Next Generation
Herzlich Willkommen zum diatec weekly,
vor zwanzig Jahren haben wir zufällig bei einer Hochzeit in den Staaten jemanden kennengelernt, der zu seiner aktiven Zeit als Programmierer in einem großen Rechenzentrum in Arizona gearbeitet hatte. Er erzählte uns die amüsante Geschichte, wie dort in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts drei junge Männer auftauchten und einen Computer kaufen wollten. Das Geld dafür hatten sie sogar dabei: Eine Million Dollar in cash in einer Sporttasche. Nachdem die Mitarbeiter des Rechenzentrums herzlich gelacht und dann gefragt hatte, was um alles in der Welt sie denn mit einem der damals noch raumfüllenden Riesen-Computer wollten, erklärten die drei, sie bräuchten ihn als technische Vorlage, um einen Personal Computer, heute besser bekannt als PC, zu entwickeln und damit die gesamte Menschheit auszustatten. Der Rest ist Geschichte, denn einer der drei jungen Männer hieß Bill Gates und war der Gründer von Microsoft.
Seitdem ist eine rasante Entwicklung vonstatten gegangen. Es gab PCs zunächst sehr teuer für Auserwählte, dann bezahlbar für alle bei Aldi und Lidl. Sie wurden zu Smartphones und schließlich zu Autos. Seit einiger Zeit übernehmen mehr und mehr KI-Systeme die Steuerung und berechnen mittlerweile viele Prozesse ganz selbstständig, z.B. die Erinnerung an den nächsten Termin oder wo ich gerade bin, wenn ich irgendwo hinwill. Noch eine Erinnerung: Apps, heute aus quasi jedem Geschäftsbereich nicht mehr wegzudenken sind, wurden erst vor etwa 15 Jahren entwickelt und auch nicht von Microsoft oder Apple, sondern von kreativen Usern und unabhängigen Firmen.
Whats next? Nachdem jahrelang systematisch die Hardware verbessert wurde – immer kleiner, immer mehr Speicherkapazität und immer mehr Batterieleistung – kommen nun neue Chips auf die Märkte und wollen nicht weniger als eine neue Ära einläuten. Ziel ist hohe Leistung bei wenig Energieverbrauch, was dem zunehmenden Einsatz von KI sehr entgegenkommt, denn die ist ein Energiefresser. Frontrunner hierbei ist bislang das britische Unternehmen ARM, die ihre Chips bereits seit längerem in Smartphones und Autos einbauen und die sich dort bewährt haben. Nun soll diese Technologie auf den PC übertragen werden. Daran arbeiten die großen Tech-Unternehmen und das geht, weil das Ökosystem von ARM offen angelegt ist und viele, auch die großen Unternehmen ihre Chips auf Basis der Befehlssätze von ARM übernommen haben.
Was genau bringt uns das? Neue leistungsstarke Chips verfügen über mehrere Prozessorkerne, die gleichzeitig arbeiten können, was die parallele Verarbeitung von Aufgaben erleichtert. Anspruchsvolle Anwendungen wie Videobearbeitung und künstliche Intelligenz können schnell und effizient ausgeführt werden und sie sind optimiert für KI- und maschinellen Lernalgorithmen. Höhere Taktraten steigern die Geschwindigkeit der Berechnungen bei geringerem Energieverbrauch und längerer Akkulaufzeit und sie sorgen für Laptops, die noch flacher und leichter werden und das zu erschwinglichen Preisen. Last but not least beinhalten sie fortschrittliche Sicherheitsmerkmale, die das Risiko von Cyberangriffen verringern.
Ähnlich wie anfangs beim Smartphone sind die meisten Anwendungen noch gar nicht erfunden. Aber sie werden die Kreativität von Usern wecken und die Bedürfnisse von Unternehmen inspirieren. Microsoft will schon bald eine Funktion freischalten, die sich Recall nennt und alles aufzeichnet, was man so tut. Man gibt dann einfach per Sprach-Modul ein: Ich habe letzte Woche ein Video über ein Interview zum Thema „Neues aus der Chipswelt“ gesehen oder einen Artikel zur „Zukunft des Computer“ gelesen und das System zeigt das Video oder ruft den Artikel auf. Sie können Gespräche mit den Figuren aus ihren Lieblingsspielen führen, KI macht‘s möglich. Sprachmodule übersetzen in Echtzeit unser gesprochenes Wort in die gewünschte Sprache und Chats und Chatbots sollen mit dieser Technologie besser überwacht werden, um bei Sicherheitsbedenken sofort einzuschreiten.
Ein „little big brother“ also, der uns nicht mehr verlassen wird, denn die Liste der Möglichkeiten ist wohl unendlich lang und diese neue Technologie wird unser aller Leben ein weiteres Mal kräftig aufschütteln. Und uns dazu nötigen, neue Computer zu kaufen, denn nach den Dürrejahren haben die Hardware-Hersteller nun wieder Argumente, um die Kunden zum Kauf eines neuen PCs zu bewegen. Microsoft etwa, deren Windows-Version 11 wird sich auf älteren Geräte nicht mehr ausführen lassen.
Sie finden das großartig? Oder beängstigend? Wir sind uns da nicht sicher. Fakt ist, dass uns die bisherigen Möglichkeiten im privaten IT-Bereich als überwiegend nützlich erscheinen. Es ist hilfreich, die Termine nicht mehr in einen Kalender an der Wand einzutragen, sondern direkt ins Smartphone, das sich dann auch noch mit allen anderen Endgeräten und auf Wunsch auch mit denen der Family, Friends und Kollegen abgleicht. Es ist wunderbar, sich per App zum gewünschten Zielort fahren zu lassen, ohne zerfledderte Karte auf dem Schoß. Restaurant- und Kinobuchungen, Flüge und ganze Urlaube, Einkäufe, Bankgeschäfte und Arzttermine – alles wird heute mit einer handtaschengroßen Device erledigt. Ob eine permanente Überwachung von allem und jedem, was wir so tun oder lassen und dann auch noch als großartig erscheinen mag? Wir werden sehen.
Die Themen der Woche: Wir stellen Ihnen Stelo vor, den ersten freiverkäuflichen Sensor von Dexcom. Die Hypo-METRICS-Studie im zweiten Artikel hat mal verglichen, ob die selbst wahrgenommen Hypoglykämien mit den vom Sensor eines CGM-Systems aufgezeichneten übereinstimmen und der dritte Beitrag ist der Ergebnisbericht des Innofond-Projekts GestDiNa_basic – Nachsorge bei Gestationsdiabetes. Bleiben Sie dran!
Der Markt für CGM-Systeme rotiert weiter: Nach den Ankündigungen von Abbott und Medtronic über die gemeinsame Entwicklung von Sensoren für CGM kommt das erste freiverkäufliche System auf den Markt. Vorerst nur in den USA und mit den Finessen des modernen Marketings begleitet kommt:
Stelo von Dexcom – der erste Over-The-Counter (OTC)-Glucose-Biosensor
Exklusiv – zumindest bis auf Weiteres, bringt Dexcom in den USA nun das erste freiverkäufliche CGM-System auf den Markt. Zugelassen von der FDA wurde das System bereits im März 2024 für Patienten mit Typ-2-Diabetes ab 18 Jahren, die kein Insulin verwenden. Erhältlich ist es ohne weitere Verordnung über eine Website, daneben hat Dexcom eine Webinar-Kampagne mit dem Namen „Welcome to Stelo: Personalizing Choices, Revolutionizing Glucose Health“ initiiert.
Wenn Patienten mit Diabetes über Hypoglykämien berichten, stimmen sie dann mit den Hypos überein, die von den CGM-Systemen erkannt werden? Gibt es mehr oder weniger erlebte, wahr genommene oder gefühlte Hypos als in den Glucose-Aufzeichnungen? Bislang gab es dazu keine Daten, aber nun hat eine europäische Forschergruppe diese Fragestellung in einer 10-wöchigen Studie untersucht und kürzlich in Diabetes Care veröffentlicht:
Die Hypo-METRICS-Studie
Bevor es CGM-Systeme gab, mussten sich die Diabetes-Teams auf die Angaben oder Aufzeichnungen in den Tagebüchern der Patienten verlassen, wenn es um Häufigkeit, Dauer und Schwere von Hypoglykämien ging. Mit CGM kamen dann die Aufzeichnungen über 24 Stunden, vor allem die lückenlosen Aufzeichnungen während der Nacht. Seitdem wird darüber diskutiert, ob die Systeme tatsächlich mehr sehen als die Patienten selbst wissen oder empfinden. Nun wurde diese Fragestellung in einer Studie mit dem Namen „Hypoglycaemia – Measurement, Thresholds and Impacts“ (Hypo-METRICS) untersucht und die Ergebnisse in Diabetes Care publiziert.
