Die Glucosemessung bei CGM-Systemen basiert, wie bei Teststreifen in Blutglucose-Messsystemen, auf einer enzymatischen Reaktion, die an der Spitze des Sensors im Unterhautfettgewebe abläuft. Basierend auf der jeweiligen Enzymchemie und der angelegten Spannung zu Messung des Elektronenflusses in Relation zur Glucosekonzentration in der interstitiellen Flüssigkeit an der Nadelspitze können auch andere Substanzen einen Einfluss auf das Messergebnis von CGM-Systemen haben, z.B. können dies endogene Substanzen sein, die bereits im Körper vorhanden sind, aber auch Medikamente oder Nahrungsbestandteile. Die Hersteller machen Angaben zu solchen Interferenzen in den Bedienungsanleitungen zu ihren Produkten bzw. versuchen sie solche Interferenzen durch das Hinzufügen von Membranschichten auf die Nadelspitzen der Glucose-Sensoren möglichst zu eliminieren. So hat z.B. Dexcom bei seinen Sensoren die Empfindlichkeit gegen Paracetamol von einer Gerätegeneration zur Nächsten durch eine solche Membran praktisch beseitigen können. Zum Einfluss von Medikamenten und anderen Substanzen auf die Messergebnisse von rtCGM-Systemen gibt es natürlich Publikation von wissenschaftlichen Studien, allerdings nicht besonders viele und auch längst nicht für alle Systeme und Produktgenerationen.
Wenn solche Interferenzen durch ein bestimmtes Medikament zu relevanten Abweichungen bei den Glucose-Messungen des CGM-Systems führen, kann der Nutzer bei entsprechender Schulung oder das Diabetes-Team relativ einfach erkennen, ob dies bei ihm zutrifft oder nicht. Deutlich anders kann das sein, wenn es z.B. um Vitamin C geht. Ascorbinsäure ist in vielen Lebensmitteln enthalten und es ist vielfach für den Nutzer nicht auf Anhieb ersichtlich, in welchen Mengen. Dazu kommt, dass viele Menschen gerade in dieser Jahreszeit und Pandemie-Situation eine Substitution mit Vitamin C machen, um ihr Immunsystem zu stärken.
Nutzer von Freestyle Libre / Libre 2 werden in der Bedienungsanleitung deutlich auf eine Interferenzproblematik mit Vitamin C aufmerksam gemacht: „Die Einnahme von Ascorbinsäure (Vitamin C) während des Tragens des Sensors kann zu falsch-hohen Sensor-Glukosewerten führen.“ Es wird auch darauf verwiesen, dass es bei Einnahme von Aspirin zu einer geringfügigen Senkung der Glucosewerte kommen kann, was immer dies konkret bedeutet. Dabei gibt es auch Diskussionen hierzu in den sozialen Medien, allerdings mehr auf englischsprachigen Seiten (z.B. beim Libre). In den USA laufen wohl auch Studien mit dem Libre 3 (der dort noch nicht zugelassen ist) bei denen auch die Vitamin C-Problematik adressiert wird.
Zurück zur Aufnahme von Vitamin C über die Ernährung, hier gibt es in den USA die sogenannten RDA-Dosen, gemeint ist die maximale empfohlene Tagesdosis. Laut Aussagen in der Bedienungsanleitung Libre 2 (Seite 9) können Standarddosen von Vitamin C eingenommen werden und trotzdem Behandlungsentscheidungen mit dem Sensor getroffen werden, aber „Die Einnahme einer höheren als der empfohlenen Tagesdosis (RDA) für Ascorbinsäure kann die Sensor-Messwerte beeinflussen“. Was die RDA für Vitamin C ist, steht dort leider nicht.
Nach Angaben des „US-National Institutes for Health“ sollte eine erwachsene Frau nicht mehr als 75 mg pro Tag einnehmen und ein Mann 90 mg. Die entsprechenden Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sind 95 mg und 110 mg, also etwas höher. Nun gibt es allerdings Hinweise darauf (Ergebnisbericht Teil 2 der „Nationale Verzehrstudie II“, Seite 125), dass sowohl Frauen als auch Männer in Deutschland pro Tag deutlich mehr Vitamin C zu sich nehmen, im Median 134 mg (Frauen) und 130 mg (Männer). Die Hauptquellen für Vitamin C sind dabei Obst/-erzeugnisse, alkoholfreie Getränke, Gemüse, Pilze und Hülsenfrüchte sowie Gerichte auf Basis von Gemüsen. So enthält beispielsweise ein Glas Organgensaft bereits 150 mg Vitamin C.
Wenn die Nutzer von Freestyle Libre-CGM-Systemen sich ähnlich verhalten wie die Normalbevölkerung, liegt die Vermutung nahe, dass möglicherweise und zumindest bei einem Teil der Nutzer die tägliche Vitamin C-Dosis zu einem Interferenzproblem führt. Dazu kommt, dass Vitamin C das am häufigsten supplementierte Vitamin ist, dazu gibt es Daten aus verschiedenen Untersuchungen. Laut dem erwähnten Bericht (Seite 153) beträgt die Zufuhr an Vitamin C bei Männern 60 mg pro Tag (im Median) und bei Frauen 70 mg pro Tag. Ob und in welchem Ausmaß Patienten mit Diabetes eine solche Substitution durchführen, ist uns nicht bekannt.
Fazit: Wenn die Vitamin C-Aufnahme eines gesunden (!) Mannes deutlich oberhalb der RDA liegt, ist dies bei Patienten mit Diabetes auch der Fall? Und wenn wir von der Annahme ausgehen, dass dies der Fall ist, welche Bedeutung hat das für die CGM-Messungen und welche klinischen Konsequenzen ergeben sich daraus? Im Alltag können Interferenzen ein ausgeprägteres Problem darstellen als gedacht. So können bei unplausiblen Messergebnissen Interferenzen durchaus eine Rolle spielen – und nicht nur mangelhafte Technik. Es gilt deshalb, Patienten UND das Diabetes-Team auf solche Aspekte aufmerksam zu machen und entsprechend zu schulen. Mehr klinische Studien zu Interferenzen würden zudem helfen, das Ausmaß der klinischen Bedeutung besser einschätzen zu können.
DiaTec weekly – Dezember 11, 20
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Mit freundlichen Grüßen
Neue Sensoren braucht das Land! Die Probleme heutiger CGMs resultieren aus der verwendeten Technologie. Die hohen Anforderungen an Sensitivität und Selektivität sind mit den derzeit eingesetzten Messverfahren nur schwer zu erreichen. Neue Technologien existieren zwar, nur ist das Interesse diese in neuen Produkten einzusetzen gering. Das ist erstaunlich, denn die Potentiale sind riesig, da andere Bioindikatoren gemessen werden könnten. Damit wären weit bessere Aussagen zum Krankheitsbild möglich und der Therapieerfolg wesentlich verbessert. Auch das Vitamin C-Problem wäre gelöst.
Jetzt hoffen alle auf innovative Startups, nur haben die weder ausreichend Geld noch Ressourcen die 4. technologische Revolution durchzuführen.
Habe heute intravenös Vitamin C bekommen, während der Infusion stieg der Blutzucker lt. Freestyle Libre 3 von 80 auf über 350. Der anschließende konventionelle BZ-Test ergab einen Wert von 90!