Die Nutzung von GLP-1-RA steigt nach wie vor stark an. Dabei haben diese in Hinsicht auf eine Reduktion des Körpergewichtes sehr potenten Medikamente, auch Nebenwirkungen. Dazu gehören gastrointestinale Nebenwirkungen, hohe Kosten und unrealistische Erwartungen. Diese Faktoren tragen bestimmt zu den hohen Abbruchraten unter den Anwendern bei: 47–65 % der Anwender brechen die Behandlung nach einem Jahr ab.
Der ehemalige wissenschaftliche und medizinische Leiter der ADA, Bob Gabbay, publiziert in den USA eine regelmäßige Kolumne zu verschiedenen Diabetes-Themen. In einer aktuellen Folge diskutiert er das Problem des Muskelabbaus, der mit jeder Gewichtsabnahme einhergeht und wohl vielfach von den Patienten nicht so gesehen wird. Und was einmal abgebaut ist, kommt so schnell nicht wieder, denn wenn Nutzer von GLP-1-RA diese absetzen, kommt es zu einer Gewichtszunahme. Eine Erkenntnis, die dieses Muster besorgniserregend macht, stammt aus dem „Minnesota Starvation Experiment“. Diese Studie ergab, dass die Teilnehmer, wenn sie wieder an Gewicht zunahmen, eher Fettmasse als Muskelmasse zurückgewannen. Wenn solche Zyklen beim Körpergewicht häufiger auftreten, kann sich die Körperzusammensetzung einer Person proportional immer mehr in Richtung Fettmasse verschieben.
Es ist wichtig zu beachten, dass der Verlust von Muskelmasse bei allen Methoden der Gewichtsabnahme auftritt (z. B. Diät und Bewegung, bariatrischer Chirurgie, GLP-1-RA). Der breite Erfolg bei der Gewichtsabnahme mit GLP-1-RA rückt diesen Nebeneffekt allerdings nun mehr in den Vordergrund. Der Umfang des Muskelmasseverlusts scheint zwischen verschiedenen GLP-1-RA (z. B. Semaglutid vs. Tirzepatid) proportional signifikant zu sein – mehr Gewichtsverlust führt zu mehr Muskelmasseverlust.
Wie kommt es zu diesem Verlust an Muskelmasse? Der Mechanismus wird noch untersucht, aber Studien deuten darauf hin, dass GLP-1-RA indirekt den Muskelabbau fördern, indem sie den Activin-Rezeptor-Typ-II-Signalweg (ACTRII) über Rezeptorliganden wie Myostatin (d. h. GDF8) und Activin A aktivieren. Diese Liganden sind negative Regulatoren des Muskelwachstums. Tierversuche haben gezeigt, dass die Blockierung der Rezeptoren dieser Liganden den durch GLP-1-RA induzierten Muskelmasseverlust verhindern kann. Dieses Verständnis dient als Grundlage für das Medikament Bimagrumab, einen monoklonalen Antikörper, der gegen ACTRII wirkt und sich in Phase-2/3-Studien von Lilly zur Verwendung in Kombination mit Inkretin-Therapien befindet. Interessanterweise wurde zwar in Studien mit diesem Medikament beim Menschen eine Erhaltung der Muskelmasse beobachtet, jedoch wurden im Allgemeinen keine funktionellen Verbesserungen der Muskelkraft, Mobilität oder körperlichen Leistungsfähigkeit festgestellt.
Es scheint eine gewisse „Kluft“ zwischen der Wahrnehmung von Ärzten und Patienten zu geben, d.h. während die Fachleute dem Erhalt der Muskelmasse eine hohe Bedeutung zuordnen, scheint für die Nutzer die Reduktion des Körpergewichtes das wichtigere Anliegen zu sein, selbst wenn dies mit einer Verringerung ihrer Kraft einhergeht. Die Selbstwahrnehmung ist vermutlich, dass sie mit dem Gewichtsverlust auch weniger Masse zu tragen haben, sie fühlen sich daher stärker. Was fehlt, ist ein validiertes Instrument zur Messung der Muskelmasse, das auch die für Patienten wichtigen Ergebnisse misst und von Ärzten leicht angewendet werden kann. Es hat sich gezeigt, dass Muskelkraft positiv mit Langlebigkeit korreliert, doch auch GLP-1-RA, die die Muskelkraft verringern, korrelieren positiv mit Langlebigkeit (z. B. geringere Mortalität und geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen).
