Eine interessante Begleitung des Meetings war die im Raum ausgestellte „Diabetes-Kunst”. Die Bilder, Fotografien und Skulpturen wurden von Menschen mit Diabetes kreiert, um die eigenen Erfahrungen mit Diabetes auszudrücken.
Amy Tenderich ist Journalistin, lebt mit einem Typ-1-Diabetes und ist in den USA sehr gut bekannt und hochaktiv. So gab es an beiden Tagen eine bunte Mischung aus Vorträgen, Podiumsdiskussionen und „Net Working“. Die gut 150 Teilnehmer waren eine ebenso bunte Gruppe von Innovatoren, Unternehmern und Führungskräfte aus dem US-Gesundheitswesen. In einer entspannten Atmosphäre wurden die unterschiedlichen Themenbereiche intensiv und kontrovers diskutiert.
Der erste Tag wurde eingeleitet mit einer morgendlichen Podiumsdiskussion zur Nutzung von GLP-1-Analoga bei Patienten mit Typ-1-Diabetes. Der Wirkstoff Semaglutid gehört zu den so genannten Inkretinmimetika, die Darmhormone imitieren. Diese werden ausgeschüttet, sobald man etwas isst und erhöhen den Insulinspiegel. Semaglutid bindet an den Rezeptor des wichtigsten Inkretins, des Glucagon-like-Peptide-1, kurz GLP-1. Das Hormon wird im Dünndarm produziert.
Die Moderatorin der Session Molly McElwee Malloy von Locus Health erzählte, dass sie selbst innerhalb eines Jahres mit Hilfe von Semaglutid 40 Kilogramm Körpergewicht abgenommen hat. Die bekannten US-Diabetologen Dr. Anne Peters von der USC Keck School of Medicine aus Los Angeles und Dr. Viral Shah vom Barbara-Davis-Center, Colorado diskutierten mit Brandon Arbiter, einem Mitarbeiter von Tidepool, über die positiven Effekte von GLP-1. ‚Man hat einfach keinen Hunger mehr!‘ sagt Anne Peters, die sich ebenfalls GLP-1 spritzt – und dies bei einem BMI von 16 kg/m². Weitgehend ignorierend wird auch die Tatsache, dass diese Medikamente nicht für diese Patientengruppe zugelassen sind – Off-Label-Nutzung! Deutlich positiv aber sind die Erfahrungen – auch die persönlichen! – mit diesen neuen Medikamenten. Trotzdem sind noch viele Fragen offen, z.B. die offensichtlichen Versorgungsengpässe und die erheblichen Kosten bei der Nutzung dieser Medikamente, die in den USA noch deutlich höher sind als in Deutschland. Anne Peters gibt ohne Bedenken vielen Patienten mit Typ-1-Diabetes ein GLP-1 zur Insulintherapie dazu und sieht stabile Glucosewerte, manchmal ist sogar kein prandiales Insulin mehr notwendig.
Brandon Arbiter, ebenfalls ein Patient mit Typ-1-Diabetes und Mitarbeiter bei Tidepool, hatte nach einer Phase der Gewichtszunahme, bedingt durch familiärem Stress, einen BMI von 32 kg/m², entwickelt und dazu einen Insulinbedarf von 45 IE/Tag und einem HbA1c von >7% über 14 Monate. Mit Hilfe von GLP-1 konnte er alle Werte deutlich verbessern, so den HbA1c auf <6% und sein täglicher Insulinbedarf liegt heute zwischen 25 und 29 IE/Tag. Brandon hat aber auch mit Beginn der GLP-1 Therapie die Aufnahme von Kohlehydraten drastisch eingeschränkt.
Intensiv diskutiert wurde die Dosierung der GLP-1-Analoga, denn es kommt bei falscher Dosierung zu Hypoglykämien, was unter anderem auch daran liegen könnte, dass es bisher keine groß angelegten klinischen Studien bei dieser Patientengruppe gibt. Daher wurde erneut die Forderung nach einer großen Registerstudie zum Einsatz von GLP-1-Analoga bei dieser Nutzergruppe gestellt. Solch ein Register („Beobachtungsstudie“) könnte – vergleichbar mit den vielen Praxiserfahrungen bei der Nutzung von DIY AID-Systemen – dazu beitragen, die Wirkungen von GLP-1-Analoga besser zu verstehen, auch in Hinsicht auf die Anpassung der Insulindosen, Risiken und Nebenwirkungen. Im Endeffekt würde dies auch dazu beitragen, eine Erweiterung der Indikation für GLP-1-Analoga bei Patienten mit Typ-1-Diabetes zu erreichen.
