Die rasche technologische Entwicklung in diesem Bereich ist beachtlich, auch wenn es aktuell noch kein AID-System gibt, das nicht eine aktive Rolle von den Patienten mit Typ-1-Diabetes erfordert. Noch muss die Menge an Insulin zur Abdeckung des prandialen Insulinbedarfes vom Anwender festgelegt und abgerufen werden. Es gibt noch keine kommerziellen AID-Systeme, die insbesondere nach Mahlzeiten unmittelbar und adäquat auf Anstiege in der Glucosekonzentration reagieren. Wir nennen deshalb die aktuell verfügbaren AID-Systeme auch Hybrid-Systeme. Sie sind zwar bereits immens hilfreich für die automatische Insulinanpassung zwischen den Mahlzeiten und während der Nacht, jedoch stellt die Abschätzung des Kohlenhydratgehaltes der jeweiligen Mahlzeit nach wie vor eine der größten Fehlerquellen in der Diabetestherapie insgesamt dar, erfordert sie doch ein erhebliches Wissens- und Verständnisniveau des Nutzers in Hinsicht auf Mahlzeiten-Zusammensetzungen und deren Auswirkung auf dem postprandialen Glucoseverlauf.
Fortschritte werden zwar durch den Einsatz von noch schneller wirkenden Insulinanaloga wie Fiasp (Novo Nordisk, Dänemark) oder Lyumjev (Eli Lilly, USA) erreicht, diese sind jedoch eher gering ausgeprägt. Wenn man dies als Limitation bei AID-Systemen versteht, die ausschließlich auf der Applikation von Insulin beruhen, gilt es nach anderen Wegen zu suchen, z.B. gehört dazu die Applikation von weiteren Hormonen wie Glucagon oder Pramlintide. Bei diesen sogenannten dualen Hormonsystemen (Insulin ist dabei nur eines der beiden Hormone) wird zusätzlich zum Insulin ein zweites Hormon oder Medikament appliziert: Pramlintide ist ein Amylin-Analog, welches zu einer Verzögerung der Magenentleerung führt, dabei die Glucagon-Ausschüttung unterdrückt und das Sättigungsgefühl verstärkt. In den USA ist dies ein zugelassenes Medikament und mit zusätzlicher Gabe dieses Hormons bei AID-Systemen verlaufen die postprandialen Glucoseverläufe niedriger. In der klinischen Entwicklung sind auch AID-Systeme, bei denen andere zugelassene Medikamente verwendet werden, z.B. SGLT-2-Inhibitoren oder Glucagon-like-Peptide-1-Rezeptor-Agonisten.
In einer aktuellen Publikation in Lancet Digital Health wurden nun die Ergebnisse einer kanadischen Machbarkeitsstudie zur Güte der Glucosekontrolle bei Nutzung eines vollständig geschlossenen AID-System im Vergleich zu einem Hybrid-AID-System vorgestellt (Tsoukas MA et al. A fully artificial pancreas versus a hybrid artificial pancreas for type 1 diabetes: a single-centre, open-label, randomized controlled, crossover, non-inferiority trial, Lancet Digit Health 2021; doi:10.1016/S2589-7500(21)00139-4; plus einem Kommentar dazu: Boughton CK. Fully closed-loop insulin delivery – are we nearly there yet? Lancet Digit Health 2021; doi:10.1016/S2589-7500(21)00218-1). Bei dieser offenen, randomisierten, kontrollierten Crossover-Studie über zwei Studientage hinweg erfolgte die Insulinabdeckung durch ein sehr schnell wirkendes Insulin (Fiasp) bei gleichzeitiger Gabe von Pramlintide. An der Studie nahmen 28 erwachsene Patienten (≥18 Jahre) teil, die seit mindestens 12 Monaten einen Typ-1-Diabetes hatten, einen HbA1c-Wert von <12% aufwiesen und seit mindestens 6 Monaten eine Insulinpumpentherapie durchführten (mittleres Alter 35 Jahre und HbA1c-Wert 8,1% (65 mmol/mol)). Die Studienteilnehmer absolvierten die beiden ganztägigen Crossover-Interventionen in einer zufälligen Reihenfolge. Einmal erfolgte die Insulinabdeckung durch das AID-System über 27 Stunden hinweg ohne Intervention der Nutzer (= vollständig geschlossenes AID-System) durch einen automatischen Mahlzeitenerkennungsalgorithmus. Zum Kontroll-Vergleich mussten die Patienten in Abstimmung mit dem Studienpersonal nach Kohlenhydratabschätzung die Insulindosis selbst festlegten (= offenes oder hybrides AID-System). Als AID-Systeme wurden ein Dexcom CGM-System mit einer Medtronic-Pumpe (zwei davon bei Gabe von Pramlintide; Minimed 630G oder Veo) und einen von dieser Arbeitsgruppe entwickelten AID-Algorithmus verwendet. Bei dem geschlossenen AID-System wurde das Pramlintide in einem festen Verhältnis von 10 µg zu 1 U Insulin zugeführt.
Das primäre Studienergebnis war der prozentuale Anteil der Zeit, die innerhalb des Glucose-Zielbereichs (70–180 mg/dL; 3,9-10,0 mmol/L) verbracht wurde. Bei den 24 Probanden, die an beiden Interventionen teilnahmen, betrug der prozentuale Anteil der im Zielbereich verbrachten Zeit (TiR) 74,3% (Interquartil-Range (IQR) 61,5-82,8%) mit dem vollständig geschlossenen AID-System gegenüber 78,1% (66,3-87,5%) mit dem offenen AID-System (gepaarte Differenz 2,6%, 95% CI -2,4 bis 12,2%; Nicht-Unterlegenheit p=0,28). Die Differenz in der TiR zwischen den beiden AID-Systemen kann auf den höheren Anstieg in der Glykämie während der zwei Stunden nach den Mahlzeiten bei dem vollständig geschlossenen AID-System zurückgeführt werden. Acht Teilnehmer (33%) hatten mindestens ein Hypoglykämie-Ereignis (<3,3 mmol/L) mit dem vollständig geschlossenen AID-System im Vergleich zu 14 (58%) Teilnehmern mit dem offenen AID-System. Über Nebenwirkungen wie Übelkeit bei Pramlintide mit dem vollständig geschlossenen AID-System berichteten drei Teilnehmer (13%) – im Vergleich zu null Teilnehmern mit dem offenen AID-System.
Fazit: Bei gleichzeitiger Gabe von Insulin und Pramlintide war die Abdeckung des prandialen Insulinbedarfs ohne Intervention des Anwenders nicht signifikant schlechter als bei einer relativ intensiven Intervention mit Intervention durch die Anwender. Es gilt nun Studien unter Alltagsbedingungen durchzuführen, um zu evaluieren, ob AID-Systeme, die keiner Intervention durch den Nutzer mehr bedürfen, auch dann eine akzeptable (prandiale) Glucosekontrolle ermöglichen. Weiterhin stellen die Nebenwirkungen von Pramlintide bestimmt eine Hürde für die praktische Nutzung dar. Falls die Patienten diese tolerieren können, dann stellen die bekannten positiven Wirkungen davon, wie eine Reduktion des Körpergewichtes und des Insulinbedarfs, allerdings attraktive andere “Nebenwirkungen” dar. Aktuell verlangt aber die Gabe eines weiteren Hormons die Verwendung einer weiteren Pumpe zur Applikation, was die Kosten und den Handhabungsaufwand weiter erhöht.
DiaTec weekly – November 12, 21
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