Hansjörg Mühlen, Duisburg; Lutz Heinemann, Düsseldorf
Bei den diversen Schnittstellen zwischen Krankenhäusern (KH) und Diabetes-Schwerpunktpraxen (DSP) scheint die Güte der Interaktionen unterschiedlich gut bzw. weniger gut zu sein, was insbesondere für die individuellen Situationen der Patienten gilt. Um jedoch in derem Sinne standardmäßig „Komplettpakete“ anzubieten und keine Stand-alone-Ansätze verfolgt werden, muss die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Versorgungsebenen grundsätzlich verbessert werden. Dies erfordert Bewegung und Kommunikationsbereitschaft auf beiden Seiten, denn wie so häufig wird aktuell mehr übereinander als miteinander geredet. Exemplarisch zeigen dies die beiden folgenden Kommentare: Stationär tätiger Diabetologe zum Niedergelassenen: „Erst nehmt Ihr den Krankenhäusern die Diabetologie und beschwert Euch nun über mangelnde Kompetenz!“ und „Ihr habt doch keine Zeit für die Patienten. Wir nehmen Euch die Arbeit bei schwierigen Patienten ab.“
Ad 1. Die Diabetologie ist aus gutem Grund ein ambulantes Fach geworden. Menschen mit Diabetes haben eine chronische Erkrankung, die einer jahrelangen Begleitung, Beratung und Anpassung der Therapie an die jeweilige persönliche Situation bedarf. Das gilt für Menschen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes gleichermaßen. Nach Etablierung der DSPen und Einführung der DMP ist es versäumt worden, die Schnittstellen und Aufgaben zwischen DSP als Stufe 2 und stationären Einrichtungen als Stufe 3 der Versorgung zu definieren und aufzuteilen. So entstand eine „Konkurrenzsituation“ zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen mit einem nahezu identischen Versorgungsangebot, was aber getreu nach Motto „ambulant vor stationär“ zu Kürzungen im stationären Sektor und zur Schließung von Abteilungen geführt hat. Wenn es in einem KH überhaupt eine diabetologische Versorgung gibt, wird die eher von den DiabetesberaterInnen durchgeführt als von DiabetologenInnen. Aufgrund der kurzen Liegezeiten im KH können dort von den Mitarbeitern kaum praktische Erfahrungen mit neuen Medikamenten oder im Bereich der modernen Insulintherapie gesammelt werden. So werden auch keine Assistenzärzte an die Diabetologie herangeführt. Eklatant ist dieser Kompetenzverlust im Bereich der Diabetes-Technologie. Selbst große DSP mit technologischem Schwerpunkt haben Mühe, mit der rasanten Entwicklung in diesem Bereich Schritt zu halten, wieviel mehr Probleme gibt es hier erst in den KH? Die Konsequenz sind Probleme auf beiden Seiten, d.h. ein Nachwuchsmangel in der Diabetologie und ein Kompetenzdefizit bei neu niedergelassenen Hausärzten oder Internisten (denen man dafür keinen Vorwurf machen kann!).
Ad 2. KH mit diabetologischer Versorgung haben einen selektiven Blick auf die ambulante Diabetologie, da sie naturgemäß nur Patienten sehen, bei denen die ambulante Versorgung nicht funktioniert hat, zumindest nicht im akuten Fall. Die Medien und viele Ärzteverbände suggerieren den Eindruck, als wenn aus Zeitmangel eine Unterversorgung der Patienten im ambulanten Bereich insgesamt und der Patienten mit Diabetes im speziellen bestände. Eine Diskussion der diversen Fehlanreize und Fehlsteuerungen im Gesundheitswesen würde diesen Beitrag sprengen. Ob allerdings in den KH dieser „Zeitmangel“ nicht besteht und sich gerade dort um schwierige und problematische Patienten mehr und besser gekümmert werden kann als in einer DSP, ist zumindest ein Diskussionsthema.
Auf jeden Fall ist es für beide Sektoren mehr als sinnvoll, sich auf die jeweiligen Stärken konzentrieren zu können und somit ein effektives Zeitmanagement zu ermöglichen.
Im Jahr 2021 hat unsere DSP (HJ. Mühlen) 12 Patienten aus rein diabetologischen Gründen stationär eingewiesen (abgesehen von Einweisungen aufgrund eines diabetischen Fußsyndroms) und dies bei über 6.000 behandelten Menschen mit Diabetes (nicht Behandlungsfälle). Die Indikationen waren meist psychologische Probleme oder Insulinresistenz. Dazu kommen noch eine Reihe von Patienten mit der Nebendiagnose Diabetes. Bei einer Reihe von diesen eher wenigen Patienten haben die im KH initiierten Maßnahmen und der Entlassungsbrief teils Kopfschütteln, teils völliges Unverständnis erzeugt. Um fair zu sein, dies wird den stationär tätigen KollegInnen häufiger genauso gehen, wenn sie die Therapien der bei ihnen aufgenommenen Patienten sehen.
