Bei Typ-1-Diabetes kann der Körper nicht mehr den Blutzuckerspiegel regulieren, weil das Immunsystem, ein Netzwerk aus Zellen und Proteinen, das den Körper vor Infektionen schützt, fälschlicherweise die körpereigenen insulinproduzierenden Beta-Zellen in den Langerhansschen Inseln im Pankreas angreift und diese zerstört. Nun suchen Diabetesforscher seit Jahrzehnten nach Möglichkeiten, zerstörte Betazellen durch funktionsfähige zu ersetzen.
In den frühen 1990er Jahren entwickelte ein Team von der University of Alberta in Edmonton, Kanada eine Methode zur Transplantation von Betazellen von verstorbenen Spendern in Menschen mit Typ-1-Diabetes, was die Erfolgsrate und die Sicherheit des Verfahrens verbesserte. Aber obwohl solch eine Transplantation es manchen Menschen ermöglicht, für einen gewissen Zeitraum ohne exogene Zufuhr von Insulin auszukommen, gibt es nicht genügend Spender, um die weltweit rund 8,7 Millionen Menschen mit Typ-1-Diabetes mit gesunden Betazellen zu versorgen. Außerdem müssen Transplantatempfänger starke immunsupprimierende Medikamente einnehmen, um zu verhindern, dass ihr Körper die Spenderzellen abstößt.
Nun erhoffen sich Forscher – mal wieder – Fortschritte bei der Heilung von Diabetes, indem sie Stammzellen verwenden anstelle von Betazellen eines verstorbenen Spenders. Stammzellen sind junge, unspezialisierte Zellen, die sich noch nicht zu einer der vielen verschiedenen Zellarten wie Nervenzellen, Muskelzellen oder eben Betazellen des Körpers entwickelt haben. Erwachsene und Kinder haben Stammzellen überall im Körper im Knochenmark oder Fettgewebe. Es gibt auch embryonale Stammzellen, die von drei bis fünf Tage alten Embryonen stammen.
Unter bestimmten Bedingungen und mit den richtigen biologischen „Anweisungen“ kann sich eine Stammzelle zu jedem dieser Zelltypen entwickeln. Nun versucht man einen potenziell unbegrenzten Vorrat an gesunden Betazellen aus Stammzellen zu züchten, damit sich die ursprünglichen Stammzellen im Labor vermehren und reifen können. Dieser Prozess würde das Problem der Versorgung mit gesunden Betazellen beheben, dabei ist aber die Versorgung mit Betazellen nur eines der Probleme die es zu lösen gilt, denn wenn diese Stammzellen zu Betazellen heranreifen, bleibt das grundsätzliche Problem bestehen: Das Immunsystem greift sie an und zerstört sie. Gibt es aber vielleicht einen Schutz neuer Betazellen vor dem Immunsystem?
Es muss also ein Weg gefunden werden, das Immunsystem daran zu hindern, die transplantierten Zellen anzugreifen, ohne dass starke immunsupprimierende Medikamente erforderlich sind. Forscher haben nun mehrere Strategien in Betracht gezogen, um den Angriff des Immunsystems ohne den Einsatz von Medikamenten zu stoppen. Einer davon ist „Kapselung“: Gesunde Betazellen werden in eine Art „Beutel“ gegeben, der eine physische Barriere bildet und sie vor dem Immunsystem schützt. Solche Beutel bestehen aus Materialien, die es den Betazellen ermöglichen, Insulin freizusetzen und Nährstoffe aus dem Blut zu gewinnen, ohne dass das Immunsystem sie angreifen kann. Die Einkapselung allein ist jedoch möglicherweise nicht die Antwort, denn der Körper kann ja auch den gesamten Beutel mit den Betazellen abtrennen. Eine weitere Strategie zum Schutz implantierter Betazellen ohne immunsuppressive Medikamente ist die immerhin mit einem Nobelpreis ausgezeichnete Gen-Editing-Technologie namens CRISPR: Wenn ein fremdes Material, z.B. ein Virus oder eine transplantierte Betazelle, eine genetische „Signatur“ hat, die sich von den eigenen Zellen der Person unterscheidet, zielt das Immunsystem darauf ab, dies zu zerstören. CRISPR ermöglicht es jedoch, den genetischen Code bzw. die DNA einer Gruppe von Zellen mit äußerster Präzision zu verändern. Diese Methode wird heutzutage häufig verwendet, um Medikamente, landwirtschaftliche Produkte oder gentechnisch veränderte Organismen herzustellen, und könnte möglicherweise auch dazu verwendet werden, den genetischen Code von aus Stammzellen stammenden Betazellen so zu verändern, dass das Immunsystem sie nicht erkennt. Die Verkapselung und die CRISPR-Technologie werden aktuell in einer klinischen Studie mit etwa 70 Menschen mit Typ-1-Diabetes untersucht. Im letzten Jahr wurden klinische Studiendaten von den ersten beiden Personen veröffentlicht, die eine Stammzellentherapie erhielten: Nach 270 Tagen verbesserte eine der Personen ihre Zeit im Zielglucosebereich von 40% auf über 99% und konnte die exogene Insulinzufuhr stoppen. Allerdings gibt es auch ein Wermutstropfen: Dieser Patient muss immunsupprimierende Medikamente einnehmen.
Fazit: Es wird wohl noch ein laaanger Weg sein, aber die Grundlagen für die Entwicklung eines großflächig anwendbaren Heilmittels für Typ-1-Diabetes sind vielleicht gelegt worden. Wir bleiben dran!
DiaTec weekly – Februar 17, 23
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