Herzlich willkommen bei diatec weekly,

hinter dem Horizont geht’s weiter! sang einst Udo Lindenberg und in gewisser Weise stimmt das ja auch. Denn den Horizont gibt es nicht, er ist nur eine gedachte Linie dort, wo sich Himmel und Erde scheinbar berühren. Ein geografisches Phänomen, ein optischer Trick, der die sichtbare Grenze unserer Welt markiert, und das ist eben nichts anderes als die Grenze unseres Sehvermögens mit dem Versprechen: Dahinter geht’s weiter.

Kaum ein anderes Wort verbindet unseren Alltag so selbstverständlich mit der großen Idee des Fortschritts. Wir haben Horizonte erreicht, überschritten, erweitert und überwunden. Der Horizont kann nah sein und doch so fern, begrenzt und grenzenlos, unendlich sein und doch niemals erreichbar. Er schluckt allabendlich die Sonne und damit das Licht, trennt den Himmel von der Erde und die Nacht vom Tag und bleibt dabei immer eine Illusion. Der Horizont ist Versprechen und Warnung, Projektionsfläche für Hoffnungen und Ängste, die Grenze unseres Wissens und Sehnsuchtsort unserer Neugier.

Am Horizont wird die Zukunft sichtbar – als Schwelle zwischen Vertrautem und Unbekanntem, zwischen Gewissheit und Möglichkeit und der Forderung, unseren Blick zu heben, den Rahmen zu sprengen und weiter zu denken, als wir sehen können. Den Horizont zurückerobern gar will die WirtschaftsWoche in einem aktuellen Essay und will von uns eine neue Fortschrittserzählung. Denn der Fortschritt ist verdächtig geworden: zu unsozial, zu weltfremd, zu komplex, zu abhängig von anonymen Märkten. Das ist unter anderem auch ein Grund, warum populistische Bewegungen gedeihen: Sie finden einfache Antworten auf diffuse Ängste.

Wo aber ist die überzeugende Fortschrittserzählung geblieben? Sie war doch nie nur eine technische oder rein ökonomische Kategorie, sondern stets eine kulturelle Kraft, an der wir uns gemessen haben. Ein Horizont eben, an dem sich die moderne Wissenschaft ebenso begründet hat wie demokratische Institutionen, Menschenrechte und wirtschaftliche Teilhabe. Nun geraten die Horizonte ins Rutschen: technologisch, geopolitisch, biologisch und kulturell.

Wir erleben, wie alte Gewissheiten durch neue Möglichkeitsräume abgelöst werden. Künstliche Intelligenz eröffnet uns Horizonte der Erkenntnis, die wir bislang nur erahnen können. Medizinische Fortