EWIS soll seinen Anwendern reproduzierbar eine Nutzungsdauer von mindestens fünf Tagen ermöglichen. Weil es aber bislang nur wenige Real-World-Daten dazu gibt, wissen wir nicht, mit welcher Frequenz Patienten den Insulininfusionsset tatsächlich wechseln, hier klafft also eine erhebliche Lücke zwischen den Empfehlungen und der Realität.
Das erwähnte Symposium am 1. Dezember 2021 fokussierte auf Patientenerfahrung mit EWIS und schaute auch auf Kosteneinsparungen und Müllreduktion. Es war spannend zu sehen, welche komplexen Aspekte bei der Entwicklung eines solchen Produktes zu beachten sind: Die Insulinstabilität muss aufrechterhalten werden und mögliche Insulinzusammenlagerungen müssen herausgefiltert werden, bevor sie in das EWIS-System eintreten. Dies führt auch dazu, dass weniger Okklusionen auftreten und auch dadurch die Anzahl von Ausfällen bei Insulininfusionsset absinkt.
Die Nutzung von EWIS hat in klinischen Studien eine niedrige Rate von Ausfällen durch unerklärte Hyperglykämien im Vergleich zu einem konventionellen Insulininfusionsset, dies zeigten Bruce Buckingham (Stanford) und Ohad Cohen (Medtronic Diabetes) bei ihren Vorträgen. Bei einer Zulassungsstudie mit 259 Patienten, die ein Minimed 670G-AID-System mit Humalog oder Novolog nutzten, gab es beim HbA1c und der Time in Range nur marginale Verbesserungen (HbA1c-Absenkung um 0,13% bei Patienten mit Humalog (zwei Set-Ausfälle) und um 0,41% bei Novolog (sechs Set-Ausfälle), dafür aber signifikante Unterschiede bei den Patient Reported Outcomes. Die Patienten empfanden den EWIS als leichter platzierbar, komfortabler in der Nutzung, länger nutzbar, weniger Zeitbedarf beim Wechsel des Sets etc. im Vergleich zu einem konventionellen Insulininfusionsset. Eine spannende Frage bei solchen Studien ist aber, wie der „Ausfall” eines Insulininfusionssets definiert wird und wie zuverlässig dies dokumentiert wird. Hier gibt es wohl eine gewisse Grauzone. In der angesprochenen Studie wurden ein Anstieg in der Glykämie auf >250 mg/dl für mehr als 3 Stunden nach einer Mahlzeit oder wenn ein Korrekturbolus den Glucosewert nicht um ≥50 mg/dl innerhalb von 60 Minuten senkte, als Kriterien verwendet.
Im spannendsten Vortrag dieses Symposiums zeigte Sarnath Chattaraj, ein für die Entwicklung des EWIS zuständiger Wissenschaftler von Medtronic, an wie vielen Aspekten beim Insulininfusionsset gearbeitet wurde, um überhaupt eine längere Nutzungsdauer zu erreichen, die Welt ist hier wohl deutlich komplizierter als man annehmen könnte. Gerade die Interaktion des Insulins (besser gesagt der Insulinformulierung mit verschiedenen Zumischungen) mit den Kunststoffmaterialien im Insulininfusionsset führt zu Problemen. Dies erklärt auch, warum verschiedene Insulinformulierungen unterschiedlich gut mit verschiedenen Insulininfusionssets nutzbar sind bzw. warum nicht alle kurzwirkenden Insuline und Insulinanaloga für alle Insulininfusionssets zugelassen sind. Auch der Winkel, mit dem der eigentliche Infusionskatheter in der Haut steckt, hat dabei eine Bedeutung. Für die Bildung von Insulinzusammenlagerungen (die zu Okklusionen im Insulininfusionsset führen können) ist wohl die Menge an Zusätzen in der Insulinformulierung von hoher Bedeutung. Wenn diese durch die Wandung des Insulininfusionssets ausdiffundieren, kommt es hierbei zu einer vermehrten Bildung von solchen Zusammenlagerungen. Medtronic setzt einen Filter zwischen dem Reservoir und dem Insulininfusionsset ein, um den Eintritt solcher Zusammenlagerungen zu vermeiden.