Welche Bedeutung der Muskelabbau also wirklich hat, wissen wir noch nicht. Es fehlen noch Belege dafür, dass Menschen, die an Muskelmasse verloren haben, häufiger stürzen als Menschen, bei denen keine Muskelmasse verloren ging. Im Wesentlichen werden funktionale Daten (d. h. von Patienten berichtete Ergebnisse) zur Muskelkraft benötigt, wie bei den GLP-1-RA-Studien zur Herzinsuffizienz, wie der STEP HFpEF, bei denen die in sechs Minuten zurückgelegte Gehstrecke gemessen wurde.
Die Frage ist auch, welche Strategien zur Risikominderung es gibt und was Kliniker aktuell tun können? Eine ausreichende Proteinzufuhr und regelmäßiges Krafttraining sollten als Empfehlungen für diejenigen in Betracht gezogen werden, die GLP-1-RA einnehmen. Der empfohlene Tageswert liegt bei 0,8–1,5 g/kg/Tag (z. B. 80 g Protein pro Tag für eine Person mit einem Gewicht von 100 kg). Der obere Wert gilt eher für ältere Erwachsene, die mit altersbedingten Muskelproblemen zu kämpfen haben, während der untere Wert eher für jüngere Erwachsene gedacht ist.
Für Personen, die GLP-1-RA einnehmen, kann es schwieriger sein, dieses Proteinziel zu erreichen, da sie möglicherweise einen unterdrückten Appetit haben. Daher benötigen sie möglicherweise Nahrungsergänzungsmittel, um diesen Bedarf zu decken. Protein allein reicht jedoch nicht aus. Auch Bewegung, insbesondere Krafttraining, ist von entscheidender Bedeutung.
Krafttraining ist für den Aufbau und Erhalt von Muskeln wichtiger als andere Formen der Bewegung, wie z. B. Cardio-Training, das hauptsächlich die Ausdauer und die Herz-Kreislauf-Gesundheit verbessert. Krafttraining hingegen zielt direkt auf die Muskeln ab. Der Aufbau von mehr Muskeln erhöht auch den Stoffwechsel und ermöglicht so einen längerfristigen Fettabbau. Einfache, leicht zugängliche Formen des Krafttrainings sind ausreichend, eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio ist nicht notwendig. Übungen, bei denen das eigene Körpergewicht genutzt wird (z. B. Liegestütze, Planks), funktionieren genauso gut. Widerstandsbänder sind ebenfalls relativ kostengünstige Optionen für das Krafttraining.
Neben „muskelschützenden“ Therapien stehen neuere Wirkstoffe zur Gewichtsreduktion im Fokus des Interesses. Vielleicht wird es in Zukunft notwendig sein, zur Erhaltung der Muskulatur eine Kombinationstherapie (z. B. ein GLP-1-RA-Medikament zur Gewichtsreduktion und eines zum Erhalt der Muskulatur) einzusetzen. Dafür liegen aber noch keine längerfristigen Sicherheitsdaten vor.
Die FDA verlangt in einem aktuellen Leitlinienentwurf von den Entwicklern neuer Medikamente die Durchführung von Ausgangs- und Folgeuntersuchungen der Körperzusammensetzung mittels DXA (oder einer geeigneten Alternative) in klinischen Studien. Damit räumt die FDA dem Verlust von Muskelmasse auch eine höhere Bedeutung bei, als bisher.
Fazit: Wenn Sie der Meinung sind, dass die Erhaltung der Muskelmasse wichtig ist, gilt es dieses gegenüber Ihren Patienten zu thematisieren und die Bedeutung von Krafttraining und einer ausreichenden Proteinzufuhr anzusprechen. Am stärksten betroffen sind ältere Menschen, die aufgrund ihrer natürlich geringeren Muskelreserven und altersbedingten Gebrechlichkeit dem größten Risiko für die möglichen Folgen eines Muskelabbaus (z. B. Stürze) ausgesetzt sind.
Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das nebenstehende Formular um sich für den diatec weekly Newsletter anzumelden!
Mit freundlichen Grüßen
Herzlichen Dank für die Betonung dieses Aspekts.
Die Notwendigkeit des Krafttrainings wird ja in den üblich ausgesprochenen „Lifestyle“-Empfehlungen meistens nicht erwähnt