Ein Gastbeitrag von Prof. Hermann von Lilienfeld-Toal
In einer kürzlich publizierten systematischen Übersichtsarbeit (1) geht es um die Nutzung von Diabetes-Technologie bei Patienten mit Typ 1-Diabetes und Essstörungen, einem unserer Kenntnis nach eher unterbelichteten Thema. Die Autoren stammen aus dem Psychologischen Institut in Mainz und haben schon verschiedentlich zu psychologischen Aspekten bei der Nutzung von Diabetes-Technologie publiziert.
Dysfunktionale Essgewohnheiten und Essstörungen sind bei Patienten mit Typ 1-Diabetes wohl nicht selten, was verschiedene Ursachen haben kann: Das Diabetesmanagement verlangt eine lebenslange und ständige Auseinandersetzung mit der Nahrungsauswahl, das Abschätzen des Kohlenhydrat-Anteils von Mahlzeiten ist nicht trivial, es kann zu einer Gewichtszunahme als „Nebenwirkung“ der Insulintherapie kommen, was zu Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und in der Folge zu Versuchen der Gewichtsreduktion und eingeschränktem Essverhalten führen kann. Die publizierten Prävalenzschätzungen für Essstörungen reichen von <1% bis 39%, wobei die große Bandbreite in der Prävalenz auf unterschiedliche Studiendesign, Stichprobencharakteristika und einem Mangel an Konsens bei der Definition von Essstörungen zurückzuführen ist.
Worum ging es den Autoren nun genau: Sie wollten Forschungsarbeiten identifizieren und beschreiben, die den Einsatz moderner Diabetes-Technologie (Insulinpumpen, CGM-Systeme, AUD-Systeme) bei dieser Patientengruppe untersuchen und eine Diskussion über den Einsatz von Diabetes-Technologie bei dieser Population initiieren. Dafür führten sie eine systematische Literatursuche in zwei elektronischen Datenbanken nach englischsprachigen Artikeln durch, die zwischen 2000 und 2020 veröffentlicht wurden und sich mit Essstörungen und/oder Essstörungen und/oder dysfunktionalem Essverhalten und der Nutzung von Diabetes-Technologie bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit T1DM beschäftigen. Von 70 ursprünglich identifizierten Publikationen wurden 17 eingeschlossen, wobei insgesamt betrachtet die Evidenz über die Nutzung von Diabetes-Technologie bei diesen Patienten ausgesprochen spärlich ist. Die Mehrheit der Studien (n=15) berichtet über Ergebnisse bei Nutzung von Insulinpumpen bei Patienten mit T1DM und dysfunktionalem Essverhalten oder Essstörungen, drei beschäftigten sich mit CGM-Systemen und einer mit einem AID-System. Die Befunde stammen überwiegend aus Beobachtungsdaten und sind in den meisten Fällen sekundäre Ergebnisse von jeweiligen Insulinpumpen-Studien, eine Reihe der Studien ist auch „alt“, d.h. die Publikationen sind mehr als 10 Jahr alt. Dies ist deshalb von Belang, da sich die Diabetes-Technologie im Laufe der letzten 20 Jahre massiv weiterentwickelt hat. Da die Therapie mit Insulinpumpen die größte Flexibilität im Diabetesmanagement bei der Insulintherapie bietet, kann sie Vorteile bei gestörtem Essverhalten haben. Die Nutzung von CGM-Systemen kann als diagnostische Option helfen die Zeiten zu erkennen, die diese Patienten Glucosewerte im hyperglykämischen Bereich aufweisen.
Fazit: Wie viele Menschen konkret zu der hier betrachteten Patientengruppe gehören, ist nicht bekannt. Diese Evaluierung zeigt aber, dass die Evidenz zur Nutzung von Diabetes-Technologie bei diesen de facto ausschließlich auf Beobachtungsstudien, kleinen Pilotstudien und anekdotischer Evidenz aus Fallberichten basiert. Prospektive Daten aus größeren Stichproben wären notwendig, um hier zu eindeutigen Aussagen zum Nutzen des Einsatzes von Diabetes-Technologie bei Menschen mit Typ 1-Diabetes und Essstörungen zu kommen. Vermutlich werden viele Typ 1-Diabetes-Patienten und dysfunktionalem Essverhalten und Essstörungen versuchen, diese Verhaltensweisen zu verbergen. Wenn durch Einsatz von Diabetes-Technologie mehr Daten über die Insulinverabreichung sowie die Glukosekontrolle vorliegen, wird dies schwierig, d.h. das Diabetesteam kann diese Problematik erkennen und damit geeignet umgehen.
- Priesterroth L, Grammes J, Clauter M, Kubiak T. Diabetes technologies in people with type 1 diabetes mellitus and disordered eating: A systematic review on continuous subcutaneous insulin infusion, continuous glucose monitoring and automated insulin delivery. Diabet Med. 2021:e14581.
DiaTec weekly – Mai 21, 21
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Mit freundlichen Grüßen
Interessantes Thema, dass fast nie angesprochen wird. Umsomehr freut es mich hier darüber zu lesen. Eine weiterführende Diskussion würde ich begrüßen.
Nur warum interessiert mich das?
Zumeist sind wir zu schnell mit der Lösung ohne das Problem richtig verstanden zu haben. Im Ergebnis heissts dann ein IAD muß her und fertig. Im Ergebnis gehts dem Patienten etwas besser, nur das Problem ist nicht behoben.
Nur wo liegt das Problem?
Wir haben uns die Daten solcher Patienten angeschaut und haben ein Missverhältnis aus Insulingaben und Nahrungsaufnahme festgestellt. Grund ist, dass Patienten auf eine ICT mit A1c Optimierung eingestellt werden, was zu Übergewicht neigt und insbesondere zu den Essstörungen führt.
Besser wäre für diese Patienten eine ICT mit Insulinoptimierung. Das jedoch ist eher unüblich da noch schwieriger zu steuern. Übrigens – Software kann das und damit sind wir hier bei der Diatec ja richtig. Neue Algorithmen müssen her, die verschiedene Optimierungsaufgaben lösen können. Dann gehts den Patienten nicht nur besser sonder auch das Problem (Essstörungen) wird addressiert.
Falls ich jemanden neugierig gemacht haben sollte, freue ich mich auf die Kontaktaufnahme oder eine Response hier im Chat.
LG Thomas Wuttke (thomas@diafyt.com)