von Imke Schmitz-Losem, Mönchengladbach; Andreas Karch, Hockenheim; Lutz Heinemann, Düsseldorf
Bei der Diabetestherapie von Patienten mit Typ-1-Diabetes geht der Trend eindeutig zur Nutzung von Systemen zur Automatischen Insulindosierung (AID). In Deutschland sind aktuell einige (Hybrid-) AID-Systeme auf dem Markt, ein weiteres wird vermutlich bald dazu kommen. Von seinen Eigenschaften her wird dies auch Patienten mit Typ-2-Diabetes ansprechen, wobei AID-Systeme in Deutschland aktuell keine Kassenleistung darstellen, da eine Kostenübernahme für die Insulinpumpe grundsätzlich nur Patienten mit Typ-1-Diabetes vorsieht. AID-Systeme benötigen neben den „festen“ Komponenten wie rtCGM-System, Insulinpumpe und Steuerungsgerät mit Algorithmus (kann auch ein Smartphone sein), einiges an Verbrauchsmaterial wie Glucose-Sensoren, Insulininfusionssets, Batterien etc. Insgesamt ist dies ein „Apparatepark“, der in der Anschaffung und im Unterhaltsaufwand alles andere als günstig ist. Zudem wird in einem enormen Ausmaß Plastik- und Elektronikmüll generiert, was zusätzlich erhebliche Kosten verursacht.
Dabei ist die Kostenübernahme wohl kein unüberwindbares Hindernis. Es gilt für die Diabetologen fleißig Anträge zu schreiben und gut zu begründen, warum ein Patient dies benötigt – und dann läuft es wohl in den meisten Fällen. Die Vorteile für die Patienten in Hinsicht auf eine deutlich höhere Sicherheit mit weniger Komplikationen und mehr Zeit pro Tag mit guter Glucosekontrolle sind eindeutig nachgewiesen. Die Frage aus dem Blickwinkel der gesetzlichen und privaten Krankenkassen ist dennoch, was die Nutzung von AID-Systemen insgesamt betrachtet bringt und wie es mit der Evidenz aussieht?
Nun ist dies eine Frage, die bei der Bewertung des Nutzens von real-time-CGM-Systemen vom IQWiG als Ergebnis eines längeren Bewertungsprozesses mit gründlicher Analyse der klinischen Studien positiv beantwortet wurde. Bei AID-Systemen als Kombination von verschiedenen Medizinprodukten hat es diese Bewertung nicht gegeben, vermutlich wäre die Datenlage für eine „Neue Untersuchungs- und Behandlungs-“ (NUB)-Bewertung“ auch nicht ausreichend gewesen. Die Beantwortung der Frage nach einem nachgewiesenen Mehrwert gegenüber vorhandenen Arzneimitteln ist Standard für die Kostenerstattung bei Arzneimitteln und kann dann gegebenenfalls zu einer höheren Kostenübernahme führen. Ansonsten gibt es nur den Preis aus den jeweiligen Festbetragsgruppe.
Es gibt allerdings grundlegende Unterschiede zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten. Während Arzneimittel nach der Zulassung über lange Zeiträume praktisch unverändert bleiben, ist die Situation bei Medizinprodukten deutlich anders: Es gibt gerade bei AID-Systemen eine ständige Weiterentwicklung der Einzelkomponenten und die Entwicklungen neuer technischer Optionen und die „Zulassungsgeschwindigkeit“ neuer Produkte laufen nicht parallel. Wenn vorhandene Produkte miteinander kombiniert werden oder mit einer Software verbunden werden, muss auch eine neue Zweckbestimmung für diese Produkte festgelegt werden. Praktisch jährlich kommen neue Generationen bei der Hardware (CGM-System, Infusionspumpen, Infusionssets etc.) auf den Markt und auch bei der Software gibt es permanente Updates, z.B. Anpassungen bei den Algorithmen, Beseitigung von Bugs und Fehlern, etc. Software-Updates, die der Sicherheit dienen, muss der Hersteller kostenfrei zur Verfügung stellen, Software jedoch, die neue Funktionalitäten aufweisen, bzw. eine neue Zweckbestimmung haben, sollten auch vergütet werden.
