Mit ersten Erhebungen zeigt ein 21-seitiger Report von MedTech Europe die Dramatik der Situation auf. Um konkrete Zahlen und Informationen zur aktuellen Situation zu erhalten, hat diese europäische Vereinigung der Medizinproduktehersteller eine Befragung ihrer Mitglieder durchgeführt und die Ergebnisse in diesem Report zusammenfassend präsentiert. Die Daten weisen sicher einen gewissen Bias bei ihrer Beurteilung der Situation auf, nichtsdestoweniger haben an dieser Umfrage immerhin 475 Hersteller von Medizinprodukten teilgenommen und diese decken 60-70% des gesamten Umsatzvolumens in Europa ab. Die Erhebung zeigt, dass es für mehr als >85% der mehr als 500.000 Medizinprodukte, die bereits eine Zulassung hatten, bis dato noch keine Zertifikate nach MDR nachweisen können! Warum ist das so? Die Zeitdauer, bis ein Zertifikat durch die dafür zuständigen „Benannten Stellen“ ausgestellt wird, beträgt zwischen 13 und 18 Monate, ein Zeitraum, der schlicht doppelt so lang ist wie dies früher gedauert hat. Auch für sogenannten Bestandsprodukte ist eine komplett neue Zulassung nach der MDR notwendig. Für alle neuen Produkte und für Produkte in hohen Risikoklassen dauert der Zertifizierungsprozess – wie vermutlich nicht anders zu erwarten – besonders lange. Hinzu kommt aktuell eine gravierende Überlastung der Benannten Stellen, die deshalb auch nur in einem recht eingeschränkten Ausmaß mit den Antragstellern kommunizieren können.
Da sich auch die benannten Stellen für die MDR (neu) akkreditieren mussten und die Voraussetzungen/Anforderungen an die Qualifikation deutlich gestiegen sind und nicht alle Benannten Stellen („Notified Bodies“; NB) sich für die MDR akkreditiert haben (zur Zeit nur 32 NB (EUROPA – European Commission – Growth – Regulatory policy – NANDO) im Vergleich zu ca. 75 NB zu MDD-Zeiten), werden die Preise für Neuzulassungen im allgemeinen (darin enthalten auch die Neuzulassungen für Bestandsprodukte) deutlich ansteigen (Zitat eines NB: „Fallen Sie nicht vom Stuhl, wenn wir Ihnen ein Angebot über die Kosten der Zulassung nach der MDR zukommen lassen“). Stichtag für alle Produkte ist der 26.5.2024, bis dahin muss jedes Medizinprodukt ein MDR-Zertifikat aufweisen, damit es in Europa noch verkauft werden darf. Zusätzlich sind die Anforderungen an die klinische Prüfung strenger geworden, so dass eine klinische Prüfung über Literaturrecherche nur noch in ganz seltenen Ausnahmefällen möglich ist. Das bedeutet, dass für viele Medizinprodukte zur Zulassung die Ergebnisse einer klinischen Studie vorliegen müssen. Und schließlich gibt es für Produkte mit hohem Risiko (z.B. implantierbare Klasse III und aktive Klasse IIb zur Abgabe von Arzneimitteln (darunter fallen auch AID-Systeme!) ein Konsultationsverfahren (Scrutiny). D.h. nicht die Benannte Stelle entscheidet, ob die Klinische Bewertung ausreichend ist, sondern ein Expertengremium der Kommission. Das ist deutlich aufwendiger und es wird einzig und allein nach Aktenlage (also dem, was die Benannte Stelle dem Expertengremium vorlegt) entschieden.
Nun haben die großen Hersteller von Medizinprodukten eigene Abteilungen, um die notwendigen Anträge zu erstellen. Sie sind auch mit den Zulassungsbehörden in einem intensiven Gesprächs-Austausch und das gilt für ca. 70% der eingereichten Anträge. Diesen Aufwand können sich viele der kleineren Hersteller de facto nicht oder nur unter großen Anstrengungen leisten. Für die Hersteller ist die Unvorhersehbarkeit des zeitlichen Ablaufs des Zertifizierungsprozesses ein erhebliches planerisches Problem. Wie will man auch Herstellung und Markteinführung eines Produktes planen, wenn nicht vorhersehbar ist, was dies erfolgen kann? Mehr als 50% der Teilnehmer an dieser Umfrage plant deshalb Reduktionen in ihrem Produkte-Portfolio, um ihren Aufwand zu reduzieren und immerhin ein Drittel dieser Firmen will die von ihnen hergestellten Medizinprodukten vom Markt nehmen, das gilt für alle Produktkategorien. Mindestens 15% der kleinen bis zu 30% der mittelgroßen Firmen (sogenannte „SMEs“) haben aktuell keine etablierten Kommunikationskanäle mit einer Benannten Stelle, die MDR-Zertifikate ausstellen kann.
