.
Lasst uns darüber nachdenken, ob Technologie nicht auch Typ-2 Diabetikern helfen kann.
Wenn wir zuerst einen Blick auf das Messen werfen: Der erste Schritt in der Funktion der Technologie ist es, den Betroffenen mit Information zu versorgen, wie sein Körper dran ist. Bei der Information über den Blutzucker sind wir daran gewöhnt und wissen relativ gut, wie damit umzugehen ist. Bei der Betreuung der Typ-2 Diabetiker tut sich das Problem auf, dass es zahlreiche wichtige Störungen gibt, die wahrhaftig nicht mit der Messung des Blutzuckers allein abgearbeitet werden können. Als Beispiel sei die Gewichtszunahme unter Insulintherapie erwähnt. Es wird nicht selten die Dosis des Verzögerungsinsulins in gutem Willen erhöht, da die Blutzuckerwerte unbefriedigend sind, dafür aber eine Gewichtszunahme bewirkt, die andere wichtige Parameter wie Hypertonie und Hyperlipidämie des in der Regel übergewichtigen Patienten ungünstig beeinflussen.
Die Frage an die Technologie-Entwickler lautet nun: Kann man nicht weitere Parameter des Stoffwechsels, die ebenfalls von Bedeutung sind, messen und dem Patienten zur Verfügung stellen? Blutzucker allein reicht offensichtlich bei vielen nicht aus.
An welche Parameter soll man denn da denken?
Man kann den Typ-2 Diabetes als Symptom des zugrunde liegenden Metabolischen Syndroms ansehen. Dieses ist durch einen Strauß von Krankheitsveränderungen gekennzeichnet, zu denen auch die diabetische Stoffwechsellage des Typ-2 Diabetikers gehört: Erhöhte Blutzucker, Insulinresistenz, erhöhtes Insulin. Weitere Störungen sind Fettleber, Hyperlipidämie, Hypertonie und viszerale Adipositas. Und was hiervon entwickelt einen Parameter, dessen ständiges Messen einen Beitrag zur Gesundung leisten kann?
An dieser Stelle unserer Überlegungen bietet sich die Harnsäure an.
Kurze Exkursion in die dazugehörige Literatur: Immer mehr Erkenntnisse („a growing body of evidence“) zeigen, dass Harnsäure in der Pathogenese der angeführten Auswirkungen des Metabolischen Syndroms eine wichtige Rolle spielt. In früheren Zeiten war die Vorstellung von der Harnsäure folgende: Es ist ein Abfallprodukt, das am Ende des Proteinabbaus erscheint (so eine Art Kreatinin), und das nur noch renal eliminiert werden muss. Wenn man übergewichtig ist, hat man eben eine erhöhte Harnsäure, weil auch viel Gewebe da ist. Wenn jemand keine Gicht hat, muss man sich im Grunde nicht darum kümmern.
Geben Sie zu, dass Sie das auch gedacht haben oder noch denken!
Die Studien zu der Bedeutung der Harnsäure legen aber nahe, dass es sich nicht um ein Abfallprodukt des Stoffwechsels handelt, sondern um einen zentralen Akteur: Sie ist zum großen Teil verantwortlich für die Bildung der Fettleber, für die Insulinresistenz, für die Hypertonie, für eine Leptin-Resistenz mit Gewichtszunahme. Wenn es also gelingt, die Harnsäure zu senken, wendet sich alles zum Besseren.
Aber warum sollte dieser Wert ständig zur Verfügung stehen? Kann man etwas an ihm ändern? Er ist doch ohnehin das Ergebnis des schwerfälligen Purinstoffwechsels.
Und hier die zweite Erkenntnis, die unzureichend in unsere Vorstellungswelt als Betreuer von Typ-2 Diabetikern eingedrungen ist: Glauben Sie nicht, dass Menschen mit erhöhter Harnsäure mehr Fleisch etc. als die mit normaler Harnsäure essen. Es gibt überzeugende Studien, die zeigen, dass Harnsäureerhöhung im Serum mit dem Konsum von Kohlenhydraten, genau genommen von Haushaltszuckern (Glukose und Fruktose), Corn syrup (Glukose und Fruktose), d.h. noch genauer: mit Fruktose (!) korreliert. Gelingt es nun, auf Fruktose zu verzichten, verschwinden die Auswirkungen des Metabolischen Syndroms. Es endet also in einem Einhalten von Kohlenhydratarmer Kost und dem sehr vorsichtigen Umgang mit Obst und Obst-Produkten. Das ist, wie wir aus der Therapie von Übergewichtigen wissen, nicht einfach, unser Gehirn ist gierig nach Glukose, aber auch nach Fruktose.
Wie schön wäre es, wenn sofort erkennbar ist, wie sich das augenblickliche Verhalten auf das Gewicht und den Stoffwechsel auswirkt, und nicht erst – wie es heute ist – nach Tagen oder Wochen auf der Gewichtwaage. Mit der aktuellen Messung kann man sein Gehirn besser in Schach halten!
Da sehe ich einen wichtigen Einsatzort für eine anhaltende Verfügbarkeit eines Harnsäure-Wertes, der durchaus mit der entsprechenden Belastung schwankt. Wenn Sie einen halben Liter Apfelsaft trinken, steigt und fällt parallel zur Glukose die Harnsäure im Serum, so schnell wird die Fruktose in Harnsäure umgewandelt! Und es muss ja als Fruktose-Quelle nicht Apfelsaft sein, man trinkt schließlich nicht immerzu Saft. Haushaltszucker gibt es wahrlich genug in unserer Nahrung.
In anderen Branchen hat sich die Erkenntnis über die Rolle der Fruktose für die Harnsäure schon länger durchgesetzt, aber wer liest schon ständig in den Leitlinien der Deutschen Rheumatologischen Gesellschaft, wo steht, dass bei Gichtpatienten u.a. die Harnsäure dadurch auf Dauer gesenkt werden soll, dass der Betroffene auf Fruktose jeder Art verzichtet.
Aus allem ergibt sich ein Zuruf an die Technologie-Entwickler: Es wäre gut, wenn eine kontinuierliche Messung der Harnsäure bei Typ-2 Diabetikern zur Therapie von unbefriedigend beherrschtem Metabolischen Syndrom zur Verfügung stände!
Fazit von uns: Eine faszinierende Herleitung und ein spannender Gedanke, den wir hiermit gerne als Appell an unsere Leser aus den Firmen weiterreichen wollen. Vielleicht können Sie diese Idee einmal an Ihre Entwicklungsabteilungen weiterleiten? Manchmal braucht es nur einen Menschen mit einer Idee, um Dinge zu verändern, siehe Elon Musk und seine kühnen Entwicklungen allein in der Automobilbranche, die vieles verändert haben, vor allem unsere Art und Weise zu denken. Deshalb ist hier noch ein Zitat von Prof. Lilienfeld-Toal:
„Es erfordert Mut und Konsequenz sich mit diesen Fragen zu beschäftigen und mögliche Antworten zu Ende zu denken.“
DiaTec weekly – August 26, 22
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Mit freundlichen Grüßen
Super Gastbeitrag. Und ich bin sehr gespannt wann und durch wen 😜 die erwähnten Neuerungen den Patienten erreichen werden.
Ihr Thomas Wuttke