Nun ist es also da, das heiß diskutierte Digitale Versorgungsgesetz, kurz DVG. Am Donnerstag der vergangenen Woche wurde das Gesetz im Bundestag verabschiedet, trotz aller Kritik, die sich vor allem auf die Finanzierbarkeit von digitalen Gesundheitsleistungen und auf den Datenschutz beziehen und so sieht der zeitliche Ablauf aus: Zum 1. Januar 2020 wird es in Kraft treten, Eintritt der Rechtsverordnung ist für den 1. April 2020 geplant und ab dem 1. Juli sollen dann die vorläufigen Aufnahmen in das DiGA-Verzeichnis (Digitale Gesundheitsanwendungen nach §33a SGB V) möglich sein, um als vorläufige Aufnahme und Erprobung für 12 Monate erstattungsfähig zu sein.
Jens Spahn, unser Bundesminister für Gesundheit hat es also geschafft, das Gesetz erstaunlich zügig durch die Institutionen zu bringen. Wir waren interessiert an seiner Argumentation und präsentieren deshalb hier Auszüge aus seiner Rede vor dem Bundestag:
„Seit Jahren heißt es, dass wir bei der Digitalisierung in Deutschland zu langsam sind. Wir wollen jetzt Geschwindigkeit machen, um unser Gesundheitswesen fit zu machen für die digitale Zukunft. Die digitale Gesundheit ist tatsächlich kein Selbstzweck. Es geht darum, dass wir die Versorgung von Patientinnen und Patienten in Deutschland konkret im Alltag durch bessere Information, bessere Kommunikation besser machen. Das ist das Leitmotiv: Bessere Versorgung für die Patienten in Deutschland!“ (…) Wir werden das erste Land auf der Welt sein, in dem die gesetzlichen Kassen das Ganze finanzieren, wenn es einen Mehrwert gibt. Wir zeigen damit für viele, viele andere, wie man es machen kann. Und, ja, das ist auch ein Stück Neuland. Ja, wir werden zum ersten Mal Maßstäbe festlegen müssen, wie man einen solchen Mehrwert, einen Zusatznutzen von digitalen Gesundheitsanwendungen misst.“
Entwickler von Gesundheits-Apps werden aber nachweisen müssen, dass ihre Programme zum Selbstmanagement von Krankheiten oder Dokumentation von Medikamenteneinnahmen einen medizinischen Mehrwert bieten. Das muss allerdings erst nach einjähriger Erprobungsphase der Fall sein, bis dahin darf eine App ein Jahr lang vertrieben werden, ohne dass ein evidenzbasierter Nachweis über die Wirksamkeit erbracht werden muss.
Wer entscheidet in diesem Zeitraum über Sinn und Nutzen einer App?
Der behandelnde Arzt kann in den allermeisten Fällen die Güte und Mechanismen einer Software nicht beurteilen, das wurde und wird im Medizinstudium auch nicht vermittelt. Der Gesetzgeber spricht von positiven Versorgungseffekten, für die als Nachweis „Fallberichte, Expertenmeinungen, Anwendungsbeobachtungen, Studien oder sonstige valide Erkenntnisse“ dienen sollen und nicht unbedingt wissenschaftlich fundierte Studien, so wie es bei pharmakologischer Intervention der Fall ist. Aber weiter im Text:
„Das zweite große Thema, das angesprochen wurde, ist wichtig, weil es sensibel ist. Gesundheitsdaten sind die sensibelsten Daten, die es gibt. Deswegen braucht es Datenschutz und Datensicherheit auf höchstem Niveau. Es braucht auch deswegen ein Stück Tempo, weil wir sehen, dass wir nicht allein sind auf der Welt. Wir haben das chinesische Modell eines Überwachungsstaates, das für den Staat auch die Gesundheitsdaten, die Krankheitsdaten aller Bürgerinnen und Bürger genau wissen und auswerten will. Wir haben das US-amerikanische Modell eines Überwachungskapitalismus, in dem Großkonzerne die Daten sammeln und Profit machen. Jetzt geht es um die Frage, ob wir in der Lage sind und sein wollen, hier in Deutschland, in Europa, mit unserer Vorstellung von Patientensouveränität, mit unserer Vorstellung von Datenschutz und Datensicherheit tatsächlich unser Modell zu entwickeln, um selbst die Dinge zu gestalten. Wenn wir noch zwei, drei Jahre länger warten und nur wissen, was alles nicht geht, dann werden wir nur noch erleiden, was entweder aus China oder den USA kommt, aber sicher nicht mehr selbst gestalten. Unser Anspruch ist, selber zu gestalten. Deswegen machen wir dieses Gesetz.“
Der effektive Schutz der persönlichen Gesundheitsdaten ist und bleibt immens wichtig und wir haben in Europa mit der DSGVO ein hohes Gut für Datensicherheit und Datenschutz erreicht. Gleichzeitig haben wir Lücken und Defizite in der derzeitigen Versorgungsforschung, die eine gute Datenlage als Grundlage für die Klärung der realen Versorgungssituation benötigt. Versorgungsforschung nützt jedem Einzelnen von uns, denn nur damit können politische, medizinische und gesellschaftliche Konsequenzen gezogen werden.
Unser Fazit: Im Spannungsfeld „Digitale Gesundheitsleistungen als Ergänzung zur klassischen Therapie“ versus „Wir-lassen-einfach-alles-so-wie-es-ist“ bewegen wir uns nun mit dem DVG.
Wer aber letztes denkt und auch so handelt, wird möglicherweise schon bald überholt. Die digitale Zukunft gestalten, das ist es doch, was wir wollen. Haben wir doch einfach mal ein wenig Mut und schauen, was passiert, wenn die digitale Medizin Fahrt aufnimmt. Bremsen können immer noch gezogen werden.
DiaTec weekly – Nov 15, 19