Auffallend für einen internationalen Kongress: Noch nie sah man so viele Frauen wie beim ATTD in Amsterdam! Das spiegelte auch gleich das Frühstücksmeeting der „Grand Lady of Diabetes“ Kelly Close wider: Mit ihrem W!LD-Programm „Hot Breakfast, Hot Topics“ hat Kelly den Kongress eröffnet und die führenden Frauen im Diabetesbereich gefeiert. Auch Roulette, das schweizer DCB-Projekt zur Geschlechtervielfalt und den hormonellen Auswirkungen auf das Diabetesmanagement konnte WissenschaftlerInnen aus aller Welt zu einem Treffen zusammenbringen, um Studien und Projekte zu diskutieren, die viele offene Fragen abdecken sollen.
Zahlreiche Vorträge behandelten Themen wie digitalen Kliniken und Entscheidungs-Supportsystemen, Big Data und künstlicher Intelligenz, neue Glucosesensoren und Closed- und Open-Loop-Systeme und neue therapeutische Ansätze. Insuline, Medikamente und Studien wurden intensiv diskutiert.
Tandem hat Ergebnisse der 2IQP-Zulassungsstudie zu Control-IQ+ bei Typ-2-Diabetes vorgestellt, gleichzeitig wurden sie im NEJM veröffentlicht! Die Studie mit 319 Typ-2 Patienten hat t:slim X2 mit Control-IQ+ gegen MDI mit CGM verglichen. Die Ergebnisse nach 13 Wochen waren eine HbA1c-Senkung mit Control-IQ+ von -0,9% (von 8,2% auf 7,3%) und mit CGM allein: -0,3% (von 8,1% auf 7,7 %). Die TiR (Zeit im Zielbereich) verbesserte sich um 16% (+3,8 Std./Tag).
Insulet mit Omnipod 5 zeigte Ergebnisse der ersten RCT-Studie mit dem Namen RADIANT. 188 Patienten mit Typ-1-Diabetes haben Omnipod 5 gegen MDI mit CGM verglichen. Die Ergebnisse nach ebenfalls 13 Wochen: HbA1c-Senkung mit Omnipod 5 um 0,8% stärker als mit MDI+CGM, die Zeit im Zielbereich verbesserte sich um +22%/5,4 Std./Tag und es wurden keine schweren Unterzuckerungen oder Ketoazidosen beobachtet. Beide Systeme zeigen deutliche Verbesserungen in der Glucosekontrolle und diese können die Therapie von Menschen mit Diabetes erheblich optimieren.
Erste Daten gab es zu einem vollständig geschlossenen FCL-AID-System: Laya Ekhlaspour aus San Francisco stellte erste Machbarkeitsergebnisse der FCL@Home-Studie vor, mit der der FCL-Neuralnetz-AIDANET-AID-Algorithmus (n=36) evaluiert wurde. Wir erinnern in diesem Zusammenhang an Boris Kovatchev aus Virginia, der als Vater dieses Algorithmus gilt. Die 36 Teilnehmer durchliefen eine zweiwöchige Kontrollphase mit ihrer bisherigen Therapie – entweder mit einer Pumpe im offenen Kreislauf oder einem hybriden geschlossenen Kreislauf. Anschließend wurde der FCL-Algorithmus zunächst in einem fünftägigen, überwachten Hotelaufenthalt unter Mahlzeiten- und Bewegungsherausforderungen getestet, um die Sicherheit zu bewerten. Danach folgte eine einwöchige Anwendung im häuslichen Umfeld. Teilnehmer mit einem von HbA1c-Ausgangswert >8,0% (n=18) hatten statistisch signifikante Verbesserungen der CGM-Werte im Vergleich zur Standardbehandlung und die Anwendung von FCL führte zu einer 13% längeren TiR (+3,2 Stunden/Tag) im Vergleich zur Standardtherapie (62% vs. 49%, p-Wert nicht veröffentlicht) – und das ohne Unterschiede bei der Zeit unterhalb des Zielbereichs.
Das Symposium „Technologische Fortschritte in der Diabetes-Behandlung“ zeigte neue Entwicklungen zur verbesserter Sensortechnologie, z.B. zum Dexcom G7 mit längerer Tragedauer. Der neue 15-Tage-G7-Sensor von Dexcom wurde unlängst bei der FDA zur Zulassung eingereicht und Satish Garg (Barbara Davis Center) präsentierte die Ergebnisse einer Studie mit 130 Erwachsenen, die den Sensor am Oberarm trugen. Die Genauigkeit des Sensors wurde in klinischen Tests bestätigt: Der MARD-Wert (Messgenauigkeit) ist mit 8,0% besser als der bisherige 10-Tage-G7 mit 8,2%, die Übereinstimmung mit Blutglucosewerten lag bei 94,7% über alle Glukosebereiche hinweg und die Genauigkeit blieb über die gesamte Tragedauer konstant.