Bei klinischen Studien gilt es, für die Dauer der Studie die Bedingungen möglichst konstant zu halten, was wiederum realitätsfremd ist. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass von Studienbeginn bis Studienende (und Publikation) einer Studie einige Jahre vergehen. Dann sind die untersuchten AID-Systeme längst nicht mehr aktuell und möglicherweise nicht mal mehr verfügbar! Was ist dann mit den Studienergebnissen, gelten die dann noch? Ist dies überhaupt ethisch oder eine Verschwendung von Geldern? Die wissenschaftliche Evidenz für ein Medizinprodukt fällt nicht vom Himmel, sondern muss den Regeln der „Prüfbehörden“ entsprechend erhoben werden, gerade bei Produkten einer hohen Risikoklasse und dazu zählen AID-Systeme. Evidenzstudien benötigt grundsätzlich nur der Gemeinsame Bundesausschuss, wenn es um eine NUB-Bewertung geht. Bei der Listung der Produkte reicht es zunächst aus, wenn deren Funktionalität und Sicherheit anhand der CE-Markierung nachgewiesen werden. Was aber immer mehr zusätzlich gefordert wird, sind echte-Real-World-Studien, die diese beiden Komponenten bestätigen. Die Generierung von Evidenz ist weiterhin mit erheblichen Kosten verbunden.
Eine andere Möglichkeit, die „Evidenz“ z.B. für ein Medikament oder Therapieansatz zu charakterisieren ist die Durchführung von Meta-Analysen. Hier werden die Ergebnisse einer Reihe von möglichst passenden Studien zusammengefasst. Bei AID-Systemen führt dies aber dazu, dass Studien-Ergebnisse, die mit den Algorithmen, CGM-Systemen, Insulinpumpen etc. von vor fünf Jahren ermittelt wurden, mit denen von aktuellen AID-Systemen zusammengepackt werden, ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen! Ein anderes Problem ist, dass viele der Studien mit AID-Systemen nicht als randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt wurden (wie sie bei der Arzneimittel-Prüfung Standard sind), was teilweise aus praktischen und ethischen Gründen schwierig ist. Solche unkontrollierten Studien mit teilweise kurzer Studiendauer und kleiner Stichprobengröße haben dann auch nur einen niedrigen Evidenzgrad. Große, randomisierte und kontrollierte Studien werden vermutlich dann benötigt, wenn es um eine „Vollautomatisierung“ der AID-Systeme geht, um den Nachweis zu erbringen, ob eine automatische Abdeckung des mahlzeitenbezogenen Insulinbedarfs weitere Verbesserung der Glucosekontrolle bringt? Dazu zählen auch AID-Systeme, bei denen nicht nur Insulin appliziert wird, sondern auch Glucagon.
Einen anderen Ansatz verfolgen die Hersteller von AID-Systemen. Sie sammeln in ihren Datenbanken eine Vielzahl von Informationen zum Alltag der AID-Nutzer und behaupten, dies spiegele die klinische Praxis wieder. Solche Art von „Real-World“-Studien haben aber allerdings methodische Schwächen und sind vielfach nur reine Datensammlungen, bei denen nicht klar ist, wie die berichteten Daten selektiert wurden. Um hier eine bessere Evidenz zu erzielen, bräuchten wir Studien, bei denen in den Diabetes-Schwerpunktpraxen betreute Patienten, die die Produkte nutzen, die Daten dazu dokumentieren und dies ärztlicherseits bestätigt wird.