Das sind tolle Effekte, es gilt aber zu bedenken, dass man die Droge lebenslang nehmen muss, sonst nimmt man alles und noch mehr wieder zu. Während der Schwangerschaft und auch 2 Monate vor der Konzeption sollte ein GLP-1-Analogon keinesfalls eingenommen werden, zur Nutzung während der Stillzeit ist nichts bekannt und manche Patienten kommen auch mit einer Dosis pro Monat aus. Und wie bekommt man es in die Erstattung? Ann Peters sagt, dass sie inzwischen jeden Patienten doppelt codiert und zwar mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes und begründet dies damit, dass Typ-2-Diabetes grundsätzlich ein metabolisches Syndrom ist. Aber auch sie fordert eine unabhängige Studie, so wie sie vor einiger Zeit mit AID DIY publiziert wurde, um das Thema Erstattung in die FDA zu bringen. Ihre Forderung lautet: Standard of Care muss GLP-1 plus CGM sein. Und eine begleitende Lebensstil-Änderung.
Der zweite Tag startete ebenfalls mit einer Podiumsdiskussion, diesmal zum Thema Startups mit Fokus auf Diabetes und wie es gelingen kann, im aktuell eher schwierigen Umfeld erfolgreich zu sein. Der Vertreter eines europäischen (!) Funds für Diabetes-Technologie (Craig Cooper, Investment Director, Diabetes Venture Fund, Schweiz) und Claudia Graham, die früher im Upper-Management bei Dexcom aktiv war und sich heute im internationalen Vorstand der JDRF und dem T1D Moonshot Impact Board von StartUp Health engagiert, haben eine Reihe von verschiedenen Aspekten in diesem Zusammenhang diskutiert und praktische Ratschläge gegeben, wie Startups im Endeffekt „erfolgreich“ sein können – wie immer Erfolg definiert wird, entweder als Verkauf an einen großen Hersteller oder den eigenen Launch eines Produktes.
Cooper hob hervor, dass etwa 75-90% der Neugründungen im Gesundheitswesen nicht überleben, und betonte, dass auch Diabetes-Startups vor dieser Problematik nicht gefeit sind. Er gab Tipps zu einer frühzeitigen Einbeziehung von Menschen mit Diabetes in die Produktentwicklung und -gestaltung, die wichtig sind für
- Die Berücksichtigung ungedeckter Bedürfnisse. Es gibt im Bereich Diabetes nach wie vor einen erheblichen ungedeckten Bedarf und eine Reihe von Möglichkeiten, den Standard der Versorgung zu verbessern. Dies bedeutet aber nicht, dass jedes neue Produkt notwendigerweise einem echten ungedeckten Bedarf abdeckt. Es gilt dabei zu vermeiden, dass eine Lösung (= Produkt) nach einem Problem sucht.
- Die Erschließung großer Marktchancen. Startups müssen ihre Produkte für einen ausreichend großen Markt entwickeln, um potenziellen Investoren die Gewissheit zu geben, dass ihr Unternehmen skalierbar ist und eine adäquate Rendite abwirft. Andernfalls ist es für Startups schwierig, Investoren zu finden. Es gilt zu beachten, dass viele Investoren den Typ-1-Diabetes als „zu kleinen Markt“ ansehen, um Investitionen zu rechtfertigen.
- Ein hervorragendes Team. Dieser Tipp klingt wie ein Klischee, aber ein erfahrenes und hochmotiviertes Team ist erforderlich, um auftretende Schwierigkeiten zu meistern.
- Überzeugende Daten und Engagement der Nutzer. Eine positive Bewertung des Produktes in frühen Entwicklungsphasen ist für dessen Erfolg entscheidend. So sollten die Teilnehmer an klinischen Studien befragt werden, ob diese das Produkt nach Abschluss der Studie weiter nutzen würden.
- Die richtigen Investoren und Partner. Startups sollten ihre Partner sorgfältig auswählen, sie müssen eine Gruppe von Investoren finden, die „den Weg verstehen“, wie z. B. vernünftige Zeitpläne für die Entwicklung und die Investitionsrenditen. Ein einzelner Investor ist wohl immer am schwierigsten zu managen, da ihm dieses Verständnis oft fehlt.
- Die Herstellung. Wichtig ist ebenfalls bei der Auswahl von Vertriebs-, Produktions- und strategischen Partnern mit Bedacht vorzugehen, da viele der Startups wenig eigenes Knowhow mit der Herstellung von Produkten in ausreichenden Mengen und Qualität haben, was in der Praxis wohl häufig zu Problemen führt.
Fazit: DiabetesMine ist wirklich ein kleines, aber feines Meeting, welches viel „Food-for-thought“ liefert. In einer Demonstrationssitzung am Freitagnachmittag konnte man sich mit Geräten von etablierten Anbietern vertraut machen, aber auch mit Systemen von innovativen Startups, wobei auch hierbei die Bandbreite beachtlich war. Sie erstreckte sich von neuen Ansätzen bei der Diabetesschulung bis zu neuen Insulinpumpen.
diatec weekly – November 24, 23
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