Gleich in der ersten Session des alljährlich stattfindenden Diabetes Technology Meetings gab es eine lebhafte Diskussion über zwei verschiedene Betrachtungsweisen zur Qualität der Glucosekontrolle. Der Kliniker und prominente Vorreiter beim Einsatz von CGM, Richard Bergenstal vom International Diabetes Center stellte einen dreistufigen Ansatz zur CGM-Implementierung vor:
- Interpretation des Time-in-Range (TiR) und der Time-below-Range (TbR)
- Analyse des 24-Stunden-Glucoseprofils, um zu ermitteln, welche Glucosewerte außerhalb des Zielbereiches liegen
- Eine neue CGM-gesteuerte Titrationsstrategie.
Der von Bergenstal propagierte „Glucose Management Indikator (GMI)“ dient seiner Ansicht nach als Brücke zwischen der HbA1c-basierten Ära des Glucose-Managements und einer neuen Ära, die auf Nutzung von CGM-Systemen basiert. Bergenstal glaubt, dass perspektivisch weder der HbA1c noch der GMI noch benötigt werden.
Stufe 1: Hierbei werden nur drei Parameter für das Diabetesmanagement benötigt: TiR, TbR (<70 mg/dl) und Zeit in einer schweren Hypoglykämie (<54 mg/dl). Liegt der Fokus auf diesen Parametern, kann eine relative einfache qualitative Charakterisierung genutzt werden, ähnlich wie: mehr grün, weniger rot – und nicht eine komplizierte neunstufige Analysemethode, wie sie z.B. bei den Ambulatory Glucose Profils (AGP)-Berichten verwendet wird. Ziel ist es, dem Nutzer klare und einfache Informationen zur Anpassung seiner Therapie auf einen Blick zu liefern, bei Bedarf aber auch detaillierte Informationen. Die farbliche Darstellung der Analyse des AGP’s für die Zeiten in den verschiedenen Bereichen liefert ja diese Informationen.
Stufe 2: Unter Berücksichtigung des TiR und TbR hilft die Betrachtung des 24-Stundenprofils beim Erkennen von kritischen Zeitbereichen – was notwendig ist, um geeignete Anpassung bei der Diabetestherapie / Verhaltensänderungen zu triggern. Ziel des Klinikers ist das Erreichen eines idealen Glucoseprofils, was „Flach im Zielbereich“ bedeutet, die Abkürzung dafür ist FNIR („Flat Narrow in Range“).
Stufe 3: Basierend auf den Ergebnissen von Stufe 1 und 2 sollen Kliniker dann den folgenden Titrationsansatz verfolgen: „2, 4, 6-8 titrate, titrate, titrate.“ Am Beispiel eines 24-Stunden CGM-Profils zeigte der Redner, wie bei den ersten beiden Visiten eines Patienten Anpassungen bei der Therapie vorgenommen wurden, um das Risiko von Hypoglykämien zu minimieren. Bei den nächsten vier Visiten dieses Patienten ist das Ziel die Minimierung von Hyperglykämien, gefolgt von sechs bis acht weiteren Visiten, um ein ideales FNIR-Glucoseprofil zu erreichen. Dieses Schema basiert auf seiner eigenen klinischen Erfahrung, wobei gesagt werden muss, dass die Vorgehensweise in den USA anders ist als üblicherweise in Deutschland.
Mit David Rodbard und Boris Kovatchev präsentierten anschließend zwei mathematisch ausgerichtete Kollegen ihre Betrachtungsweise zu Parametern, die sich aus CGM-Profilen berechnen lassen und die am Ende wirklich für die Bewertung benötigt werden. Beide Redner vertraten die Ansicht, dass dies nur zwei Angaben sind, auch weil alle CGM-Parameter eng miteinander korrelieren:
- Eine Angabe, die die zentrale Tendenz beschreibt (wie z.B. der HbA1c, TiR, mittlere Glucose (mG)) und
- eine Angabe, die das Ausmaß des Hypoglykämie-Risikos charakterisiert (wie TbR und Anzahl von Hypoglykämien).
In einer aktuellen Publikation der Arbeitsgruppe von Boris Kovatchev und dem Autor dieses Beitrages wurde gezeigt, dass eine deutlich engere Korrelation zwischen dem HbA1c und der TiR erreicht wird, wenn die Glykierungsrate der individuellen Patienten berücksichtigt werden. Basierend auf Datenbanken von klinischen Studien mit AID-Systemen ergab eine Komponentenanlyse von CGM-Parametern, dass die besten Vorhersagen eben durch die TiR und das Hypoglykämie-Risiko möglich sind.
Im einleitenden Vortrag dieser Session vertrat der Autor dieses Beitrags die Position, dass sowohl der HbA1c als auch die TiR benötigt werden! Beide Parameter haben ihre Vor- und Nachteile: Eine ernsthafte Schwäche der TiR ist die mangelnde Standardisierung der CGM-Systeme und die fehlende Evidenz für die TiR. Es werden zwar ständig neue Analysen von Daten zur Korrelation der TiR mit verschiedenen Outcome-Parametern, auch harten Endpunkten, publiziert, es gibt aber keine gezielten Studien dazu. In Anbetracht des dafür notwendigen Aufwandes, sowohl in zeitlicher als auch in finanzieller Hinsicht, kann es gut sein, dass es diese Evidenz nie geben wird.
Fazit: Die fehlende Standardisierung zwischen den CGM-Systemen verschiedener Hersteller erschwert nicht nur die Vergleichbarkeit der TiR-Resultate: CGM-Systeme mit bekannter begrenzter Messgenauigkeit insbesondere im niedrigen Glucose-Messbereich führen zu anderen TbR-Ergebnissen als solche mit einer besseren analytischen Messgüte. Dadurch ergeben sich nicht einfach nur Unterschiede bei den Messwerten – sie hätten auch zu klinisch relevanten Unterschieden bei therapeutischen Entscheidungen geführt. Deshalb ist die TiR bestimmt ein guter Parameter, der auch Patienten relativ einfach zu vermitteln ist, ist aber zumindest aktuell kein Ersatz für den HbA1c.
DiaTec weekly – November 27, 20
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