Wie schätzen Sie das Potenzial für die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung in Deutschland ein?
Durch die Digitalisierung bieten sich in unserem Gesundheitswesen vielfältige Möglichkeiten und Anwendungsfelder: Durch telemedizinische Leistungen können spezialärztliche Versorgungsangebote leichter auch in dünn besiedelten Regionen zugänglich werden, digitale Anwendungen können Therapien oder die Pflege unterstützen, durch Patientenakten können Versicherte ihre Gesundheitsdaten anderen Leistungserbringern oder der Forschung zugänglich machen und so die Versorgung verbessern. Für all das ist die Akzeptanz der PatientInnen die Basis. Die Akzeptanz wollen wir GRÜNE durch die Stärkung der digitalen Souveränität der Versicherten und verlässliche Datensicherheit fördern. Zudem ist eine Strategie für die Digitalisierung im Gesundheitswesen notwendig, um klare Meilensteine, Prioritäten und Verantwortlichkeiten zu bestimmen. Eine solche Strategie muss gemeinsam mit den NutzerInnen entwickelt werden. So ist sichergestellt, dass die Digitalisierung sich insbesondere an den Interessen der PatientInnen und ihrer Versorgung orientieren.
Die Verfügbarkeit medizinischer Daten ist für die Weiterentwicklung der Medizin von herausragender Bedeutung. Wie wollen Sie die Verfügbarkeit derartiger Daten für die Forschung verbessern? Welche Rolle soll der einzelne Bürger dabei einnehmen?
Wir GRÜNE wollen die digitale Souveränität der BürgerInnen stärken. Sie sollen entscheiden, ob sie ihre Gesundheitsdaten für die Forschung zur Verfügung stellen wollen und zu welchem Zweck. PatientInnenbeteiligung soll auch bei Forschungsvorhaben, wo immer möglich, von vornherein und im gesamten Prozess gewährleistet werden. Eine frühzeitige Einbindung in Forschungsprozesse ist zu fördern, außerdem eine dezentrale Forschungsdateninfrastruktur. Die Daten sollen nach offenen Standards, mindestens unter den so genannten FAIR-Kriterien und in der Regel am jeweiligen Ort ihrer Erhebung mit einheitlicher Semantik und Syntax gespeichert werden. Eine zentrale Stelle soll eine Übersicht über verschiedene Datenpools liefern. PatientInnen müssen darüber informiert werden, was mit den sie betreffenden Daten geschieht und unter welchen Rahmenbedingungen sie von wem wofür genutzt werden. Die konkrete Ausgestaltung könnte sich an der finnischen „Findata“ orientieren, die vergleichbare Aufgaben wahrnimmt. Die Förderung der Datenqualität und Nutzbarkeit von bereits verfügbaren Daten sollte jedenfalls im Vordergrund stehen, um aussagekräftige Ergebnisse zu produzieren.
Zentrale Rolle der Gematik ist es, Standards für den Einsatz digitaler Technologien zu definieren. Wie operativ soll/ sollte sich die gematik als staatliches Unternehmen zukünftig am Markt positionieren?
Die Rolle der Gematik hat sich in der letzten Legislaturperiode erheblich verändert. Es ist gut, dass sie selbst als Akteur deutlich erkennbarer geworden ist, programmatische Positionen bezieht und transparenter auftritt und sich nicht hinter ihren Gesellschaftern versteckt. Auch die stärkere Einbindung von PatientInnen und weiterer Stakeholder ist wichtig, um Vertrauen zu schaffen. Ordnungspolitisch ist einiges stark verbesserungswürdig: Faktisch gehört sie dem Bund, wird aber überwiegend aus Mitteln der BeitragszahlerInnen der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert. Rechts- und Fachaufsicht durch das Gesundheitsministerium verschwimmen. Sie ist überdies demokratischer Kontrolle durch den Gesetzgeber weitgehend entzogen. Wir GRÜNE halten eine Digitalagentur für das Gesundheitswesen weiter für nötig. Gleichwohl ist eine solche Rolle schwer vereinbar mit einem Akteur, der selbst Anwendungen auf den Weg bringt, der gleichsam VerkehrspolizistIn und VerkehrsteilnehmerIn in einem ist. Aus unserer Sicht ist es daher für die nächste Legislaturperiode zentral, neben einer Strategie auch eine neue Governance für die Digitalisierung zu entwickeln.
Wie sieht eine Alternative zur bestehenden DRG-basierten Krankenhausfinanzierung aus und welche Rolle werden dabei Patienten-Outcomes spielen?
Wir GRÜNE werden eine Reform der DRGs auf den Weg bringen. Dazu gehört einerseits eine ergänzende Säule zur Finanzierung von nicht an die Fallzahl gebundenen Vorhalteleistungen. Davon können besonders kleine bedarfsnotwendige Krankenhäuser, Kinderkliniken und pädiatrische Abteilungen sowie die Notfallversorgung profitieren. Zudem sollen die DRG-Fallwerte sich stärker an der Versorgungsstufe des jeweiligen Krankenhauses orientieren. So können die Betriebskostenunterschiede zwischen den Krankenhäusern der unterschiedlichen Stufen besser abgebildet werden. Auch die Qualität muss in den DRGs eine stärkere Rolle spielen. Dies gilt etwa für die Strukturqualität aber auch für die Prozessqualität von Leistungen. Bei der Ergebnisqualität haben wir hingegen Zweifel, da hier Anreize zur Risikoselektion entstehen könnten.
Mit welchen Maßnahmen planen Sie die digitale Gesundheitswirtschaft in Deutschland zu stärken? Braucht es zur Absicherung der Investitionsfähigkeit in digitale Infrastruktur eine Fortführung bzw. Ausweitung des KHZG?
Seit Jahrzehnten fehlen den Krankenhäusern notwendige Investitionsmittel. Unser Ziel ist eine Reform der Investitionsfinanzierung. Wir streben eine gemeinsame Investitionsfinanzierung von Bund und Ländern an. Im Gegenzug zu seiner finanziellen Beteiligung soll der Bund auch Standards und Prinzipien für die Krankenhausplanung definieren. Durch eine reformierte Investitionsfinanzierung sollen die Mittel auskömmlicher und verlässlicher fließen. Das hilft auch der Digitalisierung, denn der Investitionsbedarf in diesem Bereich wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen.
Der DVG-Fast Track wurde konzipiert, um digitale Innovationen schneller in die Regelversorgung zu überführen. Wie bewerten Sie den Fast Track? Sollte er abgeschafft oder gar auf andere Anwendungsbereiche innerhalb der Medizin ausgeweitet werden?
Ein zügiges Zulassungs- und Nutzenbewertungsverfahren halten wir bei digitalen Anwendungen grundsätzlich für sinnvoll. Durch die sehr kurzen Innovationszyklen bei solchen Anwendungen ist das naheliegend. Dieses sehr schnelle Verfahren ist jedoch bei Medizinprodukten höherer Risikoklassen sowie bei neuen Behandlungsmethoden oder neuen Arzneimitteln nicht geeignet, da hier Aspekte der Nutzen-Risiko-Bewertung ein deutlich höheres Gewicht haben müssen.
Quelle: hih (health innovation hub) des BMG
DiaTec weekly – September 10, 21
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