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Normalerweise wäre Anfang Juni wieder eine Reihe von Deutschen Diabetologen zum diesjährigen Kongress der amerikanischen Diabetes-Gesellschaft (ADA) „gepilgert“. Dies hätte bedeutet: Riesige Kongresshallen mit endlosen Wegen, parallele Sessions und viele weitere Meetings, eine riesige Industrieausstellung und Tausende von Postern! OK, dies ist sicher ein eher fatalistischer Blickwinkel, positiver ist so: Fokussierte Berichterstattung zu den neuesten wissenschaftlichen Daten, spannende Gespräche mit vielen Kollegen sowohl aus Deutschland als auch aus dem Ausland, neue Anregungen und Inspirationen. Der 80. Kongress der ADA ist „Dank“ der Corona-Krise rein virtuell durchgeführt worden und so wird er auch in Erinnerung bleiben. Es gilt abzuwarten, ob dieser nun eine Ausnahme war, oder der erste in einer Reihe von… !
In Anbetracht der Größe des Kongresses war der Switch auf eine virtuelle Kongressdurchführung bestimmt keine kleine Aufgabe. Es wurden ca. 90% der ursprünglich geplanten Sessions durchgeführt – und dies in Zeiten, in denen in der Geschäftsstelle der ADA ein erheblicher Teil der Mitarbeiter aus Budget-Gründen „dem Arbeitsmarkt“ wieder zur Verfügung gestellt wurde…!
Im Prinzip hätte man sich nun für einige Tage vor den heimischen Computer setzen können und dort allen Sessions folgen können. Allerdings wurden die Sessions zu den gleichen Zeiten präsentiert wie ursprünglich geplant, was für uns bedeutet: ziemlich spät am Abend bis in die Nacht hinein. Da die Aufnahmebereitschaft von den Gehirnen der meisten Menschen aber nach einigen Stunden eher nachlässt, vermutlich braucht dies auch ein gewisses Training, nutzt man nun die Möglichkeit, dass die Sessions alle aufgezeichnet wurden und sich registrierte Teilnehmer sich diese nun zu Zeiten ansehen und hören können, wann es ihnen passt, inklusive der Diskussion zu den Beiträgen. Dabei wurden die Präsentationen vor den Sessions aufgezeichnet (leider mit recht unterschiedlicher Güte), die Teilnehmer konnten aber Fragen unmittelbar stellen, zumindest bei einigen Sessions. Die Präsentationen sind für registrierte Teilnehmer für 90 Tage einsehbar.
An einem virtuellen Kongress können auch Kollegen teilnehmen, die sonst aus irgendwelchen Gründen wie Kosten oder Aufwand nicht teilnehmen könnten – die Hürden für eine Teilnahme sind also niedriger. Beim diesjährigen ADA hat sich das darin gezeigt, dass der Kreis der mehr als zwölftausend Teilnehmern globaler war als normalerweise, nur ein gutes Drittel der Teilnehmer kam aus den USA.
Wir werden hier in DiaTec weekly nur von einigen wenigen Sessions / Vorträgen berichten, mehr ins Detail gehen wir an anderer Stelle (zur virtuellen Diabetes-Klinik, zu AID-Systemen). Insgesamt betrachtet wurde somit bestimmt die gleiche „Menge“ an Wissenschaft geliefert wie in den anderen Jahren, die Auswahl der Themen und Redner fand ja deutlich vor der Corona-Krise statt, allerdings gab es (aus unserer Sicht) eher wenige wirkliche Highlights, d.h. kaum bahnrechende neue Erkenntnisse im Bereich Diabetes-Technologie und Digitalisierung. Auch in anderen Bereichen gab es wohl weniger wichtige neue Daten von großen Studien als sonst, dies ist aber eben unterschiedlich von Jahr zu Jahr.
Highlights bei Diabetes-Technologie und Digitalisierung
Es fehlten zwar die absoluten Highlights zu unseren Themenbereichen, trotzdem haben sich mehr Symposien damit beschäftigt als in den Vorjahren. Das wissenschaftliche Programm wurde ja schon lange vor der Corona-Pandemie festgelegt, deshalb gab es Nichts zum Nutzen von Diabetes-Technologie bei der Betreuung von Patienten mit Diabetes unter den aktuellen Bedingungen.
