Klonoff basiert den Ansatz zu diesem Parameter auf die beiden Fragen, die sich ein Kliniker stellt, wenn er sich mit einem Patienten dessen CGM-Verläufe anschaut: 1. Wie gut geht es dem Patienten? und 2. Welche Therapieänderungen sind erforderlich, wenn es dem Patienten nicht gut geht? Er argumentierte, dass die TiR zwar eine gut etablierte und leicht verständliche Kennzahl ist, die aber die Aussagen von sechs anderen wichtigen CGM-Kennzahlen (die mittlere Glykämie, die Variabilität im Glucoseverlauf sowie die Zeit mit Glucosewerten >250 mg/dl, >180 mg/dl, <70 mg/dl, <54 mg/dl) nicht berücksichtigt. Die Kombination dieser Parameter zusammen mit dem TiR in einem zusammengesetzten Score soll nun eine bessere Verlaufsbewertung von Patienten sowie die Analyse von Gesundheitsdaten ermöglichen.
Die Gewichtung der verschiedenen Parameter in dem glykämische Risikoindex erfolgte auf der Grundlage der Bewertung von insgesamt 225 CGM-Kurven durch 330 Kliniker mit Erfahrung bei der Auswertung solcher Profile, dabei hat jeder der Kliniker einen Teil der Kurven angeschaut. Die Kliniker sollten dabei mindestens 20 Patienten pro Monat sehen bei denen sich deren CGM-Profile anschauen. Weiterhin haben daran 80 Wissenschaftler mit einem Hintergrund bei der Bewertung von CGM-Profilen mitgearbeitet. Die an diesem Projekt beteiligten hochkarätigen Statistiker haben durch aufwändige Rechenverfahren aus den Bewertungen den unabhängigen Beitrag jeder der sieben aus den CGM-Profilen abgeleiteten Variablen ermittelt. Der GRI berücksichtigt auch die klinischen Auswirkungen von Datenpunkten, die „außerhalb des Bereichs“ liegen, wobei Hypoglykämien stärker gewichtet werden als Hyperglykämien. Noch mehr Gewicht bekommen schwere Hypoglykämien sowie schwere Hyperglykämien. Vier Variablen, Hypoglykämie, schwere Hypoglykämie, Hyperglykämie und schwere Hyperglykämie, erklären dabei fast die gesamte Variabilität zwischen den Einstufungen durch die Kliniker.
Eine interessante Visualisierung des GRI ist die als Datenpunkt eines gegebenen Patienten zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem Diagramm, bei dem die Hypoglykämie-Exposition auf der y-Achse dargestellt wird, und die Hyperglykämie-Exposition auf der x-Achse. Dabei ist das Raster in dem Diagramm in Quintile unterteilt, die die fünf Stufen des GRI darstellen, vom niedrigsten Risiko-Quintil (Werte 0-20) bis zum höchsten Risiko-Quintil (Werte 80-100). Dies hilft dabei zu erkennen, wie sich Änderungen bei der Therapie auswirken und wie ein Patient im Vergleich mit anderen dasteht.
Fazit: Die Zusammenfassung der diversen Informationen aus einem CGM-Profil zu EINER Zahl erlaubt eine rasche Beurteilung, wie gut es einem Patienten geht. Entsprechende Ansätze solche Größen zu berechnen hat es schon vielfach gegeben (auch in Deutschland, das Glucose-Pentagon), bisher haben sich diese in der Praxis allerdings eher wenig durchgesetzt. Durch die Gewichtung in Hinsicht auf Hyperglykämie- und Hypoglykämie-Bereiche – je nach klinischer Bedeutung – kann bei diesem Risiko-Index gezielter auf den jeweiligen Patienten eingegangen werden. Veränderungen des Glykämie-Risikos, sowie des von Hypoglykämien und Hyperglykämien über mehrere CGM-Profile hinweg in einer einzigen Abbildung zu sehen hilft nicht nur dessen Situation zu beurteilen, sie hilft auch bei der Risiko-Stratifizierung des Patienten.
Es liegt eine starke Korrelation zwischen dem GRI und der TiR vor (r=0,91), aber die Unterschiede zwischen den Werten sind klinisch signifikant. Der Redner argumentierte, dass ähnlich wie bei dem klassischen Vergleich der verschiedenen Werte für die TiR mit einem HbA1c-Wert von 7% („die vielen Gesichter eines 7%-HbA1c“) es auch verschiedene Gesichter einer TiR von 64% gibt. Der Vergleich von zwei CGM-Profilen, eines mit TiR-Werten von 63% und 65%, ergaben sich GRI-Werte von 78 bzw. 38, was auf Risiken im zweithöchsten und zweitniedrigsten Quintil hindeutet. Der GRI liefert bei diesem Beispiel Aussagen, die bei alleiniger Verwendung des TiR verschleiert würden.
Der GRI ermöglicht es Leistungserbringern, leichter Veränderungen in der Glucosekontrolle ihrer Patienten im Laufe der Zeit besser zu verfolgen als mit AGP-Berichten (Ambulatory Glucose Profiles). Klar ist aber, es gibt noch viel zu tun, bevor dieser neue Parameter regelmäßig in der klinischen Praxis eingesetzt wird. Insbesondere sind klinische Studien erforderlich, um zu beurteilen, inwieweit es sich um ein klinisch aussagekräftiges Ergebnis handelt und mit welchen, wenn überhaupt, langfristigen Ergebnissen diese Kennzahl korreliert ist. Eine entsprechende prospektive Studie ist aber wohl in der Vorbereitung. Wichtig wird es sein zu sehen, ob die Hersteller von CGM-Systemen die Berechnung dieser Kennzahl in ihre Auswertungssoftware übernehmen.
DiaTec weekly – November 26, 21
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Mit freundlichen Grüßen
Interessanter Beitrag! Erinnert mich stark an den Ansatz des Pentagon Modells von Dr. Andreas Thomas (Medtronic). Falls Interesse besteht: https://www.researchgate.net/figure/The-Comprehensive-Glucose-Pentagon-CGP-Compared-to-the-original-Glucose-Pentagon_fig6_318741441