- Karch, Hockenheim
Schon oft wurde über die Notwendigkeit diskutiert, dass neue und technisch innovative Medizinprodukte zur Verbesserung und Erleichterung des Diabetes-Managements ihren offiziellen Platz im deutschen Gesundheitswesen erhalten sollten. Dazu kann man sich den 5. Bericht des GKV-Spitzenverbandes zur Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses unter https://t1p.de/Fortschreibungsbericht downloaden. Der Bericht umfasst den Zeitraum vom 01.03.2021 – 28.02.2022. Unter anderem geht es hier um konkrete Aussagen zur neuen Produktgruppe zum Glukosemanagement. Es folgt an dieser Stelle eine Zusammenfassung der relevanten Punkte:
„Es wird aufgezeigt, wie technische und medizinische Weiterentwicklungen in einem Versorgungsbereich mithilfe von Fortschreibungen im Hilfsmittelverzeichnis abgebildet werden können.“ Eine bedarfsorientiere und möglichst „smarte“ Versorgung insulinpflichtiger Versicherter ist zunehmend ein Thema und betrifft somit auch entsprechende Regelungen im Hilfsmittelverzeichnis.
Der immense technische Fortschritt und die Neuerungen in diesem Bereich, die der besseren Versorgung sowie Risikominimierung dienen, gilt es sachgerecht im Hilfsmittelverzeichnis abzubilden. Deshalb hat der GKV-Spitzenverband entschieden, alle Hilfsmittel, die zur Insulintherapie gehören, in einer neu zu bildenden Produktgruppe 30 „Hilfsmittel zum Glukosemanagement“ zusammenzuführen. Dies wird es Ärzten, Versicherten, Leistungserbringenden und Krankenkassen erleichtern, die erforderlichen Informationen gebündelt aufzufinden, Produkte zu identifizieren und vertragliche Regelungen für eine bedarfsgerechte Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln zum Glukosemanagement zu treffen.
Konkret bedeutet dies, dass die entsprechenden Produkte aus den vorhandenen Gruppen (03 Applikationshilfen und 21 Messgeräte für Körperzustände) mithilfe von Fortschreibungen in die neue Produktgruppe überführt werden. In diesem Zusammenhang sollen auch neuartige Hilfsmittel zur Insulintherapie dort integriert werden. Hierzu gehören Systeme zur automatisierten Insulin-Dosierung (AID-Systeme). Diese sind in der Lage, die Insulinabgabe individuell an die jeweiligen Bedürfnisse anzupassen und zu hohe Werte selbständig zu korrigieren. Je nach AID-System laufen die wichtigen Prozesse dabei im Hintergrund ab, ohne dass zusätzliche manuelle Eingaben oder Interaktionen mit der Pumpe durch den Nutzer erforderlich sind. Diese neue Technologie hilft Hyper- oder Hypoglykämien deutlich zu reduzieren. Die Versicherten erhalten damit die Möglichkeit besser am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und müssen nicht mehr umständlich Blutzuckerwerte ermitteln und sich selbst manuell Insulin subkutan injizieren.
Bei der Entwicklung der neuen Produktgruppe liegt ein besonderes Augenmerk sowohl auf Fragen der IT-Sicherheit der Medizinprodukte und des Datenschutzes als auch auf Fragen der systematischen Abbildung der Produkte innerhalb der Struktur des Hilfsmittelverzeichnisses. Des weiteren ist zu berücksichtigen, dass zu den modernen Glukosemanagementsystemen vielfach auch Konzepte gehören, die auf „Interoperabilität“ basieren, also einzelne Komponenten verschiedener Hersteller zu einem Versorgungssystem integrieren. In diesen Fällen ist eine klassische Hersteller-Produkt-Zuordnung nicht mehr gegeben, auf die die Listung der Produkte im Hilfsmittelverzeichnis gegenwärtig basiert.
Es ist vorgesehen, im dritten Quartal 2022 das Mitwirkungs- und Stellungnahmeverfahren einzuleiten und so die Patientenvertretungen sowie Hersteller- und Leistungserbringerorganisationen bei der Entwicklung der neuen Produktgruppe einzubinden. In diesem Zusammenhang wird der GKV-Spitzenverband entsprechende Lösungsoptionen für die zuvor skizzierten Problemlagen vorschlagen und mit den sich beteiligenden Organisationen diskutieren.
Gegenwärtig befinden sich neun Produktgruppen in der Überprüfung:
- 01 Absauggeräte,
- 03 Applikationshilfen,
- 05 Bandagen,
- 10 Gehhilfen,
- 16 Kommunikationshilfen,
- 17 Hilfsmittel zur Kompressionstherapie,
- 21 Messgeräte für Körperzustände/-funktionen,
- 30 Hilfsmittel zum Glukosemanagement
- 51 Pflegehilfsmittel zur Körperpflege/Hygiene und zur Linderung von Beschwerden.
