Wie von uns schon mehrfach kritisch dargelegt wurde, ist die Nutzung von vielen modernen Diabetes-Technologieprodukten wie Insulin-Pens und -Pumpen sowie CGM-Systeme für sehbehinderte Patienten eine Herausforderung, da diese üblicherweise nicht für diese Nutzergruppe optimiert sind. Nach Aussagen der Autoren soll dies bei dem Dexcom G6-System anders sein, hier können die Nutzer die sprachgesteuerte Siri-Funktion in Apple-Produkten bitten, ihnen die Glukosemesswerte vorzulesen.
Mit der publizierten, unkontrollierten Beobachtungsstudie überprüften die Autoren retrospektiv die Auswirkungen dieser Funktion bei sieben blinden Diabetes-Patienten mit einer intensiven Insulintherapie, einem Durchschnittsalter von 49 Jahren und einer mittleren Diabetesdauer von 43 Jahren. Vier der Studienteilnehmer applizierten das Insulin mehrfach täglich mit einem Pen, die drei anderen nutzen eine Insulinpumpe. Nach 12 Monaten wurde eine signifikante Absenkung des HbA1c beobachtet: Zu Studienbeginn lagen die Werte zwischen 7,2% und 10,0% (55-86 mmol/mol) und nach 12 Monaten zwischen 5,0% und 8,8% (31-73 mmol/mol). Darüber hinaus verbesserte sich der prozentuale Anteil der Zeit im Zielbereich (TiR; 70-180 mg/dL; 3,9-10,0 mmol/L) von durchschnittlichen 50,9% nach 3 Monaten auf 56,8% nach 12 Monaten. Dabei stieg nicht gleichzeitig der Anteil der Zeit mit Glukosewerten unterhalb dieses Bereiches (<70 mg/dL; 3,9 mmol/L) an: 2,3% nach 3 Monaten und 2,2% nach 12 Monaten. Auch die mittlere Zeit mit sehr niedrigen Werten (<54 mg/dL; 3,0 mmol/L) blieb mit 0,6% bzw. 0,4% vergleichbar. Parallel dazu ging auch die Zahl von schweren Hypoglykämien, die eine medizinische Hilfe erforderten, herunter: In den 12 Monaten vor der Verwendung des Dexcom G6-Systems mit Siri traten bei einem Patienten drei Episoden und bei fünf Patienten jeweils eine Hypoglykämie-Episode auf. Im Vergleich dazu wurden bei keinem der Patienten in den 12 Monaten mit diesem System solche Episoden registriert.
Hinzuzufügen wäre noch, dass die Siri-Funktion des Dexcom G6 die Patienten nicht von sich aus alarmiert. Die Patienten müssen die Dexcom-App auf ihrem Smartphone verwenden, damit sie mit von der Lautstärke her anpassbaren Alarmeinstellungen bei zu niedrigen oder zu hohen Glukosewerten gewarnt werden. Die Autoren denken, dass der unmittelbare Zugriff auf die CGM-Glukosewerte die Patienten entlastet, aber auch die Menschen in ihrer Umgebung.
Wir haben diese Publikation einer Fachfrau, Diana Drossel, zur Kommentierung zukommen lassen. Interessanterweise sieht sie diese Option sehr viel kritischer und würde ihr eine „5 minus“ in Schulnoten geben:
Diana’s Fazit: „Die Situation, dass ich Siri nach meinem Blutzucker fragen kann, hört sich zwar gut an, geht in Deutschland aber nur so weit, dass Siri die App Health öffnet und man dort nach dem Blutzucker von vor 3 Stunden suchen kann. Dies ist keine wirkliche Hilfe. Bei uns kann ich auf die letzten 3 Stunden nicht zugreifen. Weder über Siri noch über die Dexcom App.
Was aber wirklich absolut falsch und schlecht ist, ist die Tatsache, dass man als blinder Mensch die Alarme nicht direkt erkennen kann. Man hat zwar geschrieben, dass man sie aufgrund unterschiedlicher Töne auch so unterscheiden kann, aber es geht wirklich viel einfacher, wenn man gesagt bekommt, dass der Blutzucker bald niedrig ist.
Siri ist nicht das Zauberwort, das die Dexcom App zumindest halbwegs zugängig macht, sondern das ist VoiceOver. VoiceOver ist der Screen Reader von Apple, der alles vorliest, was nach Standards programmiert ist – und das hat Dexcom in großen Teilen getan. Diese Option ist standardmäßig bei allen Apple-Geräten verfügbar. In den Android-Geräten ist das Pendant „Talkback“. Sofern ein sehbehinderter Mensch VoiceOver eingeschaltet hat, bekommt er den aktuellen Wert in der Dexcom App mit Trendpfeil vorgelesen. Das macht übrigens kein anderes CGM-System. Was mit VoiceOver nicht geht, ist der Rückblick auf die letzten 3 Stunden und die sind doch sehr wichtig. Alles was vorher war, als ab 3 Stunden und 1 Minute, kann ich dann zwar nicht in der Dexcom App, aber dafür in Health ansehen. Das ist besonders gut, wenn ich mir die Nacht ansehen will.“
Bei Rückfragen kann Diana Drossel gerne kontaktiert werden: diana.drossel@blindentips.info
DiaTec weekly – Februar 19, 21
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Mit freundlichen Grüßen
Ein interessanter Beitrag. Und eins mal vornweg – eine Barrierefreie App (geeignet für Blinde) zu entwickeln die über das og. hinausgeht ist keine Rocketscience. Jedoch scheint das öffentliche Interesse niedrig zu sein. Anträge auf Fördermittel wurden stets abgelehnt – wegen der „geringen Anzahl Betroffener und damit mangelndem gesellschaftspolitischen Interesse“. Schade. Die Frage ist also: Wird das gebraucht oder ist das nur eine unbedeutende Randgruppe?
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