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„Alles muss sich ändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist.“ Das Paradoxon aus dem Buch „Der Leopard“ von Guiseppe Tomasi di Lampedusa ist das zentrale Motiv – auch in der berühmten Visconti-Verfilmung, die aktuell auf Netflix wiederbelebt wird. Das Zitat bringt das Dilemma auf den Punkt, den auch wir gerade erleben im notwendigen und längst überfälligen Aufbruch in eine neue Zeit und im Bewusstsein der Vergänglichkeit, die uns täglich zeigt, dass Verlässlichkeit und alte Gewissheiten wohl ein für alle Mal Geschichte sind.

In Zeiten des Wandels scheinbare Veränderungen zuzulassen, um die eigene Stellung konservativer Eliten zu sichern, darum geht es in Viscontis Film. Und darum geht es auch in der Wirklichkeit. Der Film erzählt vom Untergang der sizilianischen Aristokratie, als das aufstrebende Bürgertum unter der Führung von Garibaldi die traditionelle aristokratische Elite verdrängt. Die Wirklichkeit erzählt von brachialen Veränderungen im politischen Gefüge, die notwendig sind, um die bestehenden Machtverhältnisse zu bewahren. Die Strategie, Veränderungen vornehmen zu müssen, um die grundlegenden Strukturen zu erhalten, verweist auf eine erprobte Taktik der Herrschenden, oberflächliche Reformen zuzulassen oder sogar aktiv voranzutreiben, um tiefgreifendere Umwälzungen zu verhindern. Scheinbare Reformen sind deshalb oft weniger echte Umbrüche als vielmehr ein Mittel, um das Bestehende zu bewahren.

Wir sehen das in der 180-Grad Wende der USA, die versuchen, sich durch massive Reformen gegen disruptive Kräfte zu behaupten – zumindest sehen das viele Republikaner so, die sich durch Trump radikalisiert haben, um ihre Macht zu erhalten. Als Begründung nennen sie eine zu liberale Haltung gegenüber so lästigen Dingen wie Feminismus, LGBTQ-Strömungen oder Rechte für Minderheiten, die ihrer Ansicht nach das Land unterwandern. Wir sehen das auch bei uns, aktuell beispielsweise bei den Koalitionsverhandlungen, in denen zwei Parteien über Reformen diskutieren und eigentlich nur die bestehende Strukturen stabilisieren wollen, scheinbare Reformen sind aber oft weniger echte Umbrüche als vielmehr ein Mittel, um das Bestehende zu bewahren. Wir sehen das in der Migrations- und Asylpolitik, wo es weniger um Abschottung als vielmehr um den Erhalt des sozialen und politischen Gleichgewichts in den Mitgliedsländern geht und wir sehen das auch in der Wirtschaft, wo Konzerne zwar die Digitalisierung vorantreiben, aber weniger aus Idealismus, sondern weil sie sich der Veränderung anpassen müssen, um ihre Position zu sichern.

Auch im historischen Kontext haben Revolutionen meistens dazu geführt, dass es zwar radikale Veränderung der politischen Verhältnisse gab, viele ehemalige Eliten jedoch neue Machtpositionen fanden, wie im Kaiserreich Napoleons. Ähnliches geschah bei uns nach Ende des zweiten Weltkrieges: Der Zusammenbruch des Naziregimes hat nicht dazu geführt, dass alle Täter ihre gerechte Strafe erhielten. Im Gegenteil haben viele Richter, Staatsanwälte, Lehrer und Staatsbeamte in der jungen Bundesrepublik ihre privilegierten Arbeitsbereiche weitergeführt. Selbst im persönlichen Lebensbereich kann das Paradoxon greifen: Manchmal muss man sich äußerlich anpassen, um sich selbst treu bleiben zu können.

Oft verweigern wir uns aber. Wie der Fürst im Film sehen wir zwar die Mechanismen der Vergänglichkeit und wissen sehr wohl, dass die Welt, die wir kennen, so nicht haltbar ist. Und doch handeln wir nicht oder wenn, dann nur zögerlich, was gut zu sehen war in den vergangenen drei Jahren, als trotz massiver Verschiebungen in der weltpolitischen Lage keine ernsthaften Veränderungsprozesse in Gang gesetzt wurden. Weil aber nichts für immer bleibt und alles im Leben und in der Welt dem Wandel und letztlich dem Verfall unterliegt, ist auch die Vergänglichkeit ein Prinzip. Alles vergeht, in der Natur ebenso wie in der menschlichen Existenz und in unseren gesellschaftlichen Strukturen. Das positive daran: Wir leben bewusst, weil wir endlich sind. In dieser Endlichkeit liegt auch die Schönheit unseres Seins, auch wenn wir zwar gerne die Schönheit, aber nicht die Endlichkeit haben wollen. Vergänglichkeit erst macht den Wandel notwendig und das ist die Schattenseite, denn es soll sich doch nicht ändern, weil es grad gut ist, so wie es ist.