Hier sind nur die fett hervorgehobenen Produktgruppen von Relevanz.
Ergibt die Überprüfung der eingegangenen Rückmeldungen einen Aktualisierungsbedarf, erstellt der GKV-Spitzenverband einen Fortschreibungsentwurf und leitet das Mitwirkungs- und Stellungnahme Verfahren ein. Sollte kein Fortschreibungsbedarf vorliegen, wird dies auf den Internetseiten des GKV-Spitzenverbandes bekanntgemacht.
Einen Sonderfall stellt die derzeit neu entstehende Produktgruppe 30 „Hilfsmittel zum Glukosemanagement“ dar. Bei ihr wurde die Bedarfsabfrage dazu genutzt, Hinweise und Anregungen für die Erstellung des Produktgruppenentwurfs einzuholen.
Erklärtes Ziel des GKV-Spitzenverbandes war und ist es, während der Corona-Pandemie den reibungslosen Versorgungsprozess sicherzustellen. Hilfs- und Pflegehilfsmittel sind für viele chronisch Kranke und Behinderte von herausragender und mitunter lebenswichtiger Bedeutung.
Hierzu zählen zum Beispiel Hilfsmittel wie Hörgeräte, Inkontinenzhilfen und Rollstühle, die körperliche Funktionseinschränkungen ausgleichen, Selbstbestimmung sowie Lebensqualität schenken und damit für viele Betroffene unverzichtbar sind. Hilfsmittel können aber auch eine therapeutische Funktion haben und damit den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern wie beispielsweise Insulinpumpen, Orthesen und therapeutische Bewegungsgeräte.“
Die Fertigstellung dieser Produktgruppe ist auf den 01.01.2023 datiert und wird dann auch hoffentlich mit Inhalten, Definitionen, Indikationen und Querverweisen gefüllt sein. Es sind dort momentan auch schon Medizinprodukte zu finden. Die Aufnahme erfolgt vorläufig in der Produktgruppe 30 „NN – Hilfsmittel zur Insulintherapie“.
Bei Fortschreibungen des Hilfsmittelverzeichnisses und bei Neubildungen einer Produktgruppe können jedoch bereits vorab Produkte im Rahmen der NN-Regelung in diese noch im Detail auszugestaltende Produktgruppe aufgenommen werden, wenn sie bestimmte Anforderungen, z.B. Funktionstauglichkeit und Sicherheit, erfüllen:
Untergruppe: 30.29.04 – NN Insulinpumpen, elektronisch, schlauchgebunden
Produktart: 30.29.04.2 – NN Insulinpumpen mit CGM-abhängiger Steuerung
Es handelt sich hierbei konkret um die t:slim X2 Insulinpumpe mit Control-IQ Technologie und die MiniMed 780G-System mit Guardian 4 rtCGM. Neben diesen beiden Produkten wurde im März der positive Bescheid für die Accu-Chek® Insight Insulinpumpe DBGL1 mit Dexcom G6 Sensor erteilt.
Fazit:
Das ist aus meiner Sicht schon ein guter Anfang, bemerkenswert aber auch, weil der DBLG1-Algorithmus ein eigenständiges und CE-markiertes Medizinprodukt ist und grundsätzlich mit allen kompatiblen Insulinpumpen und dem passenden rtCGM-System kombiniert werden kann. Das gleiche gilt natürlich dann auch für den Algorithmus Cam APS FX. Dahingehend muss sich noch etwas tun.
Diese Ausführungen des GKV-Spitzenverbandes geben berechtigte Hoffnung, dass nun endlich der technische Fortschritt bei der Entwicklung von AID-Systemen im Hilfsmittelverzeichnis schneller abgebildet wird. Natürlich müssen die Aussagen und Kernpunkte mit den vielen Begrifflichkeiten jetzt zeitnah mit Leben gefüllt werden. Es muss insbesondere für die Patienten*innen leichter und einfacher werden am technischen und medizinischen Fortschritt teilhaben zu können.
IT-Sicherheit und der Datenschutz sind enorm wichtige Themen, müssen aber auch mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl und Weitblick behandelt werden. Konzepte, die dann in der täglichen Praxis wirklich auf Interoperabilität basieren, können in Zukunft die Möglichkeit bringen, dass sich der Nutzer aus verschiedenen Bausteinen, sein persönliches und individuelles Medizinprodukt zusammenstellen kann.
Bei all der Euphorie darf aber nicht vergessen werden, dass im Zusammenhang mit Diabetes-Hilfsmitteln, insbesondere bei den rtCGM-Systemen und noch mehr bei den AID-Systemen die richtige Handhabung und die sichere Anwendung ein besonders wichtiges Thema sind. Auch dafür müssen adäquate Vergütungsstrukturen geschaffen werden.
Man ist auf dem richtigen Weg. Aber es ist noch einiges zu tun.
DiaTec weekly – April 29, 22
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