Nicht-invasives Glucosemonitoring (NIGM) gilt als der Heilige Gral der Diabetes-Technologie, weltweit wird intensiv an der Entwicklung eines entsprechenden Produktes gearbeitet. Aktuell hat die Firma DiaMonTech aus Berlin die Ergebnisse einer Studie mit ihrem NIGM-Ansatz publiziert [1]. Alle Autoren sind Mitarbeiter des Herstellers.
Bei diesem Ansatz wird die Glucosekonzentration in der interstitiellen Flüssigkeit in den oberen Hautschichten gemessen, also nicht im Blut, wie es der Titel der Publikation suggeriert. Ein Infrarotstrahl aus einem Quantenkaskadenlaser regt Glucosemoleküle bei Wellenlängen zwischen 8 und 12 µm an, wo Glucose eine spezifische Fingerabdruck-Absorption aufweist. Die Absorption führt zu einer geringen Wärmeentwicklung in der Haut, die mit Hilfe einer photothermischen Messung an der Oberfläche erfasst werden kann. Dieses Verfahren ist schmerzfrei und erfordert keine Verbrauchsmaterialien.
Bei einer klinischen Untersuchung an einem einschlägig bekannten Zentrum in Deutschland mit 36 Personen (clinicaltrials.gov ID: NCT06088615; 13 mit Typ-1-Diabetes und 17 mit Typ-2-Diabetes, 6 ohne Diabetes) wurde die Genauigkeit der Glucosemessung mit diesem NIGM-Gerät in zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen pro Person mit einer Dauer von ca. 3,5 Stunden mit unterschiedlichen Mengen an Kalibrierungsdaten evaluiert. Gemessen wurde an einer Hautstelle am Unterarm und für die mehrfachen Messungen pro Sitzung sollte der Arm für jeweils 4 Minuten möglichst ruhig gehalten werden.
Durch die Einnahme eines Frühstücks zu unterschiedlichen Zeiten wurden moderate Änderungen in der Glykämie induziert. Für die Datenanalyse wurden vier verschiedene Algorithmen getestet. Die Genauigkeit des besten Algorithmus, ausgedrückt als mittlere absolute relative Differenz (MARD), betrug 20,7 % und 19,6 % für die beiden Sitzungen. Die graphische Darstellung der NIGM-Messwerte im Vergleich zu den Ergebnissen mit einem guten Blutglucose-Messsystem (Contour next, Ascensia) zeigt eine beachtliche Variabilität der Messergebnisse.
Fazit: Die Daten zeigen, dass man durchaus mit diesem Ansatz Glucose im menschlichen Körper messen kann. Der ermittelte MARD entspricht demjenigen früher CGM-Systeme vor 15-25 Jahren, wie sie damals von der FDA für die ergänzende Verwendung durch Menschen mit Diabetes zugelassen wurden. Reicht dies als Beleg dafür, dass damit im Alltag eine zuverlässige Glucose-Messung möglich ist? Können oder sollten Menschen mit Diabetes damit ihre Therapie anpassen? Solche Studien spiegeln die Ansprüche von Zulassungsbehörden wie z.B. der FDA, sind aber keine „klinische Validierung“. Das in der Studie verwendete Gerät hat die Größe eines handelsüblichen Bürodruckers, was dem praktischen Einsatz noch entgegensteht. Es gilt zu sehen, wie die Performance eines Prototyps sein wird, wenn dieser auf eine handliche Größe reduziert ist (D-Pocket).