Bei der Pumpentherapie geht es auch um die Kosten für das Insulin bzw. um die Kosten, die durch „Verluste“ auftreten. Bob Vigersky, der medizinische Direkter der Diabetes-Sparte bei Medtronic stellte eine Analyse vor, die sich mit der Kosteneinsparung in diesem Zusammenhang bei der Nutzung des EWIS beschäftigt. Insulinverluste treten wohl vorrangig bei drei Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Wechsel des Insulininfusionssets auf: 1. Wechsel des Reservoirs (ca. 43 Einheiten Insulin); 2. Wechsel des Insulininfusionssets (17 bis 25 Einheiten) und 3. Reservoir-Abfall. Dabei hängt dieser von der täglichen Gesamtinsulindosis eines Anwenders sowie vom Typ des verwendeten Insulininfusionssets ab. Für die Kostenberechnungen müssen weitere Annahmen gemacht werden: Angenommene mittlere Nutzungsdauer (ca. 66 Stunden für ein Standard- Insulininfusionsset und ca. 152 Stunden für den EWIS), was wiederum die Anzahl von benötigten Insulininfusionssets pro Jahr definiert (ca. 133 Standard-Sets vs. 58 EWIS) und die Kosten des Insulins (US-Standard ist aktuell 338 Dollar pro 1000 Einheiten). Ausgehend von einer Reduzierung der Insulinverluste bei Nutzung des EWIS gegenüber dem Standard-Set betragen die Kosteneinsparungen 1.677 Dollar bei einer Nutzung von 35 U Insulin pro Tag, 1.474 Dollar bei einem Insulinverbrauch von 46 Einheiten und 881 Dollar bei 62 Einheiten. Dazu kommen zusätzliche Kosteneinsparungen durch die Minimierung von unerwünschten Ereignissen (s.o.) und die Reduzierung von Kunststoffabfällen (s.u.). Vermutlich werden wir in Kürze weitere Analysen zur Kosten-Nutzen-Beziehung zu sehen bekommen. Ein weiterer Aspekt, der aus Patientensicht relevant ist, ist die Zeit und der logistische Aufwand, die für das Wechseln der Insulininfusionssets eingespart wird.
Im letzten Vortrag hat der Autor dieses Beitrags, Lutz Heinemann, zunächst die Aktivitäten der Diabetes Technology Society im Zusammenhang mit der Green-Diabetes-Bewegung vorgestellt (Deklaration zu konkreten Forderungen zur Mülleinsparung bei Medizinprodukten) und zeigte eine Analyse von Medtronic zu den Umweltauswirkungen des EWIS. Der bisher notwendige häufige Wechsel von konventionellen Insulininfusionssets (alle 1-3 Tage) führt zu einer erheblichen Menge an Kunststoff- und Insulinabfällen, gerade auch, was den Verpackungsmüll betrifft. Die Nutzung des EWIS soll zu einer jährlichen Einsparung bei Kunststoffabfall um 1,8 kg pro Anwender führen. Dies mag zunächst als eine kleine Menge erscheinen, aber in Angesicht der Tatsache, dass die Nutzung von Insulinpumpen, besonders im Zusammenhang mit den AID-Systemen, ständig weiter ansteigt, ist dies ein durchaus relevanter Beitrag zur Reduktion des jährlichen Diabetes-Kunststoffabfalls. Bei der Analyse wurden zwei Einwegspritzen und sechs handelsübliche Insulininfusionssets mit unterschiedlichen Schlauchlängen mit dem EWIS verglichen, um die durchschnittliche Menge (in kg/Jahr) an zu entsorgendem Kunststoffmüll am Ende der Produktlebensdauer zu ermitteln. Perspektivisch soll es einen wiederverwendbaren Inserter für EWIS geben, was zu einer weiteren Reduktion des Kunststoffabfalls und der Kosten führen sollte. Die klare Forderung ist, dass die Bedeutung der ökologischen Nachhaltigkeit bei den Produkten, die bei der Diabetes-Therapie verwendet werden, bereits bei deren Design adäquat zu berücksichtigen sind.
Medtronic arbeitet bereits an einer neuen Version des „Duo Extended Set”, indem es um die Kombination eines Glucosesensors mit dem EWIS gehen soll, offenbar laufen bereits Tierstudien sowie erste klinische Studien. Bei einer Untersuchung mit Schweinen wurde in 67% der Fälle eine siebentägige Nutzungsdauer mit einer befriedigenden Güte der Glucosemessung erreicht. Für welche Pumpe/AID-System eine solche Kombination dann zur Verfügung stehen wird, wurde nicht kommuniziert.
Fazit: Es gibt im Zusammenhang mit Insulininfusionssets eine Menge ungeklärter Fragen und Aspekte, denen wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet wird, zumindest wird wenig dazu publiziert. In Anbetracht der Bedeutung von Insulininfusionssets, die immerhin die Achilles-Ferse gerade bei der Nutzung von AID-Systemen sind, ist dies bedauerlich. Wenn überhaupt wird die (Grundlagen-)Forschung in diesem Bereich von den Herstellern vorangetrieben, aber nicht von akademischen Stellen. Eine relevante Frage: Wird das Insulin über mehrere Tage in dieselbe Stelle infundiert, was sind die lokalen Wirkungen dieses Wachstumshormon? Kommt es dadurch zu einer vermehrten Formierung von lokalen Hautveränderungen wie Lipohypertrophien, die ja bei vielen Patienten sowieso schon auftreten?
Aus Sicht der Nutzer, aber nicht unbedingt aus Umweltschutzgesichtspunkten, sind Patch-Pumpen sicherlich die einfacheren Produkte. Dabei gibt es klare Bemühungen, die Handhabung konventioneller Pumpen zu vereinfachen, andere Pumpenhersteller haben hier schon einiges erreicht.
DiaTec weekly – Dezember 17, 21
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