Diabetestechnologie (mit iscCGM, rtCGM, Insulinpumpen und AID-Systemen) rollt in immer größeren Wellen in die diabetologischen Praxen und Patienten fordern mit Recht gut informierte Facharztpraxen, die sie produktneutral informieren. Viele Patienten sind der Meinung, sie wissen schon alles, z.B. von Dr. Google oder aus verschiedenen Foren im Internet. Manchmal sind sie wirklich gut informiert, oft sind es aber auch Halbwahrheiten oder Werbeslogans, die die „grenzenlose Diabetesfreiheit“ versprechen. Hier gilt es die Patienten geeignet zu beraten und aufzuklären und gemeinsam mit ihnen die verschiedenen technischen Systeme zu vergleichen, aber auch klarstellen, dass unser Gesundheitssystem kein Selbstbedienungsladen ist. Es gilt, immer den Nutzen und die Wirtschaftlichkeit nachzuweisen.
Ob man es sinnvoll findet oder nicht, für die Dokumentation des Behandlungserfolges müssen oft Glukoseprotokolle über 1-3 Monate bei den Krankenversicherungen eingereicht werden. Diese müssen in „Schönschrift“, also mit allen Angaben zu KE, Insulingaben und Ereignissen erstellt werden und dies ist die Aufgabe des Patienten. Der Arzt muss dann ein Gutachten erstellen, dafür bekommt er – je nach Kassenleistung – zwischen ca. 5 und 10 Euro (aufgerundet). Es kann auch sein, dass Patient, Arzt oder DB noch „nette“ Telefonate mit Kassenmitarbeitern führen muss, wo z.B. gefragt wird, warum die Pumpe denn jetzt schon nach 10 Jahren bei einer Folgeversorgung getauscht werden soll. Oder warum denn immer noch nicht das Gutachten beim MDK vorliegt und man es gewagt hat, Urlaub gemacht zu haben. Fristen müssen ja eingehalten werden. Der Alltag ist hierbei nicht wirklich witzig.
Diese Beratungen führen wir als Team (Arzt und DB) ausgesprochen empathisch und im Sinne des Patienten durch. Wir begleiten ihn durch den Bürokratie-Dschungel der vielen Anträge und Paragraphen und dies ist oft nicht in 45 Minuten erledigt. Man bekommt als DB sehr oft die Frage gestellt, was man denn da so lange mit den Patienten gemacht hat, die vielen Telefonate und Mails will ich gar nicht erwähnen. Wenn man z.B. einen Handwerker sagen würde, dass sein Angestellter jetzt mal zu einem Kunden fährt, dort eine 45 min intensive, fachlich hochqualitative Beratung macht, ohne dafür etwas zu berechnen, was würde dieser wohl dazu sagen? Kann dies alles jede Praxis leisten? Hat jeder Diabetologe (Diabetologin) jede/r Diabetesberater/in die Expertise und/oder das Interesse?
Diabetologen sollen den Umgang mit den Produkten einfach können. Eine kurze Vorstellung und Werbung der Firmen und los geht es mit der Verordnung der neuen Systeme. Wenn man möchte – und dies ist keine Voraussetzung – kann der Arzt noch ein Seminar der Firma besuchen. Einige DB haben einen Heidenrespekt vor den neuen technischen Systemen. Man sollte nicht nur die Handhabung und Einstellungen der Produkte können, denn die Fragen der Patienten kommen ja oft erst nach der technischen Einweisung, die inzwischen gerne auch online als Webinar angeboten wird, das geht dann „zack zack“). Sie sollten auch wissen in welche Software man die Daten ausliest, damit man zum Arzttermin oder der Beratung überhaupt Werte besprechen kann. Außerdem führen eine gute Schulung und Vorbereitung auch zu einer reibungsloseren Nutzung der Systeme, was wiederum ist mit einer besseren Einstellung und Lebensqualität verbunden ist. Bei Fragen rund um Probleme wie z.B. allergische Hautreaktionen, Sensorausfällen oder ähnlichen würde ich auch erstmal die DB oder Arzt meines Vertrauens fragen, bevor ich mich an die Hotline des Herstellers wende.
Außerdem müssen wir oft noch die schöne Werbungswelt zerstören. Ein junger Patient, den ich letztens gebeten habe, doch erst den Blutzucker zu messen, bevor er bei einem niedrigen Sensorwert, ohne Symptome einer Hypoglykämie, literweise Cola in sich rein schüttet, sah mich wie einem Dinosaurier aus der Steinzeit an und sagte mir, dass man das doch heute nicht mehr machen müsste. Für diesen ganzen Service gibt es dann 75 Euro pro Jahr zur normalen Pauschale dazu. Sollen wir dazu auch mal den Handwerker fragen, was er davon halten würde?
Meiner Meinung nach sollten deutlich mehr Schulungen angeboten werden, die herstellerneutral und verpflichtend sind sowohl für den Arzt wie auch die DB. Mit KVen und Krankenkassen sollte über die Abrechnungsmöglichkeiten verhandelt werden. Es hört ja nicht auf bei dem wirtschaftlichen, rabattverhandelten Einkauf eines Systems. Wo können wir im ambulanten Bereich denn wirklich etwas abrechnen für Beratung und Schulung der Diabetestechnologie?
Es gibt zwar Schulungsprogramme, aber sie sind nicht abrechenbar oder nur teilweise in manchen Bundesländern. Für die Einweisung in iscCGM- und rtCGM-Systeme oder auch dem Implantieren vom Eversense bekommen wir … NICHTS!
Die Themen der Krankenkassen in Bezug auf Wirtschaftlichkeit und Rabattverträgen haben einen Touch vom türkischen Basar. Welches System wird wie bezahlt? Wer schreit am lautesten oder offeriert den niedrigsten Preis? Fragt überhaupt noch jemand den Diabetologen oder etwa sogar die Patienten? Und wenn der Arzt es „wagt“, etwas als IGEL-Leistung zu berechnen, ist die Entrüstung groß.
- Ich bleibe trotzdem ein großer Fan der Diabetestechnologie, werde mich auch weiterhin darum kümmern und unsere Patienten qualitativ hochwertig und sehr empathisch begleiten.
- Ich werde weiter so beraten und schulen, wie ich auch beraten und geschult werden wollte, wenn es nötig wäre. Denn mit dieser Vision sind wir (Diabetologen und Berater/innen) gestartet.
- Aber glücklich bin ich nicht darüber, wenn immer wieder die Frage kommt, was ich denn da so lange mache und dass es sich wirtschaftlich nicht wirklich rechnet. Und ich glaube, dass die meisten Diabetologen und Berater dem zustimmen werden.
Claudia Sahm/Diabetesberaterin DDG
DiaTec weekly – September 25, 20
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Mit freundlichen Grüßen
Hallo Claudia, ganz toller Artikel! Es hat Spaß gemacht ihn zu lesen, obwohl es ja ein ernstes Thema ist! Ich kann dir in allen Punkten beipflichten. Außer, dass meine Chefin nicht fragt, warum es mal wieder so lange mit Pat. XY gedauert hat, sondern sie da sehr viel Verständnis hat.
MfG Christine