Sowohl die ambulant als auch die stationär tätigen KollegInnen unterstehen Regularien und Zwängen (seien sie real oder gefühlt), die oft eine patientenorientierte sinnvolle Therapie ernsthaft erschweren oder sogar unterbinden. Auf die Frage, warum denn eine 75jährige Patientin mit einer prandialen Insulintherapie entlassen wurde, kam die Antwort, dass sie ja was tun müssten, da sonst die Liegetage vom MDK gestrichen würden. Auf der anderen Seite rief mich ein Kollege aus einem Krankenhaus an und fragte, ob es sinnvoll sei, dass der Patient mittags 80 E Glargin spritze – mit der Erklärung, dass der Patient nur mittags von den Angehörigen mit Insulin versorgt werden kann. Was nützt die beste Therapie, wenn sie durch Regularien und Budgets sanktioniert oder vom Patienten nicht akzeptiert oder durchgeführt wird oder werden kann?
Um Missverständnissen vorzubeugen: Die niedergelassene Diabetologie ist auf eine kompetente stationäre Versorgung angewiesen (nicht nur für den diabetischen Fuß) und sie unterstützt ausdrücklich die Aufrechterhaltung einer stationären Versorgung!
Der Webfehler der Politik bei der Einführung der DMP war es, nur den ambulanten Teil der diabetologischen Versorgung neu zu regeln und zu honorieren, der stationäre Anteil wurde komplett ignoriert. Es gibt klaren Bedarf an ortsnahen stationären Diabeteszentren, die dann arbeiten, wenn die ambulante Diabetologie an ihre Grenzen stößt. Aber diese Zentren dürfen sich nicht über eine einfache Insulineinstellung oder -anpassung oder durch Schulungen definieren, sondern sollten die Probleme lösen, die in einer DSP nicht gelöst werden können. Beispiele hierfür wären die Behandlung von Akzeptanzstörungen mit psychologischer Betreuung, Behandlung von Insulinresistenz, Adipositas und diffizile Probleme bei technischen Systemen. Immer dann, wenn ein Mensch aus seiner gewohnten Lebensroutine oder Lebenssituation herausgeholt werden muss, ist ein stationärer Aufenthalt zu überdenken. Genauso, wie die DSP arbeitet, wenn der Hausarzt nicht mehr weiterweiß, muss die stationäre Einrichtung arbeiten, wenn die DSP Probleme hat.
Diese Problematik schwelt seit Jahren, wird aber jetzt durch die zunehmende Nutzung von technischen Systemen für die Diabetes-Therapie offenkundiger. Eine optimale Versorgung auch von Menschen mit Typ-2-Diabetes mit CGM- und Pumpen-Systemen bedingt eine geeignete Qualifizierung der Mitarbeiter in den KH.
Eine ganze Reihe von diabetologischen Abteilungen in den KH sind geschlossen worden oder fristen ein Schattendasein, da sie personell unzureichend ausgestattet werden. Dies wird gern mit unzureichender Honorierung durch das DRG-System begründet. Leider ist es so, dass in unserem Gesundheitswesen technische Leistungen erheblich besser honoriert werden als die sprechende Medizin. Trotzdem gibt es Beispiele dafür, dass durch ein an den Bedarf der Patienten und der DSP in der lokalen Situation angepasstes Konzept auch rein diabetologische Abteilungen in KH mit Gewinn arbeiten können.
In Nordrhein hat der Berufsverband der niedergelassenen Diabetologen (BDSN) zusammen mit der Nordrhein-Westfälischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (NWGED) als Regionalgesellschaft der DDG eine Initiative gestartet, um die Strukturen und Aufgaben der Sektoren zu definieren und der Politik ein Konzept für eine umfassende Versorgung von Menschen mit Diabetes in den DSP und den KH zu präsentieren.
DiaTec weekly – April 29, 22
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Mit freundlichen Grüßen
Lieber Hansjörg, lieber Lutz, vielen Dank für die schöne -vor allem inhaltliche-Zusammenfassung dieser Problematik, die ich ganz sicher auch teile.
Erlaubt mir , folgende 2 Kommentare bzw. Ergänzungen:
1. der stationäre Bereich als 3. Versorgungsebene ist bei der DMP-Einführung durchaus benannt und mit Schnittstellen definiert worden (die möglicherweise aktualisiert werden müssen). Auch Kliniken hatten sich seinerzeit zur DMP-Teilnahme einschreiben können; allerdings wurde es wohl nicht -außer im Reha-Klinik-Bereich angewandt; vermutlich kein finanzieller Benefit
2. eines der wohl größten Probleme des deutschen Gesundheitswesens (im solidarisch finanzierten GKV-System!) ist der unstrukturierte , niedrigschwellige Zugang zu allen Leistungserbringern, sowohl zum Facharzt- als auch zum stationären Bereich: im Prinzip kann jeder jederzeit alles in Anspruch nehmen; das betrifft Patienten mit der Wahl ihres Behandlers, als auch Ärzte mit ihrem Überweisungsverhalten und klinikbetriebene MVZ mit ihren „Zielvereinbarungen“ ; Ganz klar am „Überlaufen“ der Notaufnahmen abzulesen- auf diese Weise ist kaum noch etwas steuerbar.
Ernüchternd nach über 30 Jahren Praxis- und Konsiliar-Tätigkeit ist , dass Schnittstellendefinitionen, HzV-u.a. leider nur einen Teil der Patienten erreicht und der von Euch genannten Probleme löst; erfolgversprechend sind nach wie vor fachliche Qualifikation, Respekt und Wertschätzung im Umgang miteinander.