In unserem dritten Thema geht es um Gestationsdiabetes (GDM), eine der häufigsten Stoffwechselerkrankungen während der Schwangerschaft. Schätzungen, wie viele schwangere Frauen einen GDM entwickeln, schwanken stark mit zwischen 4% und 20%. Frauen mit GDM haben gegenüber Frauen ohne GDM ein deutlich erhöhtes Risiko, in den folgenden Jahren an Typ 2-Diabetes (T2DM) zu erkranken. Deshalb ist die Nachsorge der jungen Mütter wichtig und auch in den Leitlinien gefordert, aber die Realität sieht leider anders aus. Ein Inno-Fondprojekt hat die aktuelle Nachsorge-Situation untersucht und jetzt den Ergebnisbericht veröffentlicht:
GestDiNa_basic – Nachsorge bei Gestationsdiabetes
Die Leitlinien der diabetologischen Fachgesellschaft definieren zwar die Nachsorge für Frauen nach GDM, vermutlich werden die meisten Mütter allerdings nicht angemessen und leitliniengerecht nachbetreut. Ein Grund kann sein, dass ungeklärt ist, wer die Leistungen übernimmt und wie der Ablauf koordiniert werden kann, der sich an den Nahtstellen zwischen geburtshilflicher, diabetologischer, gynäkologischer, pädiatrischer und hausärztliche Versorgung abspielt. Dies resultiert in Unter-, aber auch Über- und Fehlversorgung. Zudem ist wenig darüber bekannt, warum Nachsorgeleistungen in Anspruch genommen werden und warum nicht, auch weil sich der Blutzuckerspiegel in den meisten Fällen nach der Geburt wieder normalisiert und die jungen Mütter mit der Säuglingspflege beschäftigt sind.
Zum Schluss wie immer das Letzte
Heute mal das wirklich Allerletzte: Ein Mann ist gestorben! Er war der Onkel unseres Nachbarn, Mitte 80 und eigentlich noch in guter Gesundheit. Der Hausarzt schickte ihn für einen kleinen Eingriff ins Krankenhaus. Die Familie, die nur noch aus seiner 95-jährigen Schwester besteht und besagtem Neffen, versucht nach einiger Zeit, ihn zu erreichen. Als man endlich – nach drei Wochen – mit dem Hausarzt spricht, erkundigt sich dieser im Krankenhaus, weil er auch nichts gehört hatte und auch keinen Bericht erhalten hat. Auf seinen Anruf hin erfährt der Hausarzt, dass der Mann nach einigen Tagen im Krankenhaus verstorben ist und das man offenbar übersehen hat, ihn zu informieren. Schlimm? Es wird noch schlimmer – denn die Familie erkundigt sich nun über den Verbleib des Leichnams und erfährt, das wisse man nicht. Niemand auf der Station oder aus dem Arztzimmer konnte etwas über den Verbleib des Onkels sagen, wer ihn abgeholt und wer ihn bestattet hat.
Nun ist das Ganze in der nicht so kleinen Stadt Köln passiert und dort gibt es geschätzte 100 Bestattungsunternehmen. Die alle durchzutelefonieren und nachzufragen würde dauern. Aber die eigentliche Frage ist doch diese hier: Wie kann das sein? Wie kann ein gut organisiertes Krankenhaus in einem durchregulierten Gesundheitssystem vergessen, einen zuweisenden Hausarzt nicht über den Verbleib eines Patienten zu informieren und dann nicht mal zu wissen, was eigentlich mit der sterblichen Hülle geschah? Von allein wird sie nicht gegangen sein.
Die medizinische Versorgung in Krankenhäusern ist doch eine essenzielle Säule der modernen medizinischen Versorgung. Wir haben große Fortschritte in der Medizintechnik und in den Behandlungsmethoden erreicht, warum finden wir keine Lösungen für die lösbaren Probleme, die da wären Personalmangel, Überlastung und Zeitdruck, Kommunikationsprobleme durch mangelnde Digitalisierung und Kommunikationsprobleme, ökonomischer Druck durch finanzielle Engpässe und last but not least eine nicht vorhandene Fehlerkultur in den Kliniken? Warum haben wir aufgehört, den Patienten als das zu sehen, was er ist – als einen Menschen, der es verdient, bestmöglich versorgt zu werden und das nicht nur medizinisch?
Mit Hilfe einer funktionierenden elektronischen Patientenakte wäre der Hausarzt automatisch informiert worden, hätte die Familie benachrichtigen können und diese hätte sich um die Bestattung kümmern können. Dazu wäre nicht mal ein zusätzlicher Personalaufwand erforderlich gewesen, niemand hätte zum Telefon greifen müssen bzw. das vergessen können. Wenn wir ernsthaft und nachhaltig die Qualität der Patientenversorgung verbessern wollen – und Patienten sind wir früher oder später Alle einmal – muss es endlich eine umfassende und nachhaltige strukturelle Veränderung geben, die sowohl die Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals als auch die Infrastruktur, Digitalisierung und Finanzierungsmodelle berücksichtigt und ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Effizienz und hoher Behandlungsqualität schafft.
Wir haben so vieles geschafft und so schwer kann das doch nicht sein.
So, das war unser Freitagswort zum Wochenende, wir haben Sie hoffentlich nicht zu nachdenklich gestimmt. Nun wünschen wir Ihnen ein entspanntes Wochenende und grüßen herzlich,
Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das nebenstehende Formular um sich für den diatec weekly Newsletter anzumelden!
Mit freundlichen Grüßen