Bei international aktiven Firmen führt dies dazu, dass etwa die Hälfte der an dieser Befragung Teilnehmenden die Bedeutung des EU-Marktes intern herunterstufen, insbesondere, wenn um die Erstzulassung von innovativen Produkten geht. Weiterhin geben mehr als >20% der Teilnehmer an, dass es zu Verzögerungen bei der Ausstellung der Zertifikate kommt, da fortwährend neue oder geänderte Dokumente zur Auslegung der MDR durch die dafür zuständige Stelle publiziert werden (die „Medical Device Coordination Group“; MDCG).
Die zuständigen Behörden und EU-Politiker haben bei der Abfassung der MDR sicherlich und berechtigterweise die Skandale mit Medizinprodukten (s. Brustimplantate) der letzten Jahre im Hinterkopf gehabt. Trotzdem erscheint es, als sei hier ein riesengroßer Papiertiger geschaffen worden, denn dabei geht es im Wesentlichen bei der Einreichung: stapelweise Papier mit diversen Auflagen zur Dokumentation. Ob das jemals jemand liest und ob dadurch die Patientensicherheit signifikant verbessert wird, darf getrost bezweifelt werden! Wer betrügen will und deshalb mit krimineller Energie vorgeht, wird dies immer noch tun können, zumal keine konkrete Kontrolle vor Ort erfolgt, sondern nur Unmengen an „Papier“ bewegt wird. Dabei ist das Wort Papier ernst zu nehmen, dies ist kein moderner digitalisierter Prozess, sondern einer, der diverse Aktenordner für jedes einzelne Medizinprodukt füllt.
Fazit: Ein klarer Appell unsererseits am Ende dieses Reportes ist, gemeinsam über Fachgrenzen hinweg eine dringende Botschaft an die Politik zu richten, dass es mit dem Fortbestand der jetzigen Regelungen nicht nur zur Verminderung der Patientensicherheit, sondern auch zum Stopp der Entwicklung von innovativen Produkten kommt. Dies wiederum führt dazu, dass Patienten in Europa von Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Medizintechnik im Hinblick auf Diagnostik und Therapie ausgeschlossen werden.
DiaTec weekly – September 9, 22
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Mit freundlichen Grüßen
Hallo Herr Heinemann,
ich schreibe ihnen auf Grund ihres Newsletters diese Woche. Sie haben darin geschrieben warum es keinen Unabhängigen YouTube Kanal für eben die verschiedenen Systeme gibt. Ich persönlich betreibe den YouTube Kanal sandys diabetes loop, bei dem es primär über das Thema AAPS DIY closed loop geht. Aktuell arbeiten wir daran ein Video zu machen zu den aktuellen loop Systemen. Also Cam APS mit ypso pump, das Medtronic System mit der 780 der T-slim mit dem Control IQ und natürlich AAPS. Es ist ein großes Thema und ich weis noch nicht wieviel teile es werden. Denn es ist doch umfangreich. Um aber die Systeme genau vorstellen zu können muss man eben diese auch nutzen. und da kommt das Problem. Ich werde nicht von allen Herstellern die Systeme zum vorstellen bekommen !!! Wenn das möglich wäre das man jedes System 8 bis 12 Wochen testen dürfte um auch die schwächen des Systems zu erkennen. den Umgang damit üben könnte, könnte man sicherlich dahin gehen einiges machen.
Ich für meinen teil versuche aber verschiede Kanäle zusammen zu bringen damit jeder sein System vorstellen kann. so teilt sich die Arbeit auf und auch spezifische Fragen können besser beantwortet werden.
Leider weis ich noch nicht wie erfolgreich es wird, aber ich bleibe dran. Ich freue mich natürlich auch über Unterstützung.
Vielen Dank
Mfg
Sandy