Zunächst möchte ich sagen, dass mir persönlich die erste digitale DiaTec Veranstaltung und der darauffolgende T1Day echt gut gefallen haben. Klar wäre mir eine Veranstaltung vor Ort mit persönlichen Kontakten lieber, aber da das nicht möglich war, habe ich mich über das digitale Angebot sehr gefreut. Ich habe einiges Neues mitgenommen. Danke an alle Verantwortlichen und Referenten.
Doch nun zum eigentlichen Thema. Als ehemaliger Krankenkassenmitarbeiter liebe ich natürlich das Sozialgesetzbuch (SGB V) und habe gelernt damit umzugehen. Immer dann, wenn einem die Argumente ausgingen, konnte man sich auf die Paragraphen aus dem SGB berufen und schützend zurückziehen. Meist wurde das Wirtschaftlichkeitsgebot zitiert und im Sinne der Kasse ausgelegt. Wirtschaftlichkeit hat aber nicht immer nur etwas mit dem Vertragspreis eines Hilfsmittels zu tun. Hier sind noch viele andere Parameter wichtig und notwendig. Aber das ist ein anderes Thema.
Aber das Sozialgesetzbuch regelt auch die Ansprüche der Patienten und beschreibt Abläufe, die vielleicht nicht immer so stattfinden.
Eine Insulinpumpe ist ein Hilfsmittel. Versicherte haben gemäß § 33 SGB V Anspruch auf die Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Die Insulinpumpen müssen mindestens die im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 2 SGB V festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte erfüllen, soweit sie im Hilfsmittelverzeichnis nach § 139 Absatz 1 SGB V gelistet oder von den dort genannten Produktgruppen erfasst sind. Nun folgt ein Auszug aus der Verfahrensordnung des Hilfsmittelverzeichnisses:
Ziel der Verfahrensordnung ist es, einen rechtlichen, strukturierten und für alle Beteiligten nachvollziehbaren Rahmen zu schaffen, damit die Aktualität des Hilfsmittelverzeichnisses gewahrt bleibt. Dies ermöglicht den Versicherten, die auf eine Hilfsmittelversorgung angewiesen sind, die Teilhabe am medizinisch-technischen Fortschritt und stellt für sie einen hohen Versorgungsstandard sicher.
In den Verträgen der Krankenkassen mit den Leistungserbringern ist dies ebenfalls vermerkt. „Die medizinischen und technischen Mindestanforderungen an die Qualität und die Ausführung der Hilfsmittel in den Produktuntergruppen ergeben sich aus den Anforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses gem. § 139 SGB V“.
Ebenso kann man § 2 SGB V hinsichtlich „Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen“ zitieren.
Als erstes Fazit kann man also ziehen, dass der Versicherte grundsätzlich einen Anspruch auf eine Insulinpumpe z.B. mit einer rtCGM Schnittstelle hat, die einen neuen medizinischen/technischen Fortschritt bietet.
Das bedeutet zunächst für die Praxis, dass eine Neuversorgung mit einer Insulinpumpe nur dann in Betracht kommt, wenn das Hilfsmittel technisch nicht mehr funktioniert. Hier gibt es aber auch keinen Automatismus, dass nach Ablauf der Garantie von 4 Jahren eine Neuversorgung erfolgt. Bei einem Defekt innerhalb der Garantie wird das vorhandene Hilfsmittel in der Regel 1:1 kostenfrei ersetzt. Wenn das Hilfsmittel einen Defekt nach Ablauf der Garantie aufzeigt, hat der Versicherte grundsätzlich wieder einen Anspruch auf eine Neuversorgung mit einer Insulinpumpe. Beispielsweise mit einer rtCGM Schnittstelle und einem intelligenten Algorithmus.
Aber was passiert, wenn wie bereits beschrieben, diese Punkte (noch) nicht zutreffen, aber der Versicherte am medizinisch/technischen Fortschritt jetzt teilhaben möchte, um seine Therapie nachhaltig zu verbessern?
Eine Neuversorgung mit einem Hilfsmittel ist grundsätzlich immer dann möglich, wenn es dafür medizinische Gründe gibt!
Selbstverständlich sollten diese Gründe durch den behandelnden Diabetologen ausreichend begründet werden können. Voraussetzung ist auch, dass die bisherige Therapie mit den bereits vorhandenen Hilfsmitteln, trotz korrekter Handhabung, nicht zu den gewünschten Therapiezielen geführt hat oder die neue Hilfsmittelversorgung zu besseren Ergebnissen führen kann.
