Das Symposium mit dem etwas sperrigen Titel: „Automatisierung und erweiterter Technologieeinsatz stationär und im Bereich der Heim- und Pflegedienstversorgung“ präsentierte zunächst einen eher grundsätzlichen Vortrag zum Thema CGM im Krankenhaus von Guido Freckmann, gefolgt von einem Vortrag der Klinikerin Susanne Reger-Tan zum Einsatz von CGM in der stationären Versorgung und schließlich einer Übersicht zur Versorgungschancen im Bereich der Heim- und Pflegeversorgung von Karin Schlecht als Praktikerin.
Der Einsatz von CGM bei hospitalisierten Patienten bietet eine Reihe von Möglichkeiten und wird sich perspektivisch zum „Standard of Care“ auch in diesem Anwendungsbereich entwickeln. Es gibt es aber auch einiges an Hürden, hier sind deshalb die Pros und Cons aufgeführt:
Pros
- 24-Stunden Glukoseprofil in Echtzeit
- Vorhersage von Hypo- / Hyperglykämien
- Alarme
- Weniger arbeitsaufwendig
- Weniger POC Testungen
- Reduzierter Kontakt zum Patienten
- Geringeres Infektionsrisiko (z.B. COVID-19)
Cons
- Genauigkeit? Dazu fehlen Standards
- Interferenzen mit Medikamenten
- „Time lag“
- Keine Zulassung für Nutzung im KH / Zweckbestimmung „intended use“
- Qualitätskontrolle / RiliBÄK
- Berücksichtigung von Hautreaktionen
- Mehrbelastung der Pflege (z.B. Erlernen der neuen Technologie, Zeit für „Troubleshooting“, Entscheidungsfindung anhand von CGM Daten), Medizinproduktebetreiberverordnung
Auf die oben fett dargestellten Punkte ging Freckmann mehr im Detail ein. Der MARD als einer von den Herstellern gern verwendeten Maßzahl für die Genauigkeit der CGM-Systeme bei der Glucosemessung hat sich in der letzten Dekade deutlich verbessert, allerding wurden die Messungen dafür nicht bei hospitalisierten Patienten durchgeführt. Hinzu kommt, dass es nur wenige Studien zur Genauigkeit von CGM bei älteren Patienten gibt, die aber den Hauptanteil von Patienten im Krankenhaus darstellen. Publizierte Daten zur Güte der Glucosemessung mit dem Libre Pro weisen auf eine schlechtere Messgüte im niedrigen Glucosebereich hin (höherer MARD). Die Auswertung von Daten mit einem Dexcom G6 bei hospitalisierten Patienten weist ebenfalls auf eine niedrigere Genauigkeit dieses CGM-Systems im niedrigen Glucosebereich und bei Patienten mit einer schweren Anämie hin. Die Messgüte ist bei Patienten mit einer Hämodialyse auch nur als moderat zu bezeichnen, fast unabhängig von dem verwendeten CGM-System. Gerade im Krankenhaus mit teilweise hochdosierten Gaben von Medikamenten und anderen Substanzen spielen Interferenzen eine erhebliche Rolle. So kann die Messgüte durch Gabe von Mannitol oder Tetrazykline (Eversense), Hydroxurea (Guardian Sensor 3, Dexcom G6) oder Ascorbinsäure (Libre 2) erheblich gestört werden. Messstörungen können im Krankenhaus auch bei der Durchführung von bildgebenden Verfahren (CT/MRT) auftreten. Da CGM-Systeme aus der Messung der Glucosekonzentration in der interstitiellen Flüssigkeit einen „Hybrid-Glucose-Wert“ berechnen, der die Blutglucosekonzentration widerspiegeln soll, können Flüssigkeitsverschiebungen, wie sie bei stationären Patienten in diversen Situationen auftreten können, zu relevanten Messfehlern führen.
Die regulatorischen Vorgaben stehen der Nutzung von CGM im Krankenhaus deutlich entgegen, eigentlich sollen hier nur qualitätsgesicherte Messmethoden eingesetzt werden, was bei CGM-Systemen nicht der Fall ist. Dazu kommt, von der Zulassung her schließt die Zweckbestimmung (die die Hersteller selber festlegen!) bei einer Reihe von CGM-Systemen deren Einsatz im Krankenhaus nicht mit ein. Der Einsatz solcher Systeme im Krankenhaus („off label use“) führt zur Übernahme der Herstellerverantwortung.
Die AGDT hat im Jahr 2019 in einer Stellungnahme dargelegt: Unter folgenden Voraussetzungen sollte ein Einsatz von CGM-Systemen im stationären Bereich ermöglicht werden,
- Die Systeme müssen die Anforderungen der Rili-BÄK erfüllen (Qualität, eindeutige Patientenzuordnung, Archivierung etc.), was nicht machbar ist mit den aktuellen Systemen
- Klinische Zustände, die die Diskrepanz zwischen Gewebs- und Blutglucose über das bekannte Maß hinaus verursachen, müssen evaluiert werden
- Die Nutzung und Bedienung der Systeme selber sowohl die Nutzung der Daten muss durch geschultes und zertifiziertes Personal erfolgen.
Die Forderungen des Redners Guido Freckmann waren eindeutig:
- Mehr Studien für den Einsatzbereich Krankenhaus und Pflege!
- Klarere Definitionen dazu!
- Weil Rili-BÄK nicht direkt anwendbar ist, sollte dazu eine alternative Regelung erstellt werden!