Der sehr bekannte US-Diabetologe Satish Garg stellte die Ergebnisse einer Studie zum neuen 15-Tage-Dexcom-G7-CGM vor. Der Sensor bietet eine verlängerte Tragedauer von fünf Tagen im Vergleich zur bisherigen Version. An der klinischen Untersuchung nahmen 130 Erwachsene teil, die das CGM am Oberarm trugen. Während der 15-tägigen Testphase wurden sie gezielt mit Schwankungen im Blutzuckerspiegel konfrontiert, um die Genauigkeit des Sensors zu überprüfen. Die Ergebnisse zeigten eine hohe Präzision: Der Sensor erfüllte nicht nur die Anforderungen der FDA, sondern schnitt mit einem MARD-Wert von 8,0 % sogar besser ab als die 10-Tage-Version des G7 (8,2%). Die Messwerte waren über alle Blutzuckerbereiche hinweg zuverlässig, sowohl bei niedrigen als auch bei hohen Werten, und blieben über die gesamte Tragedauer stabil.
Im Bereich AID konnte mit den Ergebnissen der CLOSE IT-Studie weitere Fortschritte bei der Entwicklung eines vollständig geschlossenen Algorithmus beobachten. Prof. Neale Cohen vom Baker Heart and Diabetes Institute, Australien, stellte die Ergebnisse vor, die die Wirksamkeit eines vollständig geschlossenen Systems für Menschen mit Typ-1-Diabetes untersuchte. In der Studie wurden 75 Erwachsene über zwölf Wochen hinweg entweder mit einem Hybrid-Closed-Loop-System, das eine Essensankündigung erfordert, oder mit einem vollständig geschlossenen System ohne Essensankündigung behandelt. Beide Gruppen verwendeten denselben Open-Source-Algorithmus sowie das Dexcom G6 CGM und eine Ypsomed-Insulinpumpe. Die Ergebnisse zeigten, dass das vollständig geschlossene System mit einer Zeit im Zielbereich von 66 % genauso effektiv war wie das Hybrid-System mit 69 %. Die Zeit unterhalb des Zielbereichs blieb in beiden Gruppen gering und auch bezüglich Sicherheit gab es wenige Zwischenfälle. Ein Teilnehmer entwickelte eine diabetische Ketoazidose (DKA), weil er seine Pumpe nicht korrekt bedienen konnte. Zudem kam es in der Gruppe mit dem vollständig geschlossenen System zu einer schweren Unterzuckerung, die durch eine Bluetooth-Verbindungsunterbrechung verursacht wurde.
Klemen Dovč (Universität Ljubljana) präsentierte eine Studie mit Kindern (2–6 Jahre) zur Sicherheit des MiniMed 780G-Systems mit dem neuen Simplera Sync-Glucosesensor. Der Sensor erwies sich als gleichwertig zum bisherigen Guardian 4-Sensor, HbA1c-Werte & TIR waren in beiden Gruppen ähnlich und es gab keine schwerwiegenden gerätebedingten Nebenwirkungen. Klemen Dovč präsentierte außerdem Ergebnisse der Verlängerungsphase der LENNY-Studie von Medtronic, die die Sicherheit und Wirksamkeit des MiniMed 780G-Systems mit dem neuen Simplera Sync-Sensor im Vergleich zum Guardian 4-Sensor bei Kleinkindern im Alter von zwei bis sechs Jahren untersuchte. Die Studie zeigte, dass Simplera Sync dem Guardian 4-Sensor in seiner Leistung nicht unterlegen war. Der HbA1c-Wert unterschied sich zwischen den Gruppen kaum, ebenso wenig wie die Zeit im Zielbereich. Zudem traten während der Untersuchung keine schwerwiegenden gerätebedingten Nebenwirkungen auf.
Beim Symposium von Vertex ging es um neue Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit Typ-1-Diabetes durch Inselzelltransplantationen. Der ebenfalls bekannte US-Diabetologe Jay Skyler von der University of Miami betonte die Notwendigkeit besserer Lösungen und Patrik Choudhary von der Universität Leicester erwähnte die Fortschritte in der Diabetes-Behandlung durch neue Technologien, wies aber auch darauf hin, dass die Krankheit weiterhin eine große Belastung darstellt. Eelco de Koning von der Universitätsklinik Leiden berichtete von erfolgreichen Inselzelltransplantationen aus früheren Studien in Kanada, Italien, Frankreich und Nordamerika und Trevor Reichman, Universität Toronto, erklärte, dass diese Transplantation zwar vielversprechend sei, aber ein invasives Verfahren bleibe. Er sieht die Zukunft in der stammzellbasierten Inselzelltherapie. Zusammengefasst heißt das: Inselzelltherapien könnten die Behandlung von Menschen mit Typ-1-Diabetes revolutionieren, doch es gibt noch viele Herausforderungen zu bewältigen.
