Schon wieder müssen wir uns eine neue Abkürzung merken: TiTR – Time-in-Tight-Range. Gemeint ist damit ein Glucosebereich zwischen 70 und 140 mg/dl (4-8 mmol/l), der einfach besser zu den Werten passt, den Menschen ohne Diabetes üblicherweise aufweisen. Ohne Diabetes liegen die Glucosewerte zu 96% der Zeit in diesem Bereich, nur in 2,4% der Zeit zeigen sich höhere Werte, die zwischen 140-180 mg/dl (8-10 mmol/l) liegen. Hinzu kommt, dass aktuell immer noch Kinder mit einem Typ-1-Diabetes, der vor dem 10. Lebensjahr diagnostiziert wird, Lebensjahre im Vergleich zu stoffwechselgesunden Kindern verlieren.
Ein weiteres Argument ist, dass es durch die Verfügbarkeit von AID-Systemen vergleichsweise einfach und sicher möglich ist, von vornherein eine TiTR anzustreben, anstatt nur auf eine höhere TiR zu zielen. In diesem Sinne wurden bereits die Leitlinien der ISPAD aktualisiert: „Ein Behandlungsziel nach der anfänglichen Remissionsphase bei insulinbehandelten Kindern unter 7 Jahren ist >50% TiTR oder >70% TiR. Kurz nach der Diagnose, während der Remissionsphase, ist eine höhere TiTR der TiR vorzuziehen.“
Dies sehen auch die Experten aus der Diabetes-Technologie-Szene so. Bereits beim EASD im Herbst des letzten Jahres diskutierten Tadej Battelino aus Ljubljana, Slowenien und Sufyan Hussain aus London, UK die Umstellung auf die TiTR bei der Diabetestherapie. Battelino vertrat dabei die Ansicht, dass TiTR aufgrund des erhöhten Risikos für langfristige Komplikationen im Zusammenhang mit Hyperglykämien im Vergleich zu TiR ein gutes Ziel ist und zeigte Daten, die die Komplikationsraten im Zusammenhang mit Hyperglykämien belegen. Dazu gehörten auch Daten, die einen besorgniserregenden Rückgang der kognitiven Funktion und Demenz im Zusammenhang mit anhaltenden Hyperglykämien zeigen (Celis-Morales et al. 20221; Srikanth et al. 2019; Yu et al. 2023). Nach Meinung Battelinos sollte also Ziel sein, möglichst viel Zeit in der Euglykämie zu verbringen.
Hussain dagegen erörterte die mentale Belastung, die das Erreichen einer hohen TiTR mit sich bringen kann und zeigte Hindernisse auf, die es Patienten und ihren Therapeuten schwermachen, eine hohe TiTR zu erreichen. Dazu gehören seiner Ansicht nach Probleme bei der Festlegung der Insulindosierung, eine anhaltende Motivation, weil es viel Arbeit erfordert, eine Normoglykämie aufrechtzuerhalten, ein erhöhtes Hypoglykämierisiko, wenn häufige Korrekturen vorgenommen werden und vor allem die mentale Belastung und der konkrete Aufwand zur Erreichung einer guten TiTR. Um dies zu veranschaulichen, präsentierte er eine Fallstudie: Eine 32-jährige Frau, deren Vater an diabetesbedingten Komplikationen gestorben, wies eine „Time-below-Range“ von 34% auf. Durch intensive Betreuung konnte diese Zeit auf 8% gesenkt werden. Allerdings hatte diese Frau dafür 142 Mal am Tag auf ihr CGM geschaut!
Medtronic hat Daten ermittelt, die zeigen, wie ein AID-System (MiniMed 780G) die TiTR verbessern kann. Dafür wurden Carelink-Daten von mehr als 10.000 Menschen mit Typ-1-Diabetes untersucht, die älter als 15 Jahre waren und über CGM-Daten aus der Zeit vor der Verfügbarkeit des AID-Systems verfügten. Die TiTR stieg von 37% im Auto-Modus auf 49% im Auto-Modus. Beachtlich war die signifikant bessere TiTR bei den 530 Personen, die „optimalen Einstellungen“ (= Zielwert von 100 mg/dl (5,6 mmol/l) und eine aktive Insulinzeit von 2 Stunden) verwendeten. Deren TiTR lag bei 57%. Es wäre zwar schon ein Fortschritt, wenn die Mehrheit der Menschen mit Typ-1-Diabetes die internationalen Empfehlungen für die TiR-Zielwerte erreichen würde (was derzeit noch nicht der Fall ist), wenn man nach noch besseren Ergebnissen strebt, dann ist dies eine Option.
Es gibt also durchaus gute Gründe, eine noch bessere glykämische Kontrolle anzustreben. Ob die TiTR aber tatsächlich ein besserer Parameter als die TiR, um Komplikationen zu verringern, ist aktuell noch nicht ausreichend belegt. Hier nochmal beide TiRs zum Vergleich:
- Time in Tight Range (TiTR): 70-140 mg/dl (4-8 mmol/l)
- Time in Range (TiR): 70-180 mg/dl (4-10 mmol/l)
Fazit: Beim EASD konnte das Publikum direkt diskutieren, ob das Streben nach einer höheren TiTR durchaus eine zusätzliche Diabetesbelastung auslösen könnte. Von anwesenden Menschen mit Diabetes wurde angemerkt, dass vor allem die „Zeit im Glück“ nicht vergessen werden sollte. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie wichtig die TiTR wirklich ist und ob und wie wir sie als weiteren Zielparameter nutzen können, ohne die Menschen mit Diabetes zusätzlich zu belasten.
Angesichts der psychischen Belastungen, die das Erreichen einer höheren TiTR mit sich bringt, ist es unabdingbar, auch die Diabetesbelastung zu messen und psychologische Beratung in die Diabetesversorgung für Menschen mit Diabetes einzubeziehen. Viele Zuschauer lehnten während der Diskussion die Idee von TiTR ab. Battelino erinnerte das Publikum daran, dass es sich um eine Option handelt und nicht jeder Patient sie verwenden muss. Allerdings wird bei dem nationalen Diabetesregister in Schweden der TITR nun als Benchmark für Kinder verwendet.
diatec weekly – Januar 19, 24
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