Das in San Diego ansässige Startup-Unternehmen 9am.health gab kürzlich den Start seiner virtuellen Diabetes-Klinik bekannt, die in den USA Menschen mit Prä- oder Typ-2-Diabetes eine „personalisierte und erschwingliche“ Diabetesbehandlung anbietet. Dabei geht es um einen kostengünstigen Zugang zu oralen Diabetesmedikamenten wie Metformin, Sulfonylharnstoffe (Glipizid und Glimepirid) und TZDs (Actos). Perspektivisch sollen injizierbare Medikamente wie GLP-1 und (Basal-)Insulin hinzukommen, dazu gibt es aktuell Gespräche mit verschiedenen Herstellern. Auch weitere Medikamente gegen typische Begleiterkrankungen bei Diabetes wie Hypertonie und Hyperlipidämie (Lisinopril, Atorvastatin) und andere sollen nach und nach hinzukommen.
Aber die Belieferung mit Medikamenten ganz bequem und direkt ins Haus ist nur der Beginn. Perspektivisch will 9am.health seine Dienstleistungen erweitern und ein „ganzheitliches Betreuungspaket“ anbieten, um den „Kunden“ eine virtuelle Unterstützung rund um die Uhr (!) anzubieten. Dazu gehören zeitlich optimal abgestimmte HbA1c- und Cholesterin-Tests, die über 9am.health-Online-Web-App remote durchgeführt werden können. Ein Prädiabetes- und Typ-2-Diabetes-Screening sowie ein Coaching-Programm sollen das Angebot schließlich abrunden.
Das medizinische Team dieses Start-Ups besteht aus lizenzierten Pflegekräften, Apothekern und Spezialisten für die Pflege und Aufklärung von Patienten, damit hier ein multidisziplinäres Team für die Patienten zur Verfügung stehen wird.
Die Kosten für dieses umfangreiche Programm: 25 Dollar pro Monat für Online-Rezepte, personalisierte Behandlungspläne, regelmäßige Plan-Optimierungen (in den USA ein wichtiges Thema) und unbegrenzten Zugang zu dem Spezialisten-Team des Unternehmens. Für jedes weitere von der FDA zugelassene und gelieferte Medikament erhebt 9am.health einen Aufpreis von 5 Dollar pro Monat und zusätzlich 15 Dollar pro Monat für einen Check des HbA1c und Cholesterin zu Hause. Diese Angebote erfolgen im Rahmen eines vierteljährlichen Abonnementmodells, die Mitglieder können sich aber auch für einen 20%igen Aufschlag für eine monatliche Zahlung entscheiden. Das Programm ist derzeit in 33 US-Bundesstaaten verfügbar und soll in naher Zukunft ausgeweitet werden.
Das Managementteam, das hinter 9am.health steht, ist uns allen wohl bekannt, ist es doch dasselbe, das vor einigen Jahren die heute weltweit und viel genutzte mySugr-App initiiert hat. Zur Erinnerung, mySugr wurde 2012 gegründet und war einer der ersten Erfolge im Bereich der digitalen Gesundheit. Das Unternehmen wurde im Jahr 2017 von Roche Diabetes Care übernommen. Die Finanzierung von 9am.health erfolgt durch 3,7 Millionen Dollar Startkapital durch eine Reihe von bekannten Venture-Kapitalfirmen. Hier hat die Geschichte der Gründer sicher geholfen.
Fazit: In einem Land, in dem viele Patienten anders als in Deutschland nicht problemfrei auf ein gut etabliertes Betreuungskonzept zugreifen können, ist ein solches Angebot eine neue und interessante Option, besonders für neu diagnostizierte Patienten. In den USA ist deshalb der vergleichsweise kostengünstige Zugang zu Diabetesmedikamenten ein wichtiges Argument für die Patienten. Während in Deutschland viele Patienten keine Vorstellung davon haben, was die von ihnen verwendeten Medikamente eigentlich kosten, gibt es in den Staaten nicht wenige Patienten, für die Insulin unerschwinglich ist, wenn sie nicht in einem der so genannten Health-Pläne sind. Es wird deshalb sehr interessant sein zu sehen, wie „Big Pharma“ auf solche Entwicklungen schaut, insbesondere mit Blick auf die rasch wachsende digitale Gesundheitslandschaft.
Wir sind auch gespannt, wann und in welcher Form solche Ansätze auch in Deutschland ankommen, denn auch hier wird es in Zukunft immer üblicher werden, mit seinem Diabetes aus dem persönlichen Zuhause heraus umzugehen, ganz einfach deshalb, weil wir immer mehr „Medizinprodukte“ (= Wearables) haben werden, die uns permanent Informationen zu Körperfunktionen oder Glukoseverläufen liefern. Auch Labortests können bald ganz einfach zu Hause durchgeführt werden und bei Bedarf wird es automatische Anrufe durch den betreuenden Arzt bzw. seinem Team geben. Neben reinen Informationen wird es auch Hinweise für das eigene Verhalten geben – Coaching-Elemente in Bezug auf körperliche Bewegung und psychosoziale Aspekte. Klingt nach schöner neuer Welt? Ja, aber es wird dahingehen!
P.S. Wer wissen will, wie das Startup zu dem ungewöhnlichen Namen kommt, hier ist die Aussage von Frank Westermann, einer der Gründer von 9am.health und selbst Typ-1er: „Ich denke, dass jeder von uns, der mit einer chronischen Krankheit lebt, gute und schlechte Tage hat. Für mich beginnt mein Tag tatsächlich um 9 Uhr morgens, denn alles vor 9 Uhr ist wie jeden Tag, danach wird es kompliziert. Wir bei 9am.health sind für unsere Nutzer auch nach 9 Uhr da, um Ihnen dabei zu helfen, mit ihrer Erkrankung besser klarzukommen.“
DiaTec weekly – Oktober 8, 21
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