Über 9 Millionen Menschen leben in Deutschland mit der Diagnose Diabetes mellitus. Für viele von ihnen eröffnen moderne Technologien wie kontinuierliche Echtzeit-Zuckermessgeräte (rtCGM) oder automatisierte Insulinpumpen in Kombination mit einem rtCGM-Gerät (so genannte Automated Insulin Delivery-Systeme – AID) neue Chancen. Auf gemeinsame Initiative von Tobias Wiesner, Vizepräsident der DDG, stellvertretender Vorsitzender des BVND und Vorstandsmitglied der DDG Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Technologie (AGDT), sowie bndb-Vorstandsmitglied Christoph Neumann soll den Chancen dieser Systeme zukünftig mehr Beachtung geschenkt werden. „Diese Systeme helfen, den Blutzucker stabiler einzustellen, das Risiko für Unterzuckerungen zu senken und langfristige Folgeerkrankungen zu vermeiden“, erklärt Wiesner. Gleichzeitig bedeutet der Einsatz dieser Technik für das Praxisteam kontinuierliche Weiterbildung und deutlich mehr Aufwand: „Die Auswahl geeigneter Systeme, Antragstellungen bei den Krankenkassen, individuelle Schulungen und eine regelmäßige Datenanalyse sind zeitintensiv und anspruchsvoll, besonders zu Beginn der Therapieumstellung“, ergänzt Neumann.
Technik bringt Fortschritt, kostet aber Zeit
„Was auf den ersten Blick wie ein selbstlaufendes System wirkt, erfordert in Wahrheit erhebliche zeitliche Ressourcen – für Patientinnen und Patienten, aber auch für die Behandelnden“, erklärt Toralf Schwarz, Vorsitzender des BVND und Facharzt für Innere Medizin, Diabetologe. Der Einsatz von Technologie setzt Fachwissen, strukturierte Abläufe und kontinuierliche Begleitung voraus. Praxen müssen Schulungen anbieten, Glukoseverläufe auswerten und technische Fragen klären – häufig auch über den regulären Termin hinaus. „Dafür fehlt im aktuellen Vergütungssystem jedoch jede Grundlage“, so Schwarz.
Praxen unter Druck: zu wenig Zeit, zu wenig Geld
Die Versorgungsrealität zeigt: Die ambulante Diabetologie ist zunehmend wirtschaftlich gefährdet. Die aktuelle Finanzierung über das Disease-Management-Programm (DMP) spiegelt den Aufwand nicht wider. „Ohne Anpassung der Rahmenbedingungen werden spezialisierte Praxen nicht mehr in der Lage sein, moderne Technologie dauerhaft anzubieten“, warnt Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe und Diabetologe aus Hamburg. Schon jetzt finanzieren viele Einrichtungen Schulungen, Technik und Weiterbildung aus eigener Tasche. „Diabetestechnologie rettet keine Leben im Alleingang. Aber gemeinsam mit einer kompetenten ärztlichen Begleitung kann sie Menschen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen“, so Kröger. Damit diese Versorgung auch in Zukunft gesichert ist, müsse die Politik dringend handeln.
Im Zusammenhang mit der Vorbereitung dieser Erklärung gab es im Maximilianeum in München ein sog. Werkstattgespräch, bei dem mit allen wichtigen Playern im Bereich von Politik und Gesundheitsversorgung in Bayern über den Stellenwert der ambulanten Diabetologie diskutiert wurde. Teilnehmer waren Vertreter des Landtags, der Staatsregierung, des Patientenbeauftragten der Staatsregierung, der AOK, der KVB, der BLÄK, sowie drei Kliniker und drei vom bndb-Vorstand. Es wurde die Problematik der ambulanten Diabetologie auf sachlicher, freundlicher und problemorientierter Ebene diskutiert. Folgende Ergebnisse lassen sich festhalten:
1) Das Problem der fehlenden rechtlichen Möglichkeit der Weiterbildungsförderung ambulante Diabetologie mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen wurde umfassend dargestellt und verstanden
2) Angelpunkt ist wohl der § 75a SGB5, der eine Förderung von Zusatzbezeichnungen ausschließt. Dies müsste zukünftig grundsätzlich für alle Zusatzbezeichnungen ermöglicht werden, wobei sich die Förderfähigkeit am jeweiligen Bedarf orientieren sollte, der anhand der Patientenzahlen ermittelt werden müsste (große Zahl = mehr Weiterbildungs-Förderung)
3) Grundsätzlich reichen die derzeit verfügbaren Mittel zur Weiterbildungsförderung durch KV und GKV nicht aus, um die Förderung auszubauen, hier müssten durch die Politik neue Finanzierungsmöglichkeiten auf den Weg gebracht werden, da es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt
4) GBA: Bedarfsplanung überdenken
5) Die AOK als Vertreter der bayerischen GKV, die KVB und der Gesundheitsausschuss der Staatsregierung unterstützen grundsätzlich unsere Aktivitäten
Bei der diatec 2026 werden Tobias Wiesner und Christoph Neumann am Donnerstagabend dieses Thema präsentieren und diskutieren. Für das Überleben der ambulanten Diabetologie ist dies ein wichtiger Punkt. Es reicht nicht aus, nur gute Medizin zu machen, es gilt politisch zu sein, um nicht unterzugehen.
WAS JETZT WICHTIG IST!
- Ausreichende Finanzierung als zentrale Herausforderung
- Hoher Zeitaufwand für Schulung, Beratung und Therapieanpassung
- Zusätzliche Kosten für Technik, Software und Weiterbildung des Teams
- Keine Investitionsanreize für Praxen
- Mehraufwand bleibt unvergütet – der Beruf verliert an Attraktivität
- Dringender Handlungsbedarf
- Vergütungssysteme müssen den Aufwand realistisch abbilden
- Förderprogramme für Technik und Weiterbildung erforderlich
- Mehr politische und gesellschaftliche Anerkennung der ambulanten Diabetologie
Fazit: Moderne Diabetestechnologie wie CGM und AID-Systeme verbessert nachweislich die Versorgung und Lebensqualität von Menschen mit Diabetes. Doch ihr erfolgreicher Einsatz erfordert Zeit, Fachwissen und kontinuierliche Betreuung – Ressourcen, die im aktuellen Vergütungssystem nicht ausreichend berücksichtigt werden. Ohne politische Weichenstellungen zur Förderung von Weiterbildung und Finanzierung droht die ambulante Diabetologie an ihren eigenen Erfolgen zu scheitern. Damit Innovation nicht zum Luxus wird, muss jetzt gehandelt werden.
Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das nebenstehende Formular um sich für den diatec weekly Newsletter anzumelden!
Mit freundlichen Grüßen
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