Die medizinischen Verbesserungen können sich beispielsweise auf den HbA1c Wert, die Zeit im Zielbereich (TIR) und der Vermeidung bzw. Reduzierung von Hypo – und Hyperglykämien beziehen. Natürlich geht es hier auch immer um eine Verbesserung des Gesundheitszustandes und eine bessere Prognose hinsichtlich Folgeerkrankungen. Weitere Punkte könnten die Reduzierung der therapiebedingten Aufwände und Belastungen der Patienten und deren Angehöriger, Bewältigung krankheitsbedingter Schwierigkeiten im Alltag und eine Erhöhung der Adhärenz bedeuten.
Wie wir alle aus der Vergangenheit wissen, war und ist es nicht immer einfach die medizinischen Notwendigkeiten gegenüber der Krankenkasse und dem medizinischen Dienst nachzuweisen. Wichtig sind nachvollziehbare (medizinische) Begründungen seitens des Diabetologen und zumindest temporäre Tagebuchaufzeichnungen (digital und/oder schriftlich) des Patienten. Eine reine Verbesserung des Handlings der Pumpe würde ich als nicht ausreichende Begründung für einen vorzeitigen Austausch sehen.
Auch das Wirtschaftlichkeitsgebot darf nicht unerwähnt bleiben. Sicherlich ist es für eine Krankenkasse nicht immer nachvollziehbar, wenn aktuell und künftig alle 1-2 Jahre ein Neuantrag für eine Insulinpumpe eingeht und die bereits für mindestens 4 Jahre bezahlte Pumpe auf einmal nicht mehr ausreicht. Aber dieser rasant fortschreitenden technischen Entwicklung muss man sich stellen und auch über mögliche Veränderungen nachdenken. Die Zeiten sind vorbei in denen jeder Versicherte seine Pumpe mindestens 4 Jahre getragen bzw. die Pumpe für diese Zeit voll und ganz ausgereicht hat.
Vielleicht müssen die Krankenkassen, Hersteller und Leistungserbringer gemeinsam über neue Vertragsmodelle nachdenken. So gibt es beispielsweise schon vereinzelt zumindest Jahresverträge für Insulinpumpen. Oder die Hersteller bieten eine Rücknahme der Pumpe mit einer Gutschrift über die Restlaufzeit an. Ggf. übernimmt der neue Pumpenlieferant sogar die Differenzkosten? Wenn es sich um den gleichen Hersteller handelt wären auch nur Updatezahlungen möglich. Damit könnte man auch den bürokratischen Aufwand vieler Neuanträge für alle Beteiligten deutlich verringern.
Somit wäre neben der zwingenden medizinischen Notwendigkeit auch der Wirtschaftlichkeit Genüge getan. Alle wären zufrieden und glücklich.
Mein persönliches Fazit ist, dass sich Patient und Diabetologe/ BeraterIn zu diesem Thema austauschen und Neuversorgungen nur bei bestehenden medizinisch notwendigen Indikationen rezeptiert werden. Auf dem Rezept muss dann u.a. stehen, dass es sich um eine medizinisch notwendige Neuversorgung handelt. Ansonsten lehnt die Kasse mit der Begründung „Doppelversorgung“ zurecht ab. Erfolgt jedoch die Neuversorgung aus rein medizinischen Gründen muss die Kasse dies durch den Medizinischen Dienst (MDK) prüfen lassen. Die Einreichung dieser medizinischen Unterlagen geht nicht an die Kasse, sondern direkt zum MDK. Auch das ist klar geregelt.
Andreas Karch, im Nachgang zum T1 Day 2021 – Erklärungen, Hinweise & Möglichkeiten zu Fragen aus dem Chat.
DiaTec weekly – Februar 12, 21
Artikel teilen & drucken
Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das untenstehende Formular um sich für den DiaTec weekly Newsletter anzumelden!
Mit freundlichen Grüßen
Moin von der nordfriesischen Küste,
wegen eines Wechsels zu einer anderen Insulinpumpe während der Vertragslaufzeit zu einer anderen habe ich folgende Frage: wie ist es geregelt wenn der Kundendienst bei einer defekten Insulinpumpe seitens des Anbieters (hier VitalAire) einfach verweigert wird, so daß ich zum Beispiel vor drei Wochen mit einer defekten Insulinpumpe allein war und mangels funktionierendem CGM (wegen defekter t:slim X2) nach oben entgleiste und in einer Ketoacidose endete …? Weil die Verweigerung des Kundendienstes mehrfach passierte würde ich gerne bei nächster Gelegenheit zu einem zuverlässigeren Modell wechseln.
Mit freundlichem Gruß
Martin Hausmann