Bernd Kulzer, Bad Mergentheim und Lutz Heinemann, Düsseldorf
Bei der DiaTec 2022 wurde in einem Partnersymposium die Ergebnisse einer Befragung von 305 Ärzten/Diabetologen und 2417 Diabetes-Patienten präsentiert und diskutiert. Unter Berücksichtigung der Limitationen einer solchen nicht repräsentativen Befragung ergeben sich interessante Unterschiede bezüglich der Erwartungen, Wünsche und Einschätzungen von Ärzten und Patienten. Bei der Interpretation der Ergebnisse gilt es zu berücksichtigen, dass diese Befragung in einer Zeit mit einer weltweiten Pandemie durchgeführt wurde, die einerseits zu einem erheblichen „Push“ bei der Nutzung von digitalen Tools geführt hat („digitaler Alltag“), auf der anderen Seite jedoch wegen der geringeren Anzahl der Arztbesuche auch eine Barriere für die Verschreibung neuer Technologien darstellen könnte.
Wichtiger Forschungszweig
Der systematische Vergleich der Haltung von Ärzten und Diabetes-Patienten ist ein wichtiger Forschungszweig, liefert er doch Hinweise darauf, was Anwender/Nutzer eigentlich wollen. Letztendlich sind die Erwartungen und Wünsche von Diabetes-Patienten eine wichtige Information für Ärzte, um abschätzen zu können, ob das eigene Angebot patientengerecht ist. Der Report weist auf eine skeptischere Haltung bei Ärzten im Vergleich zu Diabetes-Patienten hin, er liefert aber auch gute Aussagen darüber, was diese denken und wie deren Präferenzen sind. Dies gilt es auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Priorisierung von Therapiezielen von Ärzten und Diabetes-Patienten deutlich unterschiedlich ist. Bei der Interpretation der Ergebnisse gilt es auch zu berücksichtigen, dass die Ärzte mit einem mittleren Alter von über 54 Jahren auch eine andere Generation darstellen als viele der Diabetes-Patienten (diese weisen eine deutlich breitere Altersverteilung auf) – genauere Auswertungen hierzu folgen noch. Bei der letzten Befragung war jedoch das Alter der Ärzte ein bedeutsamer Faktor hinsichtlich der Beurteilung von modernen Technologien und der Digitalisierung: Je jünger diese waren, desto eher überwog eine positive Einstellung zu digitalen Themen. Dies kann auch ein Grund für Unterschiede in der Haltung bei „Zukunftsthemen“ erklären – technikaffine Diabetes-Patienten kommen mit digitalen Themen eventuell schneller und einfacher zurecht („die machen einfach“). Hier gilt es die Zugehörigkeit zu den verschiedenen Patientengruppen zu berücksichtigen: Handelt es sich um Patienten mit Typ-1 oder Typ-2-Diabetes oder Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes? Generell haben Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes die positivste und optimistischste Einstellung gegenüber der Digitalisierung, gefolgt von Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes. Interessanterweise gibt es aber keinen großen Unterschied zu den Menschen mit Typ-2-Diabetes, die im Vergleich zu der Umfrage vor 2 Jahren am meisten aufgeholt haben. Auch für diesen Aspekt sind weitergehende Analysen geplant. So kann ein Vergleich von jungen Patienten mit Typ-1-Diabetes (mit und ohne deren Eltern) und der Meinung der Ärzte aus Sicht der Pädiatrie interessante weitere Aussagen liefern. Im gleichen Sinne kann eine getrennte Analyse der Patienten, die ein AID-System jetzt schon nutzen, einen anderen Eindruck vermitteln als die Gesamtgruppe der Patienten.
Positive Einstellung zur Digitalisierung
Insgesamt ist die Einstellung zur Digitalisierung bei beiden Gruppen ausgesprochen positiv, sie ist allerdings mit im Mittel 90,5% bei Patienten positiver als die der Ärzte mit 82%. Eine wirklich negative Haltung haben bei den Patienten nur 2,9%, bei den Ärzten nur 3,3%. Erleichtert sich der Alltag von Patienten durch die Digitalisierung und Diabetes-Technologie? 90,5% der Patienten bejahen dies und erleben bzw. erwarten eine Reduktion von diabetesbezogenen Belastungen – Ärzte zu 82,0%.
Unterschiedliche Einschätzung von AID-Systemen
Als wichtigstes Themenfeld der Digitalisierung werden von Ärzten und Patienten mit Typ-1 bzw. Eltern AID-Systeme betrachtet – nicht jedoch von Patienten mit Typ-2. Die Bedeutung von AID-Systemen aktuell und in 5 Jahren wird von Patienten höher eingeschätzt als von den Ärzten (63,0% vs. 58,6%). Patienten sehen weniger Schulungsaufwand bei AID-Systemen als die Ärzte (46,7% vs. 78,9%) und sie glauben häufiger als die Ärzte (67,7% vs. 62,8%) durch AID-Systeme selbstständiger zu werden. In Hinsicht auf die Annahme, wann AID-Systeme die Standardtherapie bei Patienten mit Typ-1-Diabetes sein werden, gibt es jedoch kaum Unterschiede (Patienten 9,8 Jahre; Ärzte 8,8 Jahre).
