Bei einigen der Systeme zur Automatisierten Insulin-Dosierung (AID), die in der Entwicklung sind, kommt neben Insulin ein weiteres Hormon zum Einsatz: Glucagon. Beim diesjährigen ADA gab es eine Pro-Contra-Session zu der Frage, ob der Einsatz von Glucagon die zusätzlichen Kosten und Aufwand dafür wert sind. Bei den bisher auf dem Markt verfügbaren bzw. in Europa zugelassenen AID-Systemen, d.h. den Systemen von Medtronic, Tandem, CamDiab und Diabeloop, wird ausschließlich Insulin verwendet. Auch bei den meisten laufenden klinischen Studien mit AID-Systemen werden reine Insulinsysteme untersucht. Bei den beiden AID-Systemen die eine Kombination beider Hormone verwenden (eines kommt aus Boston und das andere aus Portland, Oregon), wird das Glucagon entweder durch eine Pumpe (mit getrennten Kartuschen) oder zwei getrennte Pumpen appliziert. Ziel bei der Verwendung von Glucagon ist es, das Risiko von Hypoglykämien zu minimieren, d.h. zusätzlich zum Gaspedal gibt es hierbei ein Bremspedal.
Ein Hormon reicht!
Die Vertretung der Pro-Position (= nur Insulin ist notwendig) erfolgte durch Roman Hovorka, von der Universität Cambridge, Großbritannien. Er geht davon aus, dass aufgrund der Wirksamkeit des Insulins, der geringeren Komplexität des Systems sowie der geringeren Kosten diese Variante, ein AID-System mit einem Hormon besser sind. Seiner Meinung nach ist ein „gutes“ AID-System eines, welches dafür sorgt, dass die Zeit im Zielbereich (TiR) mindestens 70% beträgt und nur <3% unter 70 mg/dL liegen. Dabei soll der Handhabungsaufwand für das AID-System gering sein, d.h. nicht mehr als 10-20 Minuten pro Tag betragen, die „Alarmbelastung“ der Nutzer soll gering und die Häufigkeit von technischen Problemen minimal sein. Dies reflektiert die Haltung vieler Patienten, für diese ist eine Optimierung der Glukosekontrolle von geringerer Bedeutung als die Reduzierung der Belastung im Alltag durch ihre Erkrankung.
Die Darstellung von eigenen Studienergebnissen und von anderen Zentren durch diesen Redner zeigt, dass diese Vorgaben mit „Nur-Insulin-AID-Systemen“ erreicht werden können. Allerdings gibt es immer noch Herausforderungen, die insbesondere durch die relativ langsame Insulinabsorption bedingt sind, was einer zu ausgeprägten postprandialen Hyperglykämie führen kann oder Probleme machen, wenn Hypoglykämien drohen nach körperlicher Anstrengung. Zu den Nachteilen von AID-Systemen die zwei Hormone verwenden, gehören nach Meinung des Redners die Notwendigkeit eine temperaturstabile Glucagon-Formulierung zu haben (um diese nicht täglich neu ansetzen zu müssen), einer größeren Pumpe mit zwei Kammern, sowie der Bedarf von zwei Schläuchen mit Kanülen und Infusionsstellen (zusätzlich zum Glucosesensor). Ferner ist wenig bekannt über die biologischen Langzeitrisiken einer chronischen subkutanen Glucagon-Infusion. Die Nutzung eines zweiten Hormons erhöht die Kosten für eine solche Therapieform eindeutig.
Nach Ansicht von Hovorka sind längerfristige Kopf-an-Kopf-Studien notwendig um eindeutige Aussage zu dieser Fragestellung treffen zu können. Es kann sein, dass die Nutzung von AID-Systemen mit zwei Hormonen für solche Patienten sinnvoll ist, die eine ausgeprägte Hypoglykämie-Problematik aufweisen. Sein Fazit war: „Viele, wenn nicht sogar die meisten Nutzer können eine akzeptable Glucosekontrolle mit reinen Insulin-AID-Systemen erreichen“.
