In ihrem Eingangsstatement haben Bart Torbeyns von EUDF als Moderator und Slobodan Radumilo, der Leiter der Diabetesgruppe innerhalb von MedTech Europe, auf die aktuelle Situation in Europa hingewiesen. Mit 60 Millionen Diabetes-Patienten und einem weiterhin starken Anstieg wird es höchste Zeit, gegenzusteuern, hierin liegt auch der wesentliche Grund für die Kooperation.
Nach einem kurzen Statement eines Patienten mit Typ-2-Diabetes, der beschrieb, wie die Nutzung von Diabetes-Technologie sein Leben verändert hat, gab es im Rahmen einer Panel-Diskussion eine Reihe von Statements durch führende EU-Experten:
Stefano Del Prato, der Leiter des EUDF, hob hervor, wo die Gesundheitssysteme in der EU bei der Betreuung der Diabetes-Patienten in der EU versagen. Sein Hinweis darauf, dass 60 Millionen Diabetes-Patienten die gesamte Bevölkerung von Italien darstellen, veranschaulicht die Größenordnung des Problems recht gut. Diabetes geht ja bekanntlich nicht nur mit kostspieligen Komplikationen einher, sondern auch mit einem Verlust an Lebensqualität und Arbeitskraft. Neben der schieren Anzahl von Diabetes-Patienten wird deren Therapie immer komplexer, auch weil die Bedeutung der Differenzierung von Subtypen klarer wird. Die in diesem Zusammenhang gefordert personalisierte Behandlung stellt in Zukunft höhere Anforderungen an die Gesundheitssysteme, die nach wie vor nicht adäquat reagieren. Innerhalb der EU gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern, es fehlen zudem homogene Umgangsweisen und entsprechende Reaktionen.
Gleichzeitig sind die hohen Kosten für die Diabetestherapie ein massives Problem und ein rationaler Ansatz ist deshalb notwendig. Dabei stellt sich auch die Frage, was Patienten mit Diabetes selbst beitragen können? Es ist ja „ihre“ Erkrankung, mit der sie im Alltag leben und umgehen müssen. Del Prato hob die Bedeutung von geeigneten Schulungen und einer guter Zusammenarbeit mit dem Diabetes-Team hervor. Im Endeffekt sollen Patienten ein wesentlicher Teil der Therapie sein.
Tadej Battelino als gewählter neuer Leiter von IDF-Europe, ein Zusammenschluss von 72 Organisationen aus 45 EU-Ländern, hob hervor, dass neue Technologien wesentlich mehr Daten liefern, was aber auch eine Belastung per-se darstellt. Er stellte die Frage, wie Patienten mit Diabetes mit diesem mehr an Informationen geeignet umgehen können? Die Frage gilt auch für die behandelnden Ärzte, gerade für die Hausärzte. Battelino ging kurz auf die Themen Prä-Diabetes, Prävention von Komplikationen und die Rolle von AI in der Zukunft ein. Künstliche Intelligenz kann wesentlich dabei helfen, eine frühzeitige Erkennung von Risikopatienten zu erreichen, den Patienten richtige Therapiehinweise zu dem Zeitpunkt zu geben, zu dem diese benötigt werden, dafür müssen sie auch nicht mehr ins Krankenhaus oder die Praxis kommen. Solch eine ortsnahe und frühe Behandlung verlangt nach einem geeigneten digitalen Konzept unter Einbeziehung von Decision Support-Systemen. Die Nutzung von CGM-Systeme ist hierbei eine große Hilfe und die Anzeigen der Glucoseverläufe veranschaulichen ihren Nutzern die Bedeutung der Therapie und die Einflüsse ihres Life-Style. Gleichzeitig ermöglicht dies dem Diabetes-Team aber auch, durch die Fernübertragung und automatische Analyse der Daten, die Nutzer geeignet zu überwachen und betreuen. Diese Daten liefern dabei auch die notwendigen Outcome-Informationen zur Beurteilung der Wirksamkeit und Sicherheit dieses Vorgehens.
Andreas Kulja, ein Mitglied des Europäischen Parlaments aus Ungarn, hob die Bedeutung von Patienten-Selbstaktivitäten in seinem Heimatland hervor. Aus politischer Sicht waren seine Ausführungen deshalb wichtig, da Ungarn aktuell federführend für die (gesundheitspolitischen) Aktivitäten der EU zuständig ist.
In der anschließenden Diskussion ging es um die Frage: Was kann die EU konkret mehr tun?
- Die Gesundheitspolitiker sollten für ein besseres Verständnis der Erkrankung in der Gesellschaft aktiv werden. Die Etablierung von „Registern“ kann wichtige Hinweise auf den Stand der Dinge liefern. In der Realität fehlen viele Informationen zur Nutzung von Diabetes-Technologie und medikamentöser Therapie. Nebenbei bemerkt, unser dt-report liefert solche Daten zur Situation in der DACH-Region.
- In den USA gibt es Vorgaben für die standardisierte Evaluierung von CGM-Systemen in Hinsicht auf ihre Leistungsfähigkeit, in der EU gibt es nichts Vergleichbares – hier können „schlechte“ CGM-Systeme auf den Markt kommen, was ein Problem für die Sicherheit der Diabetes-Patienten darstellt.
- Die Heterogenität des Zugangs zu moderner Diabetestechnologie bezieht sich nicht nur auf die EU-Länder, es gibt solche „Disparities“ auch innerhalb der Länder, so ist der Zugang für Patienten mit Diabetes aus niedrigen sozialen Schichten deutlich schlechter.
- Es fehlt in der EU eine strukturierte Zusammenarbeit von medizinischen Organisationen wie der EASD – sowie MedTech Europe – mit den regulatorischen Behörden. Ausgehend von Forschungsdaten sollte es eine Interaktion mit den „Notified Bodies“ und der „European Medicine Agency“ geben, wobei diese bisher Medizinprodukte gar nicht handhabt.
- In der EU führt eine gewisse Überregulierung, z.B. durch die „Medical Device Regulation“ (MDR), dazu, dass innovative Produkte nicht oder spät den Diabetes-Patienten zur Verfügung stehen. Gerade in diesem Zusammenhang wird die Rolle von (Anwendungs-)Forschung in der EU als sehr wichtig angesehen.
- Die Akzeptanz der Nutzer für neue technische Produkte ist entscheidend. Nur Apps, für die es einen Bedarf gibt, werden längerfristig von den Nutzern angenommen.
Fazit: Im letzten Teil der Veranstaltung wurde der 30seitige Bericht „Unlocking Access to Digitally Enabled Diabetes Care: The Case for a Better Type 2 Diabetes Ecosystem in Europe“ vorgestellt, der die Erkenntnisse der Diabetes-Akteure zusammenfasst und eine Reihe von konkret umsetzbaren Empfehlungen zur Verbesserung der digitalen Diabetesversorgung in den kommenden Jahren enthält.
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