Fazit: Wie werden die Krankenversicherungen beim Thema Kostenerstattung von AID-Systemen reagieren!? Wie sollen diese den „richtigen/angemessenen“ Preis bemessen? Dabei handelt es sich um Vertragspreise, die der Anbieter des Medizinproduktes mit den Krankenkassen verhandelt hat. Für die Krankenversicherungen ist vielfach wohl gar nicht so sehr der Preis von AID-Systemen ein Problem, sondern die Häufung von Anträgen innerhalb einer noch bestehenden Gewährleistung. Die jeweiligen Einzelkomponenten („stand alone“-Produkte) kosten zusammen fast so viel wie ein AID-System. Im Endeffekt wird es auf einen gesellschaftlichen Diskurs hinauslaufen über die Frage, wie viel ist uns eine gute Glucosekontrolle der Patienten mit Diabetes wert und woran wollen wir dies messen?
DiaTec weekly – Februar 18, 22
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Mit freundlichen Grüßen
Die Autoren werfen die wichtige Frage auf, wie sich in einer schnell wandelnden Tech-Welt von Innovationen zuverlässige Nachweise der Sicherheit und Effizienz erbringen lassen , insbesondere mit konventionellen Methoden. So weisen sie Randomisierte Studien (RCT), genauso wie Metaanalysen hier auf die Hinterbank und sehen in Real-World-Daten (RWD) der Firmen eher nutzlose Datensammlungen. Nur Praxen könnten Daten von realen Patienten liefern, für „Echte-Real-World-Studien“ Aber was ist das genau? ( ‚real‘ bedeutet ‚echt‘ also doppelt ‚echt‘?) Zweifel sind angebracht, ob das ohne Confounder und Bias geht und ausreichend rasch.
Es gibt immer noch eine veraltete Vorstellung, dass RCT’s wegen der Kosten, des Aufwands und der kurzen innovativen Zyklen in der modernen Digitalwelt , bei Software und Medizinprodukten von Nachteil sind und RWD die Lösung sind. Doch bei ihnen kann der Aufwand, sogenannte Confounder zu sammeln und statistisch zu bewerten enorm sein, dieser fällt bei einer RCT komplett weg. Das zeigt der in der EBM-Szene hoch geachtete John Ioannidis zusammen mit Wissenschaftlern u.a. von Microsoft und Google. Die o.g. Nachteile treffen sicher auf konventionelle RCT’s zu, nicht jedoch auf Pragmatische RCTs (pRCT). (nachzulesen in unten angegebener Literatur). Das gelingt besonders kostengünstig dann, wenn Routinedaten vorliegen z.B aus Registern oder AID-Entwicklern, die Datenbanken zur kontinuierlichen Verbesserung ihrer Algorithmen führen und wenn online Zugriff darauf besteht.
Warum greifen dann also die großen Unternehmen aus den Silicon Valley und Redmont zunehmend auf pRCT’s zu (hier heißen sie A/B-Studien), um ihre Produkte auf Nutzerfreundlichkeit zu testen, zu verbessern und eine Qualitätssicherung zu betreiben? Hier sind die Innovationszyklen noch weitaus kürzer.
Sowohl für RWD als auch pRCT’s findet man erste Startups für online kontrollierte Experimente auch für DIGA und Medizintechnik, sowohl für QS wie für regulatorische Zwecke. Diatec Weekly macht sich für die Digitalisierung stark, gut so, dann bitte auch bei solchen Themen! Die deutschen/europäischen Diabetesorganisationen sollten sich proaktiv darum kümmern, wie Daten von DIGA’s und AID’s pseudonymisiert und unter dem Schutz der DSGVO möglichst online für regulatorische Zwecke genutzt werden können. Die milliardenschweren Tech-Unternehmen aus USA haben schon vorgemacht, wie es gehen könnte.
Hemkens Bundesgesundheitsblatt 10, (2021)
Kohavi, Ioannidis et al. Trials 21:150 (2020)
Cynthia J. Girman Edt. Pragmatic RCTs chapter 25: medical devices; Elsevier 2021