Einen festen Platz im ADA-Programm hat inzwischen ein Symposium zu den AID-Systemen (Automatisierte Insulindosierung), die vor allem bei Patienten mit Typ-1-Diabetes bereits als neuer Standard bei der Diabetestherapie betrachtet werden. In diesem Jahr wurden neue klinische Studien mit AID-Systemen vorgestellt:
- Die „US Advanced Hybrid Closed-Loop (AHCL) Pivotal Safety Study“
Die nächste Generation der Medtronic-AID-Systeme (780G) wird auch bald in Deutschland kommen, deshalb sind die Ergebnisse dieser US-Studie auch für uns von Interesse. Das neue AID-System war zu 95% Nutzungsdauer aktiv und im Vergleich zu den Ausgangswerten ergab die Nutzung Verbesserungen bei allen glycämischen Parametern. Die Time-in-Range (TiR) verbesserte sich von 69% auf ca. 75%, was einem Plus von 1,4 Stunden pro Tag entspricht, der HbA1c sank um 0,5% (bei Ausgangswerten von 7,5%) und die mittlere Glucosekonzentration sank von 153 mg/dl auf 148 mg/dl ab. - Die FLAIR-Studie verglich den Outcome der 780G direkt mit der Nutzung der 670G in einem randomisierten Crossover Kopf-an-Kopf-Studiendesign. Die Studienteilnehmer bei dieser internationalen 6-Monatsstudie profitierten insgesamt deutlich von der Nutzung beider AID-Systeme, jedoch war die 780G vs. 670G bei beiden primären Endpunkten überlegen. Zeiten mit Glucosewerten >180 mg/dl während des Tages betrugen nur 34% mit der 780G vs. 37% mit der 670G (-43 min/Tag; p<0,001), ohne auf Kosten einer Zeit- Zunahme <54 mg/dl. Die 24-Stunden-Profile zeigten den stärksten Vorteil mit der 780G während der Nacht und den frühen Morgenstunden, insgesamt war aber auch der mittlere Glucosewert während des gesamten 24 Stunden-Tages niedriger.
- Ein weiteres AID-System wird in absehbarer Zeit von der Firma Insulet kommen. Bei einer Studie mit 18 Erwachsenen stieg die TiR von 66% auf 73% an (+1,7 Stunden pro Tag), bei 18 Kindern stieg die TiR von 51% auf 65% (+3,3 Stunden pro Tag).
Der Einsatz von AID-Systemen führt insgesamt betrachtet zu einer größeren Zeit im Zielbereich (Time-in-Range), reduziert die Anzahl von Hypoglykämien drastisch und verbessert die Lebensqualität der Nutzer, weil sie der Diabetestherapie weniger Aufmerksamkeit widmen müssen und sich durch ihre Erkrankung weniger belastet fühlen.
Weiterhin gab es interessante Ergebnisse bei Fortsetzungsstudien von älteren CGM-Studien, die die Sinnhaftigkeit von CGM-Nutzung sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern belegen. In einer retrospektiven Analyse einer Datenbank mit Daten der ersten Generation des iscCGM-Systems wurden beachtliche Reduktionen bei akuten Diabetesereignissen (-60%) und Krankenhaus-aufnahmen (-33%) bei 2.463 erwachsenen Patienten mit Typ-2-Diabetes und Insulintherapie beobachtet – die Patienten starteten mit der Nutzung dieses CGM-Systems im November 2017.
Spannend war auch eine Debatte zu der Frage: Kann Technologie alleine das Problem von Hypoglykämien lösen oder nicht? Dabei wurde intensiv diskutiert, ob sich die Nutzung von CGM-Systemen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes lohnt.
Fazit: Wir sind gespannt, ob der ADA 2021 wieder als virtuelles Meeting oder in konventioneller Art und Weise stattfinden wird. Es fehlt natürlich die Dynamik und auch die Anspannung, die mit Kongressbesuchen einhergeht. Gleichzeitig ist es angenehm, keinen Reiseaufwand zu haben und damit auch keinen Jetlag. Wir sind gespannt, wie der nächste internationale Kongress sein wird, dies ist der EASD im September.
DiaTec weekly – Jun 26, 20