Ärzte sind hinsichtlich der Bedeutung und zukünftigen Nutzung von Telemedizin, Apps und der ePA skeptischer
Patienten schätzten die aktuelle Bedeutung der Videosprechstunde (33,8% vs. Ärzte 16,9%), Videoschulung (46,6% vs. 16,9%) und Diabetes-Apps (47% vs. 19,7%) deutlich höher ein als Ärzte. Dasselbe Bild zeigt sich bei der Einschätzung der aktuellen, vor allem aber der zukünftigen Nutzung in 5 Jahren: Videosprechstunde (64,8% vs. 33,6%), Videoschulung (78% vs. 38,1%), Diabetes-Apps (81,6% vs. 68,8%) und der elektronischen Patientenakte (ePA) (75,7% vs. 46,7%). Die Unterschiede sind beträchtlich und zeigen deutlich unterschiedliche Wahrnehmungen von Patienten und Ärzten – ohne Wertung, welche Sichtweise realistischer ist.
Spannende Diskussion
In der Diskussion dieser Ergebnisse (wobei ausschließlich Ärzte und Beraterinnen beteiligt waren) ging es zunächst um den hohen Beratungsaufwand, der insbesondere zu Beginn der Nutzung von modernen technischen Systemen beachtlich ist und der eher schlechten finanziellen Kompensation dafür. Dabei scheint dieser Aufwand in der Zeit danach deutlich abzunehmen, wobei im Alltag der Nutzung immer wieder vereinzelte zeitintensive Probleme auftreten, für die die Ressourcen in den Praxen oft sehr knapp sind. Dies wurde allgemein als eine Barriere der Digitalisierung angesehen. Ebenfalls wurden in der Praxis nicht funktionstüchtige Systeme (z.B. ePA, fehlende Netzabdeckung bei telemedizinischen Anwendungen) beklagt bzw. bei digitalen Gesundheitsanwendungen die fehlende Einbindung von Ärzten bzw. die Integration in die gemeinsamen Therapiebemühungen.
Sehr positiv wurden in der Diskussion die Erfahrungen mit Patienten mit AID-Systemen beurteilt. Erstaunlich viele Patienten, bei denen die Ärzte zu Beginn skeptisch waren bzw. dafür keine Indikation gesehen haben, kamen erstaunlich gut damit zurecht. In der Praxis sind die erreichten Erfolge so beachtlich, dass hier ein Umdenken stattgefunden hat und zunehmend eine Indikation für fast alle Menschen mit Typ-1-Diabetes gesehen wird. Sowohl bei Patienten wie auch bei Ärzten und Beraterinnen gilt es jedoch ein geeignetes Erwartungsmanagement zu betreiben. Bei Ausfall eines AID-Systems müssen die Patienten immer noch fähig sein, eine „konventionelle“ Diabetes-Therapie zu betreiben. Auch ein anderer interessanter Aspekt wurde in der Diskussion beleuchtet: Bei den meisten Fragen sind die Unterschiede zwischen den Patienten-Gruppen im Vergleich zu den Antworten der Ärzte eher geringer ausgeprägt. Dies kann auch als ein Beleg dafür angesehen werden, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes ebenfalls immer aufgeschlossener gegenüber neuen Technologien sind. Einschränkend muss allerdings beachtet werden, dass sehr wenige Menschen mit Typ-2-Diabetes ohne Insulin, welche die Mehrzahl aller Patienten ausmachen, sich an der Umfrage beteiligten. Weiterhin wurde die Frage aufgeworfen, ob die Ergebnisse von Ärzten die primär im Krankenhaus arbeiten, mit denen vergleichbar sind, die in der Praxis arbeiten.
Fazit: Der diesjährige D.U.T.-Report erlaubt aus unserer Sicht klare Rückschlüsse auf Forderungen, die sich darauf ableiten lassen – sei es an die Hersteller, aber auch an die Ärzte und DiabetesberaterInnen. Letztere sollten zur Kenntnis nehmen, dass die Erwartungen von Patienten an digitale Angebote deutlich höher sind als die bisherigen Angebote der diabetologischen Praxis. Praxisinhaber, die digitale Therapiemöglichkeiten fördern, können relativ sicher mit einer positiven Reaktion der meisten Patienten rechnen. Zudem sollten beide Berufsgruppen sich mit geeigneten Fortbildungen und einer digitalen Gestaltung der Praxis und der Arbeitsabläufe auf die Wünsche und Bedürfnisse der Patienten eingehen. Die Forderung an die Politik muss der geeignete Breitbandausbau sein, sonst funktionieren telemedizinische Anwendungen in der Praxis nicht – der Wunsch der Patienten nach der Videosprechstunde und -schulung ist deutlich. Zudem müssen – Stichwort ePA – die Angebote auch in der Praxis stabil funktionieren und kein höheres Datenschutzrisiko für die Praxen beinhalten. In der täglichen Praxis stellen zudem die Länge der Bedienungsanleitungen, die Komplexität der Handhabung der verschiedenen technischen Systeme und die rasche Weiterentwicklung eine klare Herausforderung dar. Diese Handlungsaufforderungen sollten offen diskutiert werden.
Wir hoffen mit dieser Befragung einerseits die Wünsche, Bedürfnisse und Wünsche von Patienten adäquat erfasst zu haben, Ein Blick in die bisherige Literatur zeigt, dass dies viel zu selten passiert, obwohl der Patient doch das Maß all unserer Bemühungen seine sollte. Aber auch die Erfassung der Einstellungen und Erwartungen von Diabetologen gibt ein fundiertes Datenmaterial, welches für die Planung der diabetologischen Praxis der Zukunft wichtig ist. Der Vergleich mit den Ergebnissen der letzten Befragungen kann wertvolle Trends aufzeigen, der Unterschied der Einschätzungen von Patienten und Ärzten hoffentlich spannende und fruchtvolle Diskussionen auslösen.
Hier kann der komplette D.U.T.-Report runtergeladen werden:
DiaTec weekly – Februar 25, 22
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