Der bekannte Diabetologe Viral Shah von der Indiana University in Indianapolis stellte beim ATTD-Kongress die gängige Verwendung des Begriffs „Prädiabetes“ infrage und plädierte stattdessen für ein dreistufiges Konzept, um die progressive Natur der Stoffwechselstörung Typ-2-Diabetes (T2D) differenzierter abzubilden. Seiner Auffassung nach wird durch den Begriff „Prädiabetes“ das Kontinuum der Glucoseregulation nicht adäquat dargestellt. Vielmehr verharmlost die Bezeichnung die Risiken: Prädiabetes sei nicht lediglich ein Risikozustand, sondern eine eigenständige Erkrankung mit klinischer Relevanz.
Wenn Prädiabetes nur als Vorbote von T2D betrachtet wird, könne dies bei Betroffenen zu einem Gefühl der Unsicherheit oder Passivität führen und die Dringlichkeit notwendiger Interventionen verschleiern. Shah wies darauf hin, dass es bei Adipositas oder Hypertonie auch keine Begriffe wie „Präadipositas“ oder „Prähypertonie“ gebe, denn die damit verbundenen Risiken steigen kontinuierlich an. Auch bei Prädiabetes ist das Risiko für kardiometabolische Komplikationen keineswegs gleich null.
Eine strukturierte, stufenweise Einteilung könne die Früherkennung verbessern, die klinische Trägheit im Umgang mit Prädiabetes verringern und die Behandlungsstrategien optimieren. Shah schlägt vor, analog zum T1D auch bei T2D ein Stadium-Modell einzuführen, um Ärzten, Gesundheitssystemen und Regulierungsbehörden ein klareres Raster zur Risikobewertung und Therapieentscheidung an die Hand zu geben:
- Stadium 1 (Risiko): Umfasst Personen mit normalen Glucosewerten, die jedoch Risikofaktoren für eine zukünftige Dysglykämie aufweisen. Diese werden von der American Diabetes Association in ihrem Typ-2-Risikotest berücksichtigt.
- Stadium 2 (Prädiabetes): Erfasst Personen mit Dysglykämie, spezifiziert jedoch die Art der Dysglykämie weiter, indem Personen mit langsamerem Fortschritt und geringerem unmittelbaren Risiko in Stufe 2a, z.B. Menschen ab 65 Jahren, die weniger anfällig für T2D sind und Personen mit schnellerem Fortschritt in Stufe 2b eingeteilt werden, z.B. Menschen mit Insulinmangel, die von Metformin, GLP-1-Rezeptoragonisten und anderen Diabetesmedikamenten profitieren.
- Stadium 3 (klinischer Diabetes): Definiert Personen mit klinischem T2D, mit einer vorgeschlagenen Stufe 3a für Personen, die mit oralen oder injizierbaren Medikamenten behandelt werden und Stufe 3b für Personen, die eine Insulintherapie benötigen.
Der Redner betonte die potenzielle Rolle von CGM-Systemen in der Früherkennung und Behandlung von Prädiabetes und forderte mehr Forschung zu ihrer Wirksamkeit in diesem Kontext. Trotz des zunehmenden Interesses an CGM bei Menschen ohne manifesten Diabetes gibt es bislang nur begrenzte Evidenz für ihren klinischen Nutzen bei Prädiabetes. Dabei könnten CGM-Systeme dazu beitragen, Risikopersonen frühzeitig zu identifizieren und individualisierte Interventionen gezielter zu steuern.
Shah verwies auf zwei neue frei verkäufliche Systeme – Dexcom Stelo und Abbott Lingo – die in den USA bereits am Markt sind. Mit Blick auf die Entwicklung erklärte er pointiert: „Die Vermarktung schreitet schneller voran als die Evidenz.“ Derzeit läuft eine groß angelegte Studie mit 15.000 Stelo-Nutzern ohne diagnostizierten Diabetes. Erste Ergebnisse sollen beim ADA-Kongress 2025 in Chicago vorgestellt werden. Besonders im von ihm vorgeschlagenen Stadium 2 sieht Shah eine wichtige Rolle für CGM: Die kontinuierliche Glukosemessung könnte dort herkömmliche diagnostische Verfahren wie den oralen Glukosetoleranztest (oGTT) nicht nur ergänzen, sondern langfristig sogar ersetzen. CGMs würden eine präzisere Diagnostik ermöglichen und frühzeitig therapeutische Konsequenzen einleiten. Shah verwies darauf, dass CGM-Systeme bereits in der Diagnostik von T1D wertvolle Dienste leisten, und sieht vergleichbares Potenzial auch für T2D. Der Vorschlag, CGMs früher bei Risikopatienten einzusetzen, entspricht den aktuellen Behandlungsstandards der American Diabetes Association (ADA) für 2025, die eine frühzeitige Intervention bei Prädiabetes und T2D ausdrücklich empfehlen.
Fazit: Shah rief zu einem dreistufigen Diagnose- und Behandlungsmodell für T2D auf, verbunden mit einem klaren Appell für mehr Forschung zur Rolle von CGM in der Prävention und Frühintervention.
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