Was war die diatec 2023 für eine wundervolle Veranstaltung! Selten hat das hybride Format so überzeugt und hat das Beste aus beiden Welten zusammengebracht. Wie schön es doch war, so viele bekannte und neue Gesichter zu sehen, die von Diabetes-Technologie begeistert sind und sich enthusiastisch dafür einsetzen, dass möglichst viele Menschen mit Diabetes davon profitieren.
Allerdings gab es auch ein paar Diskussionen, die eher einen komischen Eindruck von unserer Versorgung und dem Rollenbild von Menschen mit Diabetes im Vergleich zu Ärzten und Ärztinnen hinterlassen haben. Zu verschiedenen Gelegenheiten wurde sich darüber echauffiert, dass Menschen mit Diabetes doch tatsächlich in die Praxis kommen und Fragen zu neuen Technologien oder Apps/DiGAs stellen, weil sie diese im Fernsehen oder sonstigen Medien gesehen haben. Man könnte bei dieser Diskussion manchmal den Eindruck bekommen, dass die ärztliche Zeit das kostbarste Gut bei der Behandlung des Diabetes ist. Dahinter steckt auch ein Rollenverständnis, dass der Arzt den Patienten über sinnvolle Behandlungsoptionen informiert und der Patient ja nicht aus eigenem Antrieb auf den Arzt zugehen sollte. In das Zeitalter von Empowerment und ‚shared decision making‘ mag das nicht so wirklich passen.
Natürlich muss man sagen, dass Fernsehwerbung über Diabetes-Technologie nicht wirklich etwas mit Empowerment zu tun hat und das auch ganz sicher nicht das Motiv dahinter ist. Doch hat diese Fernsehwerbung nicht auch entscheidend dazu beigetragen, dass wir heute die CGM-Nutzungsrate haben, die wir eben haben – bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes – Stichwort: „the tide lifts all boats“? Eine Technologie, die unzweifelhaft zu besseren Behandlungsergebnissen führt. Zudem wächst die Literatur, dass CGM auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes mit BOT (doi:10.1001/jama.2021.7444) und sogar bei Typ-2-Diabetes ohne Insulin effektiv ist.
Ist es da noch gerechtfertigt sich über den Zeitaufwand zu beschweren, wenn Menschen mit Fragen zu diesen Systemen in die Praxis kommen? Zu einem gewissen Maß – natürlich, denn der Praxisablauf unterliegt auch anderen Vorgaben und gerade für Schulung der Technologien gibt es keine Vergütung – aber eine differenzierte Auseinandersetzung angesichts aktueller Literatur und modernem Rollenverständnis wäre wünschenswert. Vor allem wäre es wünschenswert, wenn diese Diskussion nicht auch auf andere Themen wie Smartpens und DiGAs übertragen werden würde.
Dass die Versorgung mit neuen Technologien, gerade CGM und AID, erst einmal mit einem erhöhten (Schulungs-)Aufwand einhergeht, kann wohl jeder aus dem Diabetes-Team bestätigen. Aber: Würde man nicht auch sagen, die Ergebnisse scheinen den Aufwand zu rechtfertigen – vor allem, wenn Patient*innen eine innere Motivation haben und sich dafür interessieren? Sollte es uns daher nicht freuen, wenn viele Menschen diese Technologien auch nutzen möchten. Dass dieser Aufwand auch entsprechend vergütet werden muss, gerade auch für Schulungsangebote, steht außer Frage – aber das ist nochmals ein anderes Thema.
Was ist also der Sinn dieses Schreibens? Zum einen der, sich mal Luft zu machen über die nicht-zielführende Diskussion über Fernsehwerbung für Diabetes-Technologien. Vielleicht auch der, dass wir uns manchmal mehr bewusst machen sollten, dass ‚shared decision making‘ nicht erst mit der Initiierung durch den Arzt/die Ärztin beginnen sollte, sondern durchaus auch von den Menschen initiiert werden kann, um deren Behandlung es schließlich geht. Schließlich haben auch unsere Patient*innen das Recht, mit Therapievorschlägen zu kommen.
Fazit: Wir begrüßen diesen Text und nehmen ihn zum Anlass, einmal darüber nachzudenken, ob Patienten überhaupt gemeinsam mit ihrem Arzt entscheiden wollen? Gemeinsame Entscheidungen brauchen auch aktive PatientInnen, denn shared decision making sieht für alle Beteiligten eine aktive Rolle in den Entscheidungsprozessen vor: Der Arzt bleibt natürlich der Experte für alle medizinischen Belange, berücksichtigt aber die Werte, Lebensumstände und Wünsche des Patienten, der wiederum diese relevanten Informationen auch austauscht. Die Bertelsmann Stiftung hat zwischen den Jahren 2001 und 2012 jährliche Befragungen durchgeführt und dabei zeigt sich: Mehr als jeder Zweite (55%) wünscht sich eine gemeinsame Entscheidungsfindung. Lediglich 23% bevorzugen das paternalistische Modell, wonach der Arzt allein entscheidet. Lediglich jeder Fünfte (18%) favorisiert das autonome Konzept und entscheidet lieber allein.
DiaTec weekly – Februar 10, 23
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