Auch zu den Fortschritten in der Diabetes-Therapie gab es Daten: Die PROTECT-Studie testete Tzield (Teplizumab) bei Menschen mit einem neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes (Stadium 3) und die COVALENT-111-Studie untersuchte mit Icovamenib einen neuen oralen Wirkstoff für Menschen mit Typ-2-Diabetes. Die Post-hoc-Analyse der PROTECT-Studie untersuchte eine Teilgruppe von 275 Teilnehmern und wertete CGM-Daten zu mehreren Zeitpunkten nach der Verabreichung von Teplizumab aus. Die Ergebnisse zeigten, dass die TIR unter Teplizumab um 6,2% höher war als unter Placebo – das entspricht einer zusätzlichen Stunde und 30 Minuten pro Tag mit stabilen Glucosewerten. Zusätzlich wies die Teplizumab-Gruppe einen um durchschnittlich 12 mg/dl niedrigeren Glucosespiegel auf und verbrachte täglich rund 98 Minuten weniger im hyperglykämischen Bereich (>180 mg/dl) im Vergleich zur Placebo-Gruppe. Die Zeit mit Hypoglykämien war in beiden Gruppen ähnlich und blieb insgesamt gering. Die primären Studienergebnisse, die bereits 2023 auf der ISPAD vorgestellt wurden, zeigten zudem, dass der Rückgang des mittleren C-Peptid-Spiegels unter Teplizumab weniger stark war als unter Placebo, was auf eine schützende Wirkung auf die Betazellfunktion hindeutet. In der Phase-1/2-Studie COVALENT-111 von Biomea wurde die Wirkung von Icovamenib auf das Diabetesmanagement und die Betazellfunktion untersucht. Zwei Fallstudien zeigen vielversprechende Ergebnisse:
- Ein 45-jähriger Patient mit seit zehn Jahren bestehendem Typ-2-Diabetes nahm täglich 100 mg Icovamenib ein. Nach 26 Wochen sank sein HbA1c-Wert von 8,6% auf 7,5%, und die TIR verbesserte sich von 4% auf 29%.
- Ein weiterer Patient, 29 Jahre alt und seit vier Jahren an Typ-2-Diabetes erkrankt, erhielt täglich 200 mg des Medikaments. Nach 47 Wochen reduzierte sich sein HbA1c-Wert von 9,5% auf 5,8%, während sich seine TIR von 34% auf beeindruckende 90% erhöhte.
Diese Fallberichte ergänzen die bereits veröffentlichten, positiven Zwischenergebnisse der COVALENT-111-Studie aus Dezember 2024. Die Publikation der vollständigen Ergebnisse nach 52 Wochen steht noch aus.
Fazit: Fortschritte in Sensortechnologie, automatisierten Insulinsystemen und neuen Medikamenten verbessern die Diabetes-Behandlung stetig. Die gut besuchte und besetzte Industrieausstellung bot sowohl Herstellern als auch Startups die Möglichkeit, ihre neuesten Produkte und Technologien einem internationalen Publikum vorzustellen. Die während des Kongresses präsentierten Abstracts wurden im offiziellen Journal des ATTD, Diabetes Technology & Therapeutics, veröffentlicht und bieten einen umfassenden Überblick über aktuelle Forschungsergebnisse und technologische Fortschritte im Bereich Diabetes.
Eine interessante Pro-Con-Diskussion führten Jennifer Sherr von der Yale Universität und Steven Edelman aus San Diego darüber, ob ein ungedeckter Bedarf an kontinuierlicher Ketonüberwachung (CKM) besteht. CKM ist für die Prävention von diabetischer Ketoazidose wertvoll, weil die meisten Menschen mit Typ-1-Diabetes ihre Ketonwerte nicht regelmäßig überwachen. Jennifer Scherr verwies auf Studien, die zeigen, dass häufigere Ketonmessungen mit weniger Notaufnahmebesuchen und Krankenhausaufenthalten verbunden sind. Zudem kann CKM den sicheren Einsatz von SGLT-2-Hemmern unterstützen.
Steven Edelman übernahm den Con-Part und betonte, dass die Nutzung von kontinuierlichem Glukosemonitoring (CGM) bereits die diabetische Ketoazidose-Rate signifikant senke und äußerte Bedenken, dass CKM zusätzliche Belastung für Menschen mit Diabetes darstellen könnte, da neue Alarme und Schwellenwerte zu Verwirrung führen. In einer Umfrage gaben 73% der Teilnehmer an, dass CKM für sie persönlich nicht sehr wichtig sei, während 55% es als wichtigen Bedarf für andere ansahen. Am Ende der Debatte blieb dieser Redner zwar kritisch, unterstützte jedoch die Weiterentwicklung von CKM, solange mehr Daten zur Nutzung und Wirksamkeit gesammelt werden.
Mit freundlichen Grüßen