Kirsten Nørgaard arbeitet in diesem dänischen Diabetes-Zentrum in Kopenhagen. Bei der diesjährigen Frühjahrstagung der DDG hat sie in der BVKD-Session einen spannenden Vortrag zum Thema Diabetes und Gesundheitsversorgung in Dänemark sowie zur Rolle des Steno Diabetes Center gehalten, vor allem darauf, wie dort der Einsatz von Technologie bei der Diabetesbehandlung gehandhabt wird, was „Stenopool“ ist und welche Veränderungen dies bei der Patientenbetreuung bedeutet.
Grundsätzlich unterscheidet sich das dänische Gesundheitssystem in vielen Aspekten von dem Deutschen. So ist die öffentliche Gesundheitsversorgung kostenlos, das gilt auch für die Technologie, die zur Behandlung benötigt wird. Es gibt eine zentrale Personenregisternummer (CPR), die im Gesundheitswesen und bei allen öffentlichen Dienstleistungen verwendet wird. Die elektronische Patientenakte für jeden Patienten gibt die Möglichkeit zur Verknüpfung großer Datenbanken mit Daten auf individueller Ebene. In den Krankenhäusern sowie in den Steno-Diabeteszentren werden Menschen mit Typ-1-Diabetes (T1D) sowie mit einem komplizierten Typ-2-Diabetes (T2D), andere Arten von Diabetes und außerdem alle Kinder und Jugendliche behandelt. Beim Hausarzt verbleiben die Menschen mit Typ-2-Diabetes ohne Komplikationen und auf kommunaler Ebene gibt es noch Einrichtungen zu Rehabilitation, z.B. für Menschen mit einem Typ-2-Diabetes.
Das Steno-Diabetes-Zentrum in Kopenhagen wurde vor gut 100 Jahren gegründet und ist seit dieser Zeit der „Leuchtturm“ für die Diabetesbehandlung in Dänemark. Es hat aktuell gut 500 Mitarbeiter, die ca. 12.000 Patienten (1.000 Kinder, 6.000 T1D, 5.000 T2D) betreuen. Es gibt Abteilungen für die klinische Diabetesversorgung, Fachärzte für Endokrinologie und Pädiatrie, Diabetesberater, Diätassistenten, Bewegungsphysiologen, Podologen, Augenärzte, Kardiologen und Zahnärzte. Zusätzlich findet auch klinische und translationale Forschung statt und es gibt Abteilungen, die sich um Ausbildung und Gesundheitsförderung kümmern. Hinzu kommen Steno-Zentren in jeder Region Dänemarks, auf Grönland und den Färöer-Inseln. Das Steno-Diabetes-Zentrum in Kopenhagen ist dabei das älteste dieser Krankenhäuser.
Auch in Dänemark gibt es eine fast schon explosionsartige Zunahme bei der Nutzung von Systemen für CGM und die automatisierte Insulinabgabe (AID), mit weltweit mehr als 10,5 Millionen bzw. 1,5 Millionen Nutzern. Im Steno-Diabetes-Center in Kopenhagen werden mehr als 25 verschiedenen Geräte verwendet: Blutglucose-Messsysteme, CGM-Systeme, Insulinpumpen und AID-Systeme. CGM-Systeme werden bei allen Menschen mit T1D eingesetzt, außerdem bei einigen mit T2D. Insulinpumpen werden verwendet bei 40% aller Erwachsenen mit T1D und 90% der Kinder/Jugendlichen.
