Im ersten Vortrag ging der Referent Erhard Siegel neben den bekannten drastischen negativen Auswirkungen des Klimawandels auf unser aller Leben auf diesem Planeten speziell auf die Bedrohungen im medizinischen Bereich ein. Dabei legte er seinen Fokus auf Diabetes mellitus und erläuterte, warum erhöhte Temperaturen und Hitze eindeutig ein Risiko für Menschen mit Diabetes darstellt.
Die globale Situation mit einer ständigen Zunahme der Anzahl von Menschen mit Diabetes und auch mit Adipositas, beide getriggert durch eine deutlich zu hohe Energieaufnahme pro Tag bei den Mahlzeiten (und nicht nur die) unterstützt den Klimawandel deutlich. Hinzu kommen Umwelteinflüsse wie Feinstaub, die per se zu einer erhöhten Diabetes-Inzidenz führen. Das Risiko von Ketoazidosen und hyperosmolaren Entgleisungen und damit von Morbidität und Mortalität steigt mit zunehmender Hitze deutlich an. Hinzu kommt, dass extreme Wetterereignisse dazu führen können, die Versorgung von Patienten mit Diabetes zu stören oder unterbrechen, wie es z.B. die Flutwelle im Ahrtal im letzten Sommer gezeigt hat. So kommt es bei Überschwemmungen zu Unterbrechungen der Kühlketten, da Apotheken dann keine Stromversorgung mehr haben.
Patienten mit Diabetes weisen einen höheren ökologischen Fußabdruck auf als andere Menschen, unter anderem durch ihr Essverhalten. Die Frage jedoch, warum Patienten mit Diabetes so vulnerabel auf Hitzestress reagieren, kann wohl auf drei Ursachen zurückgeführt werden: Patienten weisen eine reduzierte Hitzeabgabe auf, weil ihre Körpertemperatur später absinkt als bei gesunden Menschen, die Sensitivität auf den Verlust von Wärme ist reduziert und sie weisen einen reduzierten maximalen Hitzeverlust auf, was sich auf eine gestörte Vasodilatation, Schweißsekretion und regulatorische Kontroller (zentral und peripher) zurückführen lässt. Sie weisen also insgesamt eine eingeschränkte Hitzeanpassung auf und deshalb ist die Thermosensitivität bei Diabetes-Patienten deutlich erhöht. Kommen Komorbiditäten wie Übergewicht, periphere Neuropathie, diabetische Nephropathie oder Atherosklerose hinzu, sind diese Patienten ausgesprochen gefährdet. Adipöse Patienten sind noch mehr gefährdet, weil die Abgabe von Wärme nochmal deutlich reduziert ist.
Es gibt nur wenige Daten zum direkten Effekt von Hitze auf die Mortalität bei Patienten mit Diabetes und diese stammen vorrangig aus den USA und China. Nichtsdestoweniger ist der Zusammenhang inzwischen eindeutig nachgewiesen, auch wenn die meisten Studien im globalen Norden gemacht werden. Aktuelle DPV-Daten zeigen einen signifikanten Anstieg der Krankenhausaufnahmen von Patienten mit Diabetes in Hitzeperioden in Deutschland, in dem vom Klimawandel besonders betroffenen südlichen Teil der Erde gibt es aber kaum Untersuchungen dazu.
Praktische Empfehlungen für die Diabetestherapie sollten deshalb sein, Patienten mit Typ-1-Diabetes bei Hitzewellen auf den Wirkungsverlust von Insulin hinzuweisen, insbesondere wenn das Insulin nicht entsprechend gelagert wird. De facto werden Insulinpens oftmals Temperaturen von über 30°C ausgesetzt, was zu einer Entgleisung der aktuellen Glucosekontrolle führen kann. Im Übrigen ist dies auch ein Thema für Patienten mit Insulinpumpe (auch bei AID-Systemen). Bei Pumpen kann durch eine reduzierte Länge des Infusionssets bei Hitzeperioden die Gefahr eines Wirkverlust des Insulins reduziert werden. Insgesamt müssen Patienten auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Bewusstsein für entsprechende Symptome und eine regelmäßige Messung von Ketonen hingewiesen werden, um Entgleisungen zu verhindern.
Siegel sieht vier Handlungsfelder bei Hitzewellen:
1. Risiken und Präventionsstrategien kommunizieren,
2. Praxis- und Behandlungsabläufe anpassen (wenn es Hitzewarnungen gibt),
3. Medikamente anpassen und
4. proaktiv mit Risikopatienten Kontakt aufnehmen, z.B. durch Einführung eines Recall-Systems.