Zwei Hormone sind besser!
Die Gegenposition wurde vehement von Steven J. Russell, vom Massachusetts General Hospital in Boston vertreten. Dieser Redner ist an multizentrischen Zulassungsstudien sowohl mit reinen Insulin-AID-Systemen als auch mit der bihormonellen Variante beteiligt. Er sieht die hohe Wirksamkeit von reinen Insulin-AID-Systemen sehr wohl und ermutigt seine Patienten mit Typ-1-Diabetes diese einzusetzen. Durch die zusätzliche Nutzung von Glucagon wird aber eine bessere Automatisierung der Hypoglykämie-Prävention und -Behandlung z.B. bei Sport erreicht. Bei einem bihormonellen AID-System ist der Bedarf an Kohlenhydraten reduziert, die zur Behandlung von Hypoglykämien benötigt werden und die Patienten essen insgesamt weniger. Dies wirkt einer Gewichtszunahme entgegen im Gegensatz zu einem AID-System, welches nur Insulin verwendet.
Daten aus einer unveröffentlichten Studie mit 23 Patienten mit Typ-1-Diabetes zeigen, dass bei Verwendung von deren üblicher Versorgung (Insulinpumpe mit oder ohne CGM-System), eines AID-Systeme (iLet) nur mit Insulin und des iLets mit beiden Hormonen über jeweils eine Woche, die Patienten mittlere Glukosespiegel von 165, 148 bzw. 139 mg/dL aufwiesen. Die TiR lag bei 60%, 72% und 79%, und die mediane Zeit mit Glukosewerten <54 mg/dL betrug 0,6%, 0,6% bzw. 0,2%.
Russell ging auf jedes der von Hovorka gegen die Verwendung von Glukagon vorgebrachten Argumente ein. Hinsichtlich der Notwendigkeit einer stabilen Glucagon-Formulierung sagte er, dass das Analogon, das für iLet entwickelt wird, Dasiglucagon, bei 40ºC mehr als einen Monat lang stabil ist. Dabei hat es eine hohe Bioverfügbarkeit, aber eine etwas langsamere Absorption als Glucagon. Russell räumte ein, dass die Notwendigkeit von zwei separaten Kartuschen für die Pumpe ein Nachteil ist, die nächste Generation der iLet ist aber wohl relativ einfach und intuitiv zu bedienen. Die Pumpe selbst hat etwa die gleiche Größe wie die Insulinpumpe Tandem t:slim. Die Verwendung von Glucagon habe den Insulinverbrauch in iLet-Studien nicht erhöht und sei auch nicht mit einer erhöhten Übelkeit bei den Studienteilnehmern oder einem Glykogenabbau in der Leber verbunden gewesen. Die Studienteilnehmer gaben an, das bihormonale System zu bevorzugen. Die Auswirkungen einer chronischen Glucagon-Exposition muss noch untersucht werden, aber die Tierdaten sind beruhigend, sagte Russell. Im Hinblick auf die gestiegenen Kosten verwies er auf Daten aus dem Jahr 2018, die zeigen, dass die inkrementelle Verbesserung der glykämischen Kontrolle, wie sie im Vergleich zu keiner Automatisierung durch ein AID-System nur mit Insulin bzw. mit Glucagon und Insulin erreicht wird (mittlere Glukose-Reduktion von 7,4 bzw. 13,6 mg/dL und Verringerung der Zeit im hypoglykämischen Bereich um 1,3% gegenüber 3,0%). Seine Meinung nach steigert die Verwendung von Glucagon die Sicherheit und den Wert von AID-Systemen signifikant, da dann eine aggressivere Insulingabe bei gleichzeitig geringerem Hypoglykämierisiko möglich ist. Diese Vorteile sind seiner Meinung nach gewichtiger als die Nachteile.
Sein Fazit war: „Die zusätzliche Nutzung von Glucagon in AID-Systemen wird durch die verbesserten Ergebnisse und die höhere Lebensqualität gerechtfertigt.“
DiaTec weekly – September 04, 20
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