An der Studie nahmen 9.230 Patienten teil, von denen bei 4.622 eine weniger strenge Glucosekontrolle (= Insulin wurde nur bei einem Werten >215 mg/dL verabreicht) und bei 4.608 mit einer strengen Glukosekontrolle (= Glucosewerte von 80-110 mg/dL, unter Verwendung des LOGIC-Insulin-Algorithmus) etabliert wurde. In beiden Gruppen erhielten die Patienten für eine Woche keine parenterale Ernährung. Das primäre Studienergebnis war die Dauer der Intensivpflege – berechnet auf der Grundlage der Zeit bis zur Entlassung aus der Intensivstation – mit dem Tod als konkurrierendem Risikofaktor. Zu den Sicherheitsergebnissen gehörte die 90-Tage-Mortalitätsrate.
Der mediane Glucosewert betrug 140 mg/dL bei weniger strenger Glucosekontrolle und 107 mg/dL bei strenger Glucosekontrolle. Schwere Hypoglykämien traten bei 31 Patienten (0,7%) in der Gruppe mit weniger strenger Glucosekontrolle und bei 47 Patienten (1,0%) in der Gruppe mit strenger Glucosekontrolle auf. Die strengere Glucosekontrolle verkürzte nicht die Verweildauer auf der Intensivstation, die Patienten in beiden Gruppen mussten ähnlich lange auf der Intensivstation behandelt werden (HR für frühere Entlassung bei strenger Glukosekontrolle, 1,00; p=0,94). Die beiden Gruppen wiesen auch eine ähnliche Mortalität nach 90 Tagen auf (10,1% bei weniger strenger Glucosekontrolle und 10,5% bei strenger Glukosekontrolle; p=0,51).
Die Analyse von acht vordefinierten sekundären Endpunkten zeigte, dass die Häufigkeit neuer Infektionen, die Dauer der Beatmung und der hämodynamischen Unterstützung, die Zeit bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus und die Sterblichkeit auf der Intensivstation und im Krankenhaus in beiden Gruppen ähnlich waren. Bemerkenswert ist, dass eine schwere akute Nierenschädigung bei strenger Glucosekontrolle weniger häufig auftrat (-8,6%) als bei den Patienten in der Gruppe mit weniger strenger Glucosekontrolle (-7,2%). Außerdem waren die biochemischen Marker für cholestatische Leberfunktionsstörungen, nicht aber für zytolytische Leberfunktionsstörungen, in der Gruppe mit strenger Glucosekontrolle niedriger als in der Gruppe mit weniger strenger Kontrolle.
Hinsichtlich des Sicherheitsergebnisses (Sterblichkeit nach 90 Tagen) wurde in der Studie eine mögliche Interaktion zwischen der Randomisierung in die Gruppe mit strenger Glucosekontrolle im Vergleich zur Gruppe mit weniger strenger Glucosekontrolle und der Ausgangsvariablen „neurologische oder neurochirurgische Aufnahmediagnose im Vergleich zu anderen Diagnosen“ festgestellt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Sterblichkeit bei strenger Glucosekontrolle in der Untergruppe der Patienten mit einer neurologischen oder neurochirurgischen Einweisungsdiagnose möglicherweise niedriger ist.
Angesichts dieser Ergebnisse vermuten die Autoren, dass eine frühzeitige parenterale Ernährung in früheren Studien ein wichtiger iatrogener Faktor war, der die Hyperglykämie und deren Toxizität erhöht hat. Anscheinend ist die frühe parenterale Ernährung auf der Intensivstation der eigentliche „Übeltäter“, da die parenterale Ernährung das evolutionär konservierte autophagische System zur Beseitigung von Zellschäden unterdrückt, wodurch die Genesung bei schweren Erkrankungen behindert wird, und sie den Schweregrad der Hyperglykämie erheblich erhöht. Durch den Verzicht auf eine frühzeitige parenterale Ernährung können kritisch kranke Patienten einen mäßigeren Grad an Zellschäden beseitigen, der durch eine viel mäßigere Hyperglykämie hervorgerufen wird, wodurch der Bedarf an Insulininfusionen und deren potenzielle Risiken drastisch reduziert werden. Daher die Empfehlung, bei erwachsenen Patienten auf der Intensivstation auf eine frühe parenterale Ernährung zu verzichten.
Fazit: Beendet diese Studie nun die kontrovers geführte Diskussion über die Wirksamkeit einer strengen Glucosekontrolle im Krankenhaus/Intensivstation? Während einige Experten befürchteten, dass eine strenge Glucosekontrolle das Risiko einer Hypoglykämie erhöht, deuten die Ergebnisse dieser Studien darauf hin, dass eine strenge Glucosekontrolle nicht nur zulässig, sondern möglicherweise sogar vorteilhaft ist. Es ist beachtlich, wie langwierig der Weg zu einem besseren Verständnis der Glucosekontrolle in diesem Einsatzgebiet ist. Die erste Publikation zu diesem Thema von G. van den Berghe, die ebenfalls im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, datiert aus dem Jahr 2001. Die damals berichtete deutlich geringere Sterblichkeit auf der Intensivstation bei einer strengen Glucosekontrolle (mit einem Zielwert von 80-110 mg/dL), führte zu weiteren Studien. Nachfolgestudien konnten dieses Ergebnis nicht wiederholen, einige wurden sogar wegen des erhöhten Auftretens von Hypoglykämien vorzeitig abgebrochen. Bei der aktuellen Studie wurde kein erhöhtes Hypoglykämierisiko beobachtet. Der heutzutage mögliche Einsatz von CGM-Systemen sowie von AID-Systemen hat die Situation insgesamt deutlich geändert, auch in Hinsicht auf die notwendige Vermeidung von Hypoglykämien [2]. In Zukunft sollte die Etablierung einer strengen Glucosekontrolle auf Intensivstationen ohne erheblichen Zusatzaufwand für das Pflegepersonal möglich sein.
Der bekannte US-Diabetologe Irl Hirsch aus Seattle äußerte sich in einem Kommentar enttäuscht darüber, dass nicht mehr Informationen über die mehr als 20% der Patienten in dieser Studie mit bekanntem Diabetes publiziert wurden. Wichtig ist dies deshalb, da eine „relative Hypoglykämie“ (HbA1c >8% bei nahezu normalem Glykämie während des Aufenthalts auf der Intensivstation) mit einem Anstieg der Sterblichkeit einhergeht. So tritt möglicherweise die höhere Rate an akuter Nierenschädigung, die als sekundärer Endpunkt beobachtet wurde, bei Patienten mit hohen HbA1c-Werten häufiger auf. Bei Patienten ohne Diabetes lassen diese Daten den sicheren Schluss zu, dass eine mittlere Glykämie von 145-155 mg/dL im Hinblick auf die Sterblichkeit nicht besser ist als eine von 110-115 mg/dL.
- Gunst J, Debaveye Y, Guiza F, Dubois J, De Bruyn A, Dauwe D, et al. Tight Blood-Glucose Control without Early Parenteral Nutrition in the ICU. N Engl J Med. 2023;389(13):1180-90. doi: 10.1056/NEJMoa2304855. PubMed PMID: 37754283.
- Umpierrez GE. Glucose Control in the ICU. N Engl J Med. 2023;389(13):1234-7. doi: 10.1056/NEJMe2309442. PubMed PMID: 37754290.
diatec weekly – Dezember 1, 23
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