Um aber dem natürlichen Verfall entgegenzuwirken, braucht es immer wieder den Aufbruch, die Bewegung nach vorn, die Kraft, um den Wandel zu gestalten. Mit seiner Doppeldeutigkeit beschreibt das Wort „Aufbruch“ sowohl das kraftvolle eines Neubeginns als auch das unvermittelte Aufbrechen von verkrusteten Strukturen. Dabei hat der Satz „China ist im Aufbruch“ für uns eine andere Bedeutung als der Satz „Wir brechen auf“ am Ende eines schönen Abends, weil er uns nach Hause führt.

Vielleicht ist der ganze Veränderungsprozess auch ein Nachklang der Corona-Pandemie, die uns nicht nur gesundheitliche und soziale Krisen gebracht hat, sondern auch zu Disruptiven des Wissens und der Wahrheit geführt hat. Wir erleben seither eine teilweise erstaunliche Mischung aus mittelalterlichen Prangerpraktiken und zeitgenössischen Shitstorms in den sozialen Medien, wo die Sündenböcke kreiert werden und das Spiel mit Opfer-Täter-Umkehrung reaktiviert wurde. Die Corona-Pandemie war wohl ein Katalysator für viele der Disruptionen, die wir heute sehen. Sie hat bestehende Entwicklungen beschleunigt und neue Herausforderungen geschaffen, mit denen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch immer ringen. Letztlich bleibt immer die Frage bestehen: Ist diese Veränderung auch wirklich eine Erneuerung, oder dient sie nur der Bewahrung des Bestehenden?

Nach diesem Exkurs wollen auch wir den Aufbruch wagen und gehen mit Ihnen in die Themen der Woche: Paradoxerweise beginnen wir mit einem Ausflug in die Vergangenheit und schauen zurück in die DCCT-Studie (wer kann sich noch erinnern?), denn der bekannte Mathematiker Boris Kovatchev hat mal virtuelle CGM-Ergebnisse auf die Daten der DCCT-Studie gelegt. Dann gibt es neue Ergebnisse von dia·link zur Frage des Monats und zuletzt haben wir eine aktuelle Kommentierung aus China zu den Ergebnissen der INHALE-3-Studie, in der es um die Verwendung von inhaliertem Insulin in Kombination mit AID-Systemen geht. Auf geht’s!

Wer erinnert sich noch an die DCCT-Studie (Diabetes Control and Complications Trial) aus den Jahren zwischen 1983 und 1993? Sie wurde in den USA durchgeführt und war eine wegweisende klinische Studie, die den Zusammenhang zwischen der Blutglucosekontrolle und dem Auftreten von diabetesbedingten Komplikationen bei Menschen mit Typ-1-Diabetes untersucht hat. Die DCCT-Studie hatte enormen Einfluss auf die moderne Diabetesbehandlung und führte zur Empfehlung von Glucosemessungen und intensivierter Insulintherapie als Standard für Menschen mit Typ-1-Diabetes:

DCCT und CGM: Was sagen uns alte Daten heute?

In einer Publikation in der US-Fachzeitschrift „Diabetes Technology & Therapeutics“ (DTT) wurde das virtuelle (!) kontinuierliche Glucosemonitoring (CGM) auf die Daten der Diabetes-Kontroll- und Komplikationsstudie (DCCT) von 1993 angewendet [1]. Die seinerzeit bedeutende Studie hat belegt, dass die Bedeutung von intensiver Glucosekontrolle die Häufigkeit des Auftretens von diabetes-assoziierten Folgeerkrankungen reduziert:

Es gibt neue Ergebnisse der Frage des Monats zu aktuellen politischen, versorgungs- oder behandlungsbezogenen Diabetesthemen. Die Frage des Monats Februar fragte danach, ob die Teilnehmer Sorge haben, dass Diabetes-Utensilien in Zukunft nicht mehr von gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden? Hier geht es zu den Ergebnissen der

Frage des Monats Februar

Die Erhöhung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung ist ein Thema von hoher Relevanz für die Gesellschaft. Diese Erhöhungen werden vielfach als notwendig erachtet, um die steigenden Gesundheitskosten zu decken. Sie geben jedoch auch Anlass zu Fragen: Wo werden Einsparungen vorgenommen? Welche Leistungen könnten möglicherweise eingeschränkt oder gar gestrichen werden?

Zwei chinesische Kolleginnen aus Hongkong kommentierten die aktuelle Publikation der Ergebnisse der INHALE-3-Studie und betonen die Flexibilität der Verwendung von inhaliertem Insulin (Afrezza von MannKind) in Kombination mit AID-Systemen:

Come-back von inhalativen Insulin oder Totgesagte leben länger…

Die Autorinnen preisen in ihrem Kommentar die Vorteile von inhaliertiven Insulin bei gleichzeitiger Verwendung von AID-Systemen an und identifizierten Bereiche für zukünftige Forschung auf diesem Gebiet [1, 2]. Während die Nutzung von inhaliertem Insulin in Deutschland kein Thema ist, da dieses Insulin in Europa nicht auf dem Markt ist, behauptet es sich in den USA in einer Nische aufgrund seiner Vorteile:

Zum Schluss noch wie immer das Letzte

Im vergangenen Sommer hat der Bundestag das Medizinforschungsgesetz (MFG) verabschiedet – aus Sicht der Industrie eine der zentralen Säulen für die Umsetzung der Nationalen Pharmastrategie.