In der Diskussion wurde auf die Notwendigkeit der Anpassung der Dosis von anderen Medikamenten bei Hitze hingewiesen, hier sind auch die Apotheken gefordert. Die raschere Absorption von Insulin aus dem subkutanen Depot bei erhöhter Umgebungstemperatur wurde ebenfalls angemerkt, denn sie kann zu anderen Wirkungsverläufen führen als es die Patienten gewohnt sind. All diese Aspekte sollten bei einer standardisierten Schulung der Patienten angesprochen werden, was in der Praxis aber wohl nicht durchgehend der Fall ist.
Für die folgende virtuelle Präsentation zum Thema Green Diabetes wurden die Folien bei der Aufzeichnung nicht aufgezeichnet (sorry für das technische Problem). Vor Beginn der Session bei der DDG war dies nicht aufgefallen und so waren die Zuhörer gezwungen, gute 20 Minuten dem Redner mit passenderweise grünem Hintergrund zuzuhören. Mittlerweile gibt es aber eine erneute Aufzeichnung mit den Folien in der Mediathek zum DDG-Kongress. Nun aber zum Inhalt:
Wenn ein Patient mit Typ-1-Diabetes mal drei Monate seinen „Diabetes-Müll“ systematisch sammelt und auch in die verschiedenen Komponenten zerlegt, kommt ein beeindruckendes Volumen zusammen und das besteht aus: Kartonagen, Verpackungsmaterial aus Karton und Kunststoff, Gebrauchsanweisungen, Insulin-Ampullen, Einmal-Setzhilfen, Klebefolien-Schutze, Teststreifendosen, potenziell infektiöser und stechender Abfall, in Verpackungen enthaltene, aber nicht benötigte Materialien usw. Zwei Befragungen, die eine gezielte mit Fragebögen zu diesem Thema im Diabetes-Journal zeigten, dass dies für die Nutzer sehr wohl ein Thema ist. Zumindest diejenigen, die an solch einer Befragung teilnehmen, haben ein Bewusstsein dafür. Die detaillierten Ergebnisse der Befragung werden in der September-Ausgabe des Diabetes-Journals publiziert. Antworten auf eine entsprechende Frage an Diabetes-Patienten bei der Befragung zum D.U.T.-Report zeigen ebenfalls, dass die Nutzer sich der Müllproblematik sehr wohl bewusst sind, dieser Aspekt aber bisher bei ihrer Produktenentscheidung keine große Rolle spielt. Vermutlich wird die Sensibilität der Nutzer zu diesem Thema in nächster Zukunft zunehmen, deshalb sollte der Umgang und die richtige Entsorgung von Diabetes-Müll auch Thema bei Patienten-Schulungen sein. Die Nutzer bräuchten, und da können die Hersteller durch entsprechende Markierungen Unterstützung anbieten, vor Allem konkrete Hinweise dazu, welcher Müll in welche Tonne gehört? Was tun mit „verunreinigtem“ (infektiösen) Material? Idealerweise würden Praxen / Apotheken Entsorgungsboxen für das Recycling der jeweiligen Geräte anbieten.
Es ist eine Änderung im Denken und Verhalten notwendig, weg von linearen Vorgängen, hin zu Kreisläufen. Das Umdenken im Umgang mit Diabetes-Müll wird auch von dem Gesetzgeber unterstützt, so ist der EU-weit geltenden Medical Device Regulation ein Passus (Punkt 14.7.) enthalten, der verlangt das: „Die Produkte werden so designt und hergestellt, dass ihre sichere Entsorgung und die sichere Entsorgung der damit verbundenen Abfallstoffe durch den Anwender, den Patienten oder andere Personen erleichtert wird. Zu diesem Zweck sollen die Hersteller Verfahren und Maßnahmen ermitteln und erproben, mit denen ihre Produkte nach der Verwendung sicher entsorgt werden können. Diese Verfahren sind in der Gebrauchsanweisung zu beschreiben.“
Im Zusammenhang mit dem Müll ist ein häufiger Reflex, die Verantwortung primär bei den Herstellern zu sehen. Solch ein „Bashing“ greift aber zu kurz. Die Hersteller müssen eine Vielzahl von regulatorischen Vorgaben einhalten, um ihre Produkte auf den Markt bringen zu können. Ob diese Vorgaben alle immer auch Sinn machen, z. B. dass eine Bedienungsanleitung für ein Produkt nach EU-Recht gleich in 12 Sprachen sein muss, erscheint aber fraglich. Umweltschutzaspekte haben bei der Entwicklung dieses „Paragraphendschungel“ offenbar keinen Einfluss gehabt.
