Was steckt hinter dem Deal und was erhoffen sich die beiden Neu-Verpartnerten zu ihrer Kooperation? Insbesondere Medtronic hatte sich bisher bei Zusammenarbeit mit anderen Firmen eher zurückhaltend gezeigt und sämtliche Entwicklungen intern gemacht und nicht im Rahmen von Kooperationen mit anderen Herstellern.
Herzstück dieser Vereinbarung ist, dass die beiden Unternehmen gemeinsam ein integriertes CGM-System auf Basis der FreeStyle Libre-Sensortechnologie entwickeln wollen. Ein weiterer wesentlicher Teil der Vereinbarung ist, dass Abbott Medtronic mit einem CGM beliefern wird, welches die Insulinpumpen und Algorithmen von Medtronic für Systeme zur Automatischen Insulindosierung (AID) kombiniert und auch die Smart-Pen-Systeme von Medtronic (Smart MDI System mit dem InPen) integriert. Diese Systeme, einschließlich des Abbott-basierten CGM-System, sollen exklusiv von Medtronic vermarktet werden.
Das neue CGM-System basiert auf der FreeStyle Libre-Plattform von Abbott und hat einen ähnlichen Formfaktor wie der Libre 3. Abbott hat kürzlich auf der ADA 2024 seinen FreeStyle Libre 3 Plus-Sensor vorgestellt, der mit AID-Systemen kompatibel ist, eine verlängerte Sensortragezeit von bis zu 15 Tagen (aktuell 14) und eine erweiterte Altersangabe auf zwei Jahre und älter bietet. Es ist noch gar nicht so lange her, da war der Einsatz von des Libre 3 in AID-Systemen noch kontraindiziert, ähnlich wie bei FreeStyle Libre 2.
Abbott unterhält nun Partnerschaften mit vier der größten Unternehmen, die AID-Systeme entwickeln und bietet damit Menschen auf der ganzen Welt mehr Möglichkeiten, von der Konnektivität mit der Libre-Technologie zu profitieren
Medtronic gab nach Vertragsabschluss bekannt, dass das Unternehmen zwar von der jüngsten Partnerschaft mit Abbott begeistert sei, an seiner grundsätzlichen Market-Access-Strategie jedoch nichts verändern wolle, sondern weiterhin an der eigenen Pipeline arbeiten, um für Patienten mit intensiver Insulintherapie auch zukünftig innovative AID-Konzepte zu entwickeln. Dazu gehören neue und bessere AID-Systeme, innovative Insulinpumpen in verschiedenen Varianten, Smart-Pens, CGM-Systeme und verbesserte Algorithmen. In Zusammenarbeit mit Arecor Therapeutics entwickelt Medtronic beispielweise eine implantierbare Insulinpumpe der nächsten Generation. Im Mai 2024 kündigten beide Unternehmen – Arecor und Medtronic – die Entwicklung von zwei ultraschnell wirkenden Insulinen an. Bei diesen Entwicklungen geht es auch um ein neuartiges, hochkonzentriertes, thermostabiles Insulin, das auf eine direkte Aufnahme durch die Leber abzielt. Einzelheiten der implantierbaren Pumpe wurden von Medtronic bislang nicht veröffentlicht.
Fazit: Man könnte diese Entwicklung als ein Eingeständnis von Medtronic interpretieren, dass die eigenen CGM-Systeme nicht mit denen von Abbott und Dexcom mithalten können. Ein echter Schwachpunkt bei den AID-Systemen von Medtronic kann dadurch perspektivisch ausgemerzt werden, vermutlich weniger von der Technologie her, sondern von den Herstellungskosten und der Verfügbarkeit von großen Stückzahlen.
Aus dem Headquarter von Medtronic wurde die Behauptung energisch zurückgewiesen, dass die Partnerschaft mit Abbott ein großer Strategiewechsel sei. Das Unternehmen glaube weiterhin an seine Diabetes-Technologie und die CGM-Systeme von Medtronic könnten mit den CGM-Systemen der großen Anbieter insbesondere in Bezug auf Genauigkeit, Tragedauer und Kalibrierung mithalten. Die Partnerschaft sei jedoch eine Möglichkeit, die größte CGM-Basis der Welt zu erschließen und zusätzlich die eigene Basis dadurch zu vergrößern und auch Patienten zu erreichen, die lieber Abbotts CGM-Systeme verwenden würden. Ob Simplera, das neue CGM-System von Medtronic, welches in der EU und den USA (dort nur für bestimmte Produkte) zugelassen ist, eine Zukunft hat, wird sich zeigen.
Abbott hingegen erhält Zugang zu einer Nutzergruppe, die ihr CGM-System bisher nicht oder nur in einem eingeschränkten Ausmaß genutzt hat, ob nun aus Gründen der Genauigkeit oder weil es Menschen mit Diabetes gibt, die gerne ein AID-System aus einer Hand haben wollen. Wie auch immer, es wird spannend sein zu sehen, wie dies den Markt für Diabetes-Technologie aufrollt und wie er sich weiterhin entwickelt.
Für Dexcom kann die Kooperation einen kräftigen Gegenwind bedeuten. Möglicherweise werden zukünftig auch andere Anbieter CGM-Systeme von Abbott/Medtronic nutzen, Abbott ist bereits bei einer Reihe von Systemen vertreten, die Konkurrenten von Medtronic sind, z.B. Tandem und Insulet.
Bei alledem wird die Kernfrage auch in Zukunft sein: Wer soll das bezahlen? Anders gefragt: Wie sieht es mit den Kosten für das neue CGM-System aus, wie läuft der Vertrieb, nur über Medtronic oder machen dies beide Außendienste parallel? Dies könnte der Verbreitung und Nutzung von CGM und AID in der Breite der Patientenversorgung einen kräftigen Pusch geben, auch für das Krankenhaus.
Aktuell liegt die Anzahl von AID-Nutzern weltweit in der Größenordnung von ca. 1,2 Millionen, bei CGM liegt sie um den Faktor 10 höher. Da alle Zeichen in Richtung AID weisen, auch für die Typ-2-Therapie, dürfte sich dieses Verhältnis in Zukunft ändern.
diatec weekly – Aug 30, 24
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