Die beeindruckende Zunahme der Nutzung von GLP-1-Analoga insbesondere durch Patienten mit Typ-2-Diabetes macht viele nervös, Technologiefirmen ebenso wie die großen Nahrungsmittelfirmen. Das ist auch verständlich, wenn man auf die Aktienkurse schaut, die deutlich im Sinkflug begriffen sind. Es erklärt auch, warum Abbott, dem global betrachteten Weltmarktführer bei CGM-Systemen, bei einem aktuellen Konferenz-Call zu seinen Umsätzen gezielt auf dieses Thema eingegangen ist. Dabei wurden die Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten Analyse präsentiert, die den wachsenden Einsatz von GLP-1-Analoga auf die Libre-Plattform bewertet. Die weltweite Zahl der Nutzer dieser CGM-Systeme übersteigt inzwischen 5 Millionen, davon gibt ca. 2 Millionen allein in den USA.
Die Analyse zeigt, dass eine wachsende Zahl von Menschen sowohl ein Libre-CGM-System wie auch ein GLP-1-Analog parallel verwenden, was zu einer erhöhten Compliance bei beiden Komponenten führt. Zurückgeführt wird dies auf positive Verhaltensänderungen sowohl bei der Diabetesbehandlung als auch bei der allgemeinen Gesundheitswahrnehmung.
Abbott versucht nun zu zeigen, dass die Nutzung von CGM-Systemen im Kontext einer rasch wachsenden Verwendung von GLP-1-Analoga sinnvoll ist. Dies ist natürlich gut nachvollziehbar, denn die hohe öffentliche Aufmerksamkeit, die die Inkretine erhalten, ist auch eine gute Maßnahme für den Einsatz von Sensoren für die Glucosekontrolle.
Auch andere CGM-Hersteller wie Dexcom und Insulet versuchen nun, ihre Investoren davon zu überzeugen, dass diese neuen Medikamente keinen wesentlichen Einfluss auf ihre Marktchancen haben. So publizierte Insulet im September 2023 (wir berichteten darüber) eine entsprechende Präsentation mit dem Titel „Market Opportunity & Impact of GLP-1s“ (Marktchancen und Auswirkungen von GLP-1s). Ebenfalls im September 2023 wurde in der Investorenpräsentation von Dexcom ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verwendung von CGM-Systemen mit der Nutzung von GLP-1-Analoga eher zunimmt. Es bleibt jedoch unklar, ob es sich bei der Beziehung zwischen der Nutzung von CGM-Systemen und GLP-1-Analoga um eine Korrelation oder eine Kausalität handelt. Mit anderen Worten: Patienten, die ihre Krankheit aktiver behandeln, verwenden möglicherweise eher ein CGM-System und ein GLP-1-Analogon.
Beim Abbott-Call wurde auch die Übernahme von Bigfoot Biomedical angesprochen, was die Einsatzoptionen für die CGM-Systeme dieses Herstellers erweitert und aus globaler Sicht mehr Möglichkeiten bietet. Allerdings hatte Abbott bisher kein eigenes Interesse an Produkten für die Insulinzufuhr gezeigt, abgesehen von den Kooperationen mit einer Reihe von Partnern. In Großbritannien wird wohl in 2024 mit Lingo die Kombination von kontinuierlicher Messung von Glucose und Ketonkörpern eingeführt. In den USA soll dies noch bis zum Ende 2023 erfolgen. Perspektivisch sollen auch andere Analyten damit gemessen werden, z.B. Laktat. Weiterhin wird es voraussichtlich bis zum Jahresende 2023 eine Kombination der aktuellen Generation des CGM-Systems von Abbott (Libre 3) mit einer Insulinpumpe von Tandem zu einem AID-System geben.
Für alle Hersteller von CGM-Systemen stellt das Segment der reinen Nutzer von Basalinsulin einen wichtigen Wachstumstreiber dar. Daher werden die Unternehmen ihre (Werbe-)Anstrengungen in diesem Bereich verstärken, auch um einen größeren Marktanteil zu erreichen.
Auch die Ansichten von Insulet zum Einfluss von GLP-1-Analoga auf den Diabetes-Technologie-Markt sind nicht wirklich überraschend. Kernaussage einer Präsentation von Insulet mit dem Titel „Marktchancen und Auswirkungen von GLP-1s“ ist, dass GLP-1 den Bedarf an Insulin und Technologie zur Insulinapplikation bei Patienten mit Typ-1-Diabetes nicht beseitigt.
Der gesamte adressierbare Markt umfasst um die 11 Millionen Patienten mit Diabetes, 45% davon mit einem Typ-1 und 55% mit Typ-2-Diabetes und intensivierter Insulintherapie. Insulet erwartet nicht, dass die GLP-1-Analoga einen relevanten Einfluss auf den Markt bei Patienten mit Typ-1-Diabetes haben werden. Hinsichtlich der Nutzung ihres AID-Systems (Omnipod 5) bei Patienten mit Typ-2-Diabetes wird die wirksame Kombination von Insulin und einem GLP-1-Analogon als attraktive Option gesehen, dass diese Behandlung wirksamer ist als jedes der beiden Medikamente allein. Darüber geht man davon aus, dass der anfängliche Nutzen der Kombinationsbehandlung aufgrund des progressiven Charakters des Typ-2-Diabetes im Laufe der Zeit abnimmt und eine Insulintherapie für fortgeschrittene Fälle erforderlich ist, bei denen es Anzeichen für eine anhaltende Hyperglykämie gibt.
Der Markt für die Nutzung von Insulinpumpen durch diese Patientengruppe wird positiv gesehen, denn noch weist er eine minimale Penetration auf. Daher wird ein Wachstum für die kommenden Jahren erwartet: Für eine Zulassungsstudie des AID-Systems bei Patienten mit Typ-2-Diabetes (SECURE-T2D) wird ein breites Spektrum von Patienten rekrutiert und ca. 50% dieser Patienten erhalten bereits ein GLP-1-Analogon.
Fazit: Mit Blick auf den Aktienkurs ist es verständlich, dass sowohl Abbott als auch Insulet versuchen, ihre Marktpositionen zu verteidigen, trotz oder auch gerade wegen der hohen Aufmerksamkeit, die GLP-1-Analoga aktuell erfahren. Dass die Nutzung von diesen Substanzen – zumindest in einigen Märkten – bereits beginnt, Insulin bei der Therapie von Patienten mit Typ-2-Diabetes zu verdrängen, wird wohl als deutliche Bedrohung wahrgenommen.
Das Thema Kosten spielt bei solchen Präsentationen eher eine untergeordnete Rolle. Schaut man sich die Tagestherapiekosten bei den GLP-1-Analoga an, die in den USA noch deutlich höher sind als in Deutschland, dann sind diese ein wichtiges Thema, welches den Markterfolgt massiv beeinflusst. Die parallele Nutzung von Diabetes-Technologie und GLP-1-Analoga wird Kosten verursachen, die sich in Selbstzahlermärkten nur relativ wohlhabende Menschen leisten können. In Ländern, in denen die Kosten von Gesundheitssystemen getragen werden, wird die Summe an Belastungen, die da auflaufen, ebenfalls zu Problemen führen. Während der Markt der Patienten mit Typ-1-Diabetes eher wenig dadurch beeinflusst wird, wird es bei dem von Patienten mit Typ-2-Diabetes um unterschiedliche Nutzergruppen gehen.
diatec weekly – Oktober 27, 23
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