Bedingt durch die Bandbreite der eingesetzten Medizinprodukte hatte das Steno-Zentrum das gleiche Problem wie deutsche Zentren auch: Jeder Gerätehersteller hat seine eigene Plattform für die Kommunikation/Datenspeicherung entwickelt, zusätzlich können durch die kommerzielle Plattform Glooko die Daten von Geräten kleinerer Unternehmen hochgeladen werden. Im Alltag wird es dann schwierig, wenn ein Mensch mit Diabetes mit der Insulinpumpe eines Herstellers behandelt wird und gleichzeitig ein CGM-System eines anderen Herstellers verwendet. De facto macht dies es fast unmöglich herauszubekommen, was der Grund für eine nicht optimale Glucosekontrolle zu einem gegebenen Zeitpunkt war. Deshalb wurde im Jahr 2019 mit der Entwicklung von „Stenopool“ begonnen, was auf der amerikanischen Open-Source-Plattform von Tidepool basiert. Dabei wurden mehrere Änderungen vorgenommen, um diese Plattform an die alltäglichen Anforderungen in Dänemark und den Vorgaben beim Datenschutz anzupassen. Es gibt aktuelle Publikationen hierzu [1].
Den Datenfluss in diesem Tool wird durch diese Abbildung veranschaulicht:
Ihren Alltag bei der Nutzung von Stenopool legte die Rednerin anschließend sehr anschaulich dar. Dabei logt sie sich in die gleiche Seite ein wie auch der Patient mit Diabetes und über dessen Registernummer werden nur seine Daten sichtbar. Die Glucosedaten werden als eine Art AGP über einen Tag hinweg dargestellt, wobei die berücksichtigten Daten über einen Zeitraum von 7 bis 90 Tagen ausgewählt werden können, sowie die verwendeten CGM-Systeme/Insulinpumpe. Bei dem AGP-Bericht können nur Wochenenden oder Wochentage angezeigt werden. Die Daten können auch im longitudinalen Verlauf angezeigt werden, dabei wird nicht nur der Glucoseverlauf angezeigt, sondern auch wann die Katheter der Pumpe gewechselt wurde. Bei Bedarf können individuelle Tage angeschaut werden und es können Daten eines Aktivitätstreckers hinzugewählt werden.
Für den täglichen klinischen Einsatz werden derzeit einfache Clinical-Decision-Support-Tools für Ärzte entwickelt. Ein solches Entscheidungstool soll dabei helfen, verpasste oder zu späte prandiale Insulinboli zu erkennen [2]. Nach einem Punktesystem werden Patienten mit Bedarf für medizinische Unterstützung detektiert und dem Health Care Professional Team nach Dringlichkeit zur Intervention auf einem Dashboard angezeigt.
Die Implementierung eines solchen Tools hat auch Rückwirkungen auf die Abläufe bei der Patientenbetreuung, so soll diese in Zukunft („StenoLife”) noch mehr individualisiert („One size does not fit all“), digital unterstützt und nach Bedarf erfolgen, um unnötige Kontakte zu vermeiden. Es soll zuerst immer eine digitale/virtuelle Interaktion geben und physische Kontakte nur noch dann, wenn sie notwendig ist. Es gibt auch ein Tool mit dem netten Namen „Detektor“, welche bei den Patienten eingesetzt wird, die selten zu einer Visite kommen. Durch ein „remote“-Patienten-Monitoring sollen abnormale Werte erkannt werden und Konsultationen nach Bedarf erfolgen.
Fazit: Dänemark, du hast es besser!
- Selmer C, Green A, Madsen S, Johannesen M, Jensen MT, Nørgaard K. Stenopool: A Comprehensive Platform for Consolidating Diabetes Device Data. J Diabetes Sci Technol. 2024:19322968241264761. Epub 20240723. doi: 10.1177/19322968241264761. PubMed PMID: 39044480; PubMed Central PMCID: PMCPMC11571449.
- Laugesen C, Ritschel T, Ranjan AG, Hsu L, Jørgensen JB, Svensson J, et al. Impact of Missed and Late Meal Boluses on Glycemic Outcomes in Automated Insulin Delivery-Treated Children and Adolescents with Type 1 Diabetes: A Two-Center, Population-Based Cohort Study. Diabetes Technol Ther. 2024;26(12):897–907. Epub 20240624. doi: 10.1089/dia.2024.0022. PubMed PMID: 38805311; PubMed Central PMCID: PMCPMC11693967.
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