Beim diesjährigen Diabetes-Technology-Meeting hat Mark Arnold, ein US-Forscher, der seit einigen Jahrzehnten auf diesem Gebiet arbeitet, einen Vortrag dazu gehalten, welche Kriterien („Benchmarks“) NIGM-Geräte erfüllen sollen und verwies darauf, das alle Ansätze, die intrinsische Eigenschaften von lebenden Geweben ermitteln, die sich im Zusammenhang mit Änderungen der Glucosekonzentration im Körper ändern, sich in den letzten 35 Jahren als nicht ausreichend zuverlässig für den klinischen Einsatz erwiesen haben. Ansätze, die auf direkten Messungen der Menge an Glucosemolekülen basieren, benötigen eine exzellente Messgüte in einem geeigneten Frequenzbereich, gepaart mit einer geeigneten Kalibrationsprozedur. Ein Nachteil ist, dass von einem spektroskopischen Standpunkt aus betrachtet, das Glucosemolekül dafür eher ungeeignet ist, denn es weist wenige spezifische Eigenschaften auf. Der Redner verwies darauf, dass es relativ einfach ist, ein Signal zu finden, welches sich ändert, wenn es Änderungen in der Glucosekonzentration gibt. Dies führt zu beeindruckenden Korrelationsplots mit relativen niedrigen MARD-Werten, was zu einer Zunahme von Zeit und Geld führt, die in solche Ansätze gesteckt werden.
Die Hoffnung ist, dass durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz sich die Messqualität noch weiter verbessern wird. Arnold zeigte Error-Grid-Plots von Zeitreihenmessungen im Labor mit beachtlich guten MARD-Werten, obwohl überhaupt keine (!) Glucose in den Lösungen vorhanden war, in denen die Haut-Phantommodelle lagen. Er verlangte die Nutzung eines systematischen analytischen Ansatzes zur Evaluierung von kritischen Messparametern unter definierten Bedingungen, beginnend im Labor, dann unter Verwendung von Hautphantomen, Tiermodellen bis hin zu Studien mit Menschen.
Der vor einigen Jahren publizierte Versuch von David Klonoff, seinen Mitarbeitern und weiteren Wissenschaftlern, einen Überblick über den „wahren“ Stand der Entwicklung bei den zahlreichen NIGM-Ansätzen zu bekommen, ist in diesem Zusammenhang sehr lesenswert [1]. Es gibt auch andere Publikationen, die einen Überblick über die Entwicklung von CGM-Systemen geben [2]. Wer sich insbesondere für das NIGM-Thema und die beachtliche Anzahl von Firmen interessiert, die versuchen ein erfolgreiches Produkt zum NIGM zu entwickeln, der sollte sich die entsprechende Internet-Seite von Inge van Boxelaer aus Belgien anschauen.
Wir haben hier im diatec weekly ja diverse Male über entsprechende NIGM-Ansätze und vor allem über die recht vollmundigen Ankündigungen in diesem Zusammenhang berichtet. Bisher hat es kein einziges Produkt auf den Markt geschafft, trotz der beachtlichen Geldmengen, die hier im Laufe der Zeit investiert wurden. Die Geschichten von NIGM sind so erhellend, wie sie in der 9th Edition des kostenlosen Buches von John L. Smith beschrieben werden: „The Pursuit of Noninvasive Glucose: Hunting the Deceitful Turkey”:. Der Hinweis auf den Heiligen Gral sollte ernst genommen werden, schließlich hat man den ja auch nie gefunden…
Referenzen
- Shang T, Zhang JY, Thomas A, Arnold MA, Vetter BN, Heinemann L, et al. Products for Monitoring Glucose Levels in the Human Body With Noninvasive Optical, Noninvasive Fluid Sampling, or Minimally Invasive Technologies. J Diabetes Sci Technol. 2022;16(1):168–214. Epub 20210613. doi: 10.1177/19322968211007212. PubMed PMID: 34120487; PubMed Central PMCID: PMCPMC8721558.
- Lee I, Probst D, Klonoff D, Sode K. Continuous glucose monitoring systems – Current status and future perspectives of the flagship technologies in biosensor research. Biosens Bioelectron. 2021;181:113054. Epub 20210202. doi: 10.1016/j.bios.2021.113054. PubMed PMID: 33775474.
Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das nebenstehende Formular um sich für den diatec weekly Newsletter anzumelden!
Mit freundlichen Grüßen
![]()