- Hersteller sollten Zweckbestimmung erweitern, um einen rechtssicheren Einsatz ihrer Produkte zu ermöglichen!
In Anbetracht der diversen Faktoren, die in der Krankenhaussituation einen Einfluss auf die Messgüte haben können, erscheinen kalibrierbare CGM-Systeme geeigneter für das stationäre Setting. Ferner gilt es, die verschiedensten „Cocktails“ auf eine mögliche Interferenz bei der Glucosemessung durch CGM-Systeme zu untersuchen, zumindest die gebräuchlichsten Medikamente wie ASS, NOAK, Betablocker, Antibiotika, Antiepileptika, Sedativa…. Ferner sollte evaluiert werden, ob die Körpertemperatur einen Einfluss auf das Messergebnis hat, Patienten im stationären Setting können Fieber haben.
Die Klinikerin Susanne Reger-Tan ging zunächst kurz auf die Relevanz und die Herausforderungen beim Diabetes-Management in Krankenhaus ein. In ihren Standards-of-Care beschreibt die ADA die Nutzung von CGM im Krankenhaus als eine Option, wenn die Patienten selbst mit einem CGM-System ins Krankenhaus kommen und dieses weiter nutzen wollen (unter bestimmten Bedingungen) und dass das Krankenhaus diese Systeme selber nutzen kann, wenn dies z.B. durch Personalmangel notwendig ist. Die Corona-Pandemie hat der Nutzung von CGM im Krankenhaus einen beträchtlichen Schub gegeben. In den USA hat dies dazu geführt, dass die Regulierungsbehörden einer Zulassung zu diesem Zweck nun deutlich offener gegenüberstehen. In der Universitätsmedizin Essen werde CGM-Systeme im Alltag mit passender digitaler Umgebung eingesetzt, auch um den Aufwand für das Pflegepersonal bei der Betreuung von Patienten mit Corona zu verringern. In der Diskussion ging es auch darum, dass venöse Glucose-Messung der Goldstandard für die Diabetes-Diagnose ist, für die Diabetes-Therapie sollten kapilläre Glucosemessungen verwendet werden, da postprandial erhebliche Abweichungen zwischen den Messungen auftreten können.
Im dritten und letzten Vortrag wies die Praktikerin Karin Schlecht zunächst darauf hin, dass es zur Nutzung von CGM-Systemen im Bereich von Pflegeheimen und vergleichbare Strukturen ausgesprochen wenig an Daten und Evidenz gibt. Dies steht in deutlichen Kontrast zur Anzahl von Menschen, die sich in Deutschland in einer Pflegeeinrichtung befinden – mit einer wiederum hohen Anzahl von Menschen mit einem Diabetes – bei einem gleichzeitig ausgeprägten Mangel an Pflegekräften. Karin Schlecht stellte in diesem Zusammenhang drei Kernfragen: Entlastet die Digitalisierung die Pflegekräfte? Kann mit digitalen Verknüpfungen Geld gespart werden? Gibt es gute Argumente, um skeptische Mitarbeiter, Pflegekräfte und Bewohner zu überzeugen? Insbesondere die Dokumentationsanforderungen stellen einen relevanten „Zeitfresser“ in der Praxis dar. Optionen für die Diagnose und Therapie, wie sie moderne Diabetes-Technologie zur Verfügung stellt, sind zwar attraktiv, treffen aber auf eine Umwelt, die auf solche Ansätze nur bedingt vorbereitet ist. Im Klartext, es gibt eine Reihe von Hürden und Klippen und auch weiterhin nur bedingte Bereitschaft zur einer Kostenübernahme. Diese Optionen passen auch nicht auf alle Patienten, sie sollten mit Bedacht eingesetzt werden.
Trotz all dieser Pros und Cons gibt es auch in diesem Bereich eine Reihe von Aktivitäten, unter anderem getrieben von der AG Geriatrie und Pflege der DDG. Diese praktischen Erfahrungen sind wichtig, um eine realistische Abschätzung zum Aufwand und Nutzen zu bekommen. Dies ist auch notwendig, um Ansätze so zu gestalten, dass sie in der Praxis der Pflegeeinrichtungen eine möglichst hohe Akzeptanz durch das Personal und die anderen Strukturen in diesen zu erfahren, sonst werden solche Optionen eben nicht verwendet. Über die Messung von Glucosedaten (CGM+ BZ) hinaus ist auch in diesem Bereich die Erfassung der Daten zur Insulinzufuhr über Smart-Pens von Bedeutung sowie eine interoperable Auswertungs-Software. Die Nutzung von CGM allein ist im Pflegeheim nicht ausreichend, auch weil die Behandlungsziele bei den Patienten deutlich voneinander abweichen können. Ein begrenztes Interesse der Diabetologen an diesem Einsatzbereich erklärt sich auch dadurch, dass dieser in der Praxis die Domäne des Hausarztes ist.
Fazit: Insgesamt betrachtet ist die Nutzung von CGM in anderen Bereichen des Medizinbetriebes ein ausgesprochen wichtiges Thema. Man kann aus verschiedenen Blickwinkeln auf dieses Thema schauen und zu etwas unterschiedlichen Schlüssen hinsichtlich der praktischen Nutzung kommen. Dieses wichtige Thema sollte deshalb nicht nur einmalig bei einem solchen Symposium diskutiert, sondern gezielt in den entsprechenden Gremien vorangetrieben werden bzw. alternativ sollte eine neue Struktur dafür etabliert werden.
diatec weekly – Juni 24, 22
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