Da wir die Vergangenheit nicht mehr ändern können und nun erstmal mit den Medizinprodukten leben müssen, die auf dem Markt sind, kann ein Appell auf Veränderung bei der Müllproblematik nur in die Zukunft gerichtet sein. Bei der Entwicklung von neuen Produkten sollten Nachhaltigkeitsaspekte einen wesentlich größeren Raum einnehmen. Die Firmen können bei der Material-Auswahl, dem Design, dem Herstellungs-Prozess, der Verpackung, der Distribution und der Entsorgung entsprechende Änderungen vornehmen. Wenn es um das Thema Recycling geht, gilt es Materialreinheit, der Möglichkeit des einfachen Auseinandernehmens etc. Rechnung zu tragen. Glaubt man den Homepages der Hersteller und den von einigen Firmen aktuell publizierten „Sustainability Reports“, dann haben sie solche Aspekte sehr wohl im Blick und berücksichtigen diese bei ihren Produkten. Da es (in anderen Produktbereichen!) Belege für „Greenwashing“ (also bewusste zu positive Darstellung von Umweltschutzaspekten) gegeben hat, ist hier eine gewisse Skepsis angebracht. Diese Aktivitäten dürfen also nicht primär aus Marketingaspekten heraus erfolgen, sondern sollten nachvollziehbare und dokumentierte Schritte darstellen.
In einer Reihe von Publikationen in dem „Journal of Diabetes Science and Technology“ hat der Autor dieses Beitrages in den letzten Jahren zunächst auf dieses Thema aufmerksam gemacht, die Komplexität davon (auch getrieben durch diverse Rückmeldungen) dargestellt und in Zusammenarbeit mit der Diabetes Technology Society in den US im Sommer 2021 ein Symposium zum Thema organisiert. Bei dem „Virtual Green Diabetes Summit“ haben die Teilnehmer aus ihren jeweiligen Blickwinkeln das Thema beleuchtet. Die gemachten Aussagen und Informationen wurden in einem Meeting-Report publiziert. In einer darauf basierenden Deklaration werden klare Vorgaben für jede Gruppe gemacht, die hierbei von Relevanz ist, um messbare Fortschritte zu erreichen. Die Deklaration ist abrufbar unter journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/19322968211051721.
Es gilt zu verhindern, dass sich zwar alle einig sind: Es war gut, mal über Klimawandel, Müll etc. gesprochen zu haben, passiert ist aber nichts! Die übliche Reaktion bei solchen Themen ist: Dies ein wichtiges Thema, welches gelöst werden muss. Jemand sollte sich darum kümmern… aber nicht ich. Es ist die Verantwortung anderer, nicht meine. Ein Problem für die Industrie ist: Wenn ein Hersteller reagiert, erhöht dies (höchstwahrscheinlich) seine Kosten. Das ist ein Nachteil, wenn es um Verkauf und Erstattung geht. Diejenigen, die bereit sind, in unsere Zukunft zu investieren, sollten einen Vorteil dadurch haben, der sich für sie auszahlt.
Insgesamt betrachtet stellen Nachhaltigkeit und Abfallmanagement ein komplexes Thema dar, welches danch verlangt, dass auf allen Ebenen Änderungen vorgenommen werden: bei Patienten, Krankenhäusern, Praxen etc. Der politische Druck in Hinsicht auf Veränderung in unserem Verhalten muss und wird zunehmen. Damit einhergehend sollte sich auch das regulatorische Umfeld in einigen Aspekten ändern. Die Reaktionen der Hersteller sind erfreulich, vermutlich gilt es noch mehr zu tun. Wir alle müssen aus unserer Komfortzone herauskommen, um heute einen Wandel einzuleiten!
In der lebhaften Diskussion zu den beiden Vorträgen wurde auch das Verordnungsverhalten von Diabetologen, z.B. hinsichtlich der Verschreibung von Einwegpens vs. dauerhaft nutzbaren Pens angesprochen. Die Sammlung von Verpackungsmaterial in einer Schwerpunktpraxis hat als ein wichtiges Ergebnis wohl erbracht, dass in kurzer Zeit erschreckende Mengen anfallen. Eine gezielte Auswertung der Erkenntnisse dieser Evaluierung soll Ende des Jahres in Deutsch und Englisch publiziert werden. In Krankenhäusern erfolgt wohl auch keine ernsthafte Mülltrennung, es wird nur differenziert zwischen infiziert und nicht-infiziert. Ja, in anderen Bereichen der Medizin fallen ebenfalls große Müllberge an, z.B. bei Dialyse, was aber nicht bedeutet, dass die Diabetologie hier nicht aktiv werden sollte, die Anzahl von Menschen mit dieser Erkrankung ist ja auch besonders hoch.
Fazit: Ein großer Dank gilt dem Programm-Komitee des diesjährigen Frühjahrskongresses der DDG dafür, diesem Themenkomplex erstmals (!) eine eigene Session bei der DDG gewidmet zu haben, wie auch einer der beiden Moderatoren, Alexander Risse anmerkte. In der Diskussion wurde die Etablierung einer gezielten Arbeitsgemeinschaft oder Kommission innerhalb der DDG angeregt, die sich schwerpunktmäßig und strukturiert um dieses Thema kümmert. Hierzu hat es wohl schon passende Anträge an den DDG-Vorstand gegeben.
DiaTec weekly – Juni 17, 22
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