Bei klinischen Studien werden üblicherweise einige Hundert Patienten über einen definierten Zeitraum beobachtet, dies allerdings recht genau und mit Erfassung von weiteren Angaben. Als Alternative dazu können bei der Auswertung von den Hersteller-Datenbanken die Ergebnisse einer Vielzahl von Patienten über deutlich längere Zeiträume detaillierte Aussagen zu den Glucoseverläufen gemacht werden. Ein weiterer Vorteil von solchen „Real-World-Auswertungen“ ist, dass nicht – wie bei klinischen Studien durch die üblichen Ein- und Ausschlußkriterien – ganze Patientengruppen wie besonders junge oder alte oder kranke Patienten ausgeschlossen werden. Deshalb können auf Basis von RCT-Studien zu vielen Patientengruppen eigentlich auch keine Aussagen gemacht werden – oder nur mit eingeschränkter Evidenzgrundlage.
Ein Bias gibt es aber doch, denn für Auswertungen dürfen nur dann gespeicherte Daten ausgewertet werden, wenn die Anwender dazu ihr Einverständnis gegeben haben. In der Praxis erfolgt dies wohl in den meisten Fällen, auch wenn der Eine oder Andere möglicherweise nicht so recht überblickt, wozu man eigentlich zustimmt. Hinzu kommt, dass viele andere relevante Angaben zu den Anwendern und deren Therapie nicht zur Verfügung stehen und es werden Ergebnisse von Menschen aus recht unterschiedlichen Gesundheitssystemen, Behandlungsansätzen und Ländern munter miteinander vermischt. Deshalb können solche Auswertungen zwar einen Eindruck von der „Gesamtwirksamkeit“ der jeweiligen Medizinprodukte liefern, spezielle Vor- oder Nachteile lassen sich daraus aber eher nicht ableiten. Dies erklärt auch, warum oftmals beachtliche Unterschiede bei den Ergebnissen von klinischen Studien und Real-World-Studien beobachtet werden.
In einer aktuellen Publikation werden die Ergebnisse einer solchen Auswertung mit einem nun auf dem deutschen Markt eingeführten AID-System beschrieben (1). Das MiniMed™ 780G System verfügt über einen „Advanced Hybrid Closed Loop“ (AHCL)-Algorithmus, der sowohl die automatische Anpassung der Abgabe von Basalinsulin als auch die Applikation von Korrekturboli bei Bedarf ermöglicht. In diese Real-World-Auswertung wurden Daten einbezogen, die von August 2020 bis März 2021 von Anwendern aus Belgien, Finnland, Italien, den Niederlanden, Katar, Südafrika, Schweden, der Schweiz und Großbritannien hochgeladen wurden. Die Daten wurden aggregiert und retrospektiv analysiert, um den mittleren Glukose-Management-Indikator (GMI), den prozentualen Anteil der Zeit, die die Patienten innerhalb (TiR), unterhalb (TBR) und oberhalb (TAR) des glykämischen Zielbereichs verbracht haben, zu evaluieren. Ausgewertet wurden auch die Systemnutzung der Anwender und deren Insulinverbrauch nach der Einführung von AHCL. Hier die Ergebnisse: Von den insgesamt 4.120 Anwendern lagen Daten über einen Zeitraum von durchschnittlich 54±32 Tagen vor. Während dieser Zeit verbrachten sie durchschnittlich 94±11% der Zeit in AHCL, erreichten dabei einen mittleren GMI von 6,8±0,3%, eine TiR von 76±9%, eine TBR von 3±2% und eine TAR von 21±9%, nachdem sie mit AHCL begonnen hatten. 77% bzw. 79% der Nutzer erreichten eine TiR von >70% bzw. einen GMI von <7,0%.
Fazit: Stichwort gute Nachrichten: Dies sind beeindruckende Ergebnisse, zeigen sie doch, wie viele Patienten bei der Nutzung eines solchen AID-Systems ein gute bis sehr gute Glucosekontrolle erreichen – und dies unter Alltagsbedingungen. Alle Fragen und Gedanken zu datenschutzrechtlichen Aspekten mal außen vorgelassen stellt die Analyse von Real-World-Daten eine wichtige weitere Informationsquelle zum Nutzen von Medizinprodukten dar. Es gilt auch mal festzuhalten, dass die Daten, die die Hersteller sammeln und nutzen, von unserem Gesundheitssystem bezahlt werden! Da sollte auch mal die Frage erlaubt sein, wem diese Daten am Ende eigentlich gehören?
Wir werden sicher viele weitere solche Auswertungen in Zukunft präsentiert bekommen und hoffentlich auch bald welche von deutschen Anwendern der 780G. Das stimmt hoffnungsvoll für die nächste Stufe in der Diabetes-Therapie, doch machen wir uns nichts vor. Eine Automatisierung der Diabetes-Therapie ist die automatisierte Insulindosierung noch nicht. Der gut geschulte Patient ist als Steuermann nach wie vor unabdingbar.
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Da Silva J, Lepore G, Battelino T, Arrieta A, Castaneda J, Grosman B, et al. Real-world Performance of the MiniMed 780G System: First Report of Outcomes from 4’120 Users. Diabetes Technol Ther. 2021.
DiaTec weekly – Oktober 08, 21
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