Es bündelt erstmals die Vorschriften zur medizinischen Forschung in Deutschland in einem eigenen Gesetz. Damit soll Deutschland als Standort für medizinische Forschung international wieder wettbewerbsfähig werden.

Die Verbesserungen, die durch das Medizinforschungsgesetz ermöglicht werden, liegen in der Zentralisierung der Gesundheitsdaten: Durch die Einrichtung des Forschungsdatenzentrums Gesundheit (FDZ Gesundheit) sollen Abrechnungsdaten aller gesetzlich Versicherten sowie zukünftig Daten aus der elektronischen Patientenakte (ePA) für Forschungszwecke pseudonymisiert bereitgestellt werden. Dies fördert die Sekundärdatennutzung und ermöglicht umfassendere Forschungsanalysen.

Weiterhin definiert das Gesetz explizit erlaubte Forschungszwecke, wie die Verbesserung der Versorgungsqualität, wissenschaftliche Forschung im Gesundheitsbereich und Unterstützung politischer Entscheidungsprozesse. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten und es gibt durchaus Verschlechterungen durch das Medizinforschungsgesetz, z.B. durch bürokratische Hürden. Die Notwendigkeit, Anträge auf Datennutzung zu stellen und diese prüfen zu lassen, verlangsamen den Forschungsprozess und verursachen zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Die Genehmigungsverfahren sind lang und strukturelle Probleme erschweren die Forschungsarbeit und führen dazu, dass Forschungsetats vermehrt ins Ausland gehen. Hinzu kommt in vielen Regionen, vor allem im ländlichen Raum, ein nach wie vor bestehender Fachkräftemangel. Last but not least behindert auch der Datenschutz den Zugang zu bedeutenden Studien, die dann lieber in anderen Ländern umgesetzt werden.

So ist Deutschland im Jahr 2016 noch die weltweite Nummer 2 nach den USA für insgesamt 641 Pharma-Studien gewesen. Inzwischen stehen wir mit 519 Studien hinter den USA, China und Spanien und nur noch knapp vor UK und Kanada (Clinicaltrials.gov, 2023).

Der Ländervergleich zeigt deutlich die Rückläufigkeit Deutschlands als Studienstandort.

Der Forschungsstandort Deutschland ist aber ein entscheidender Indikator für die wirtschaftliche und technologische Leistungsfähigkeit des Landes. Eine starke Forschungs- und Entwicklungslandschaft (F&E) trägt maßgeblich zur Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und langfristigen wirtschaftlichen Stabilität bei. Dabei gehört Deutschland zu den Ländern mit den höchsten F&E-Ausgaben, rund 3,2% des Bruttoinlandsproduktes fließen in diesen Bereich, insbesondere durch starke Industriezweige wie Automobil, Chemie, Maschinenbau und Pharma. Nach wie vor genießen deutsche Universitäten und Forschungsinstitute wie die Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft oder Helmholtz-Zentren international hohes Ansehen und nicht zuletzt fördert eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft Innovationen und die können wir gerade gut gebrauchen.

Zu allerguterletzt möchten wir Sie noch auf ein neues Fortbildungsformat der Firma Abbott in Zusammenarbeit mit uns bei diateam aufmerksam machen:

Diabetes & Technologie Congress Compact – ATTD 2025.

Nächste Woche findet in Amsterdam der Europäische Technologiekongress ATTD statt und weil sich erfahrungsgemäß nicht viele deutsche Diabetologen aus der Praxis auf den Weg dorthin machen, bringen wir die News und Erkenntnisse zu Ihnen. Ein Expertenteam macht sich vor Ort kundig und berichtet anschließend in Webinaren von den neuesten Entwicklungen und klinischen Daten. Termine und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.

Das wars für die Woche. Der Sommer, der sich vergangene Woche schon herausgewagt hatte, macht eine kurze Pause, aber das gibt uns Gelegenheit, schon mal alles für den Frühling vorzubereiten.

Wir hoffen, der weekly hat Ihnen gefallen. Nächste Woche pausieren wir, weil auch wir uns auf den Weg nach Amsterdam machen werden. Dafür berichten wir natürlich aus erster Hand, was dort diskutiert wurde.

Nun wünschen wir Ihnen noch ein schönes Wochenende, bleiben Sie trotz der schwierigen politischen Lage zuversichtlich. Es grüßen,

der wöchentliche Newsletter zu aktuellen Entwicklungen zum Thema Diabetes und Technologie.

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Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das nebenstehende Formular um sich für den diatec weekly Newsletter anzumelden!

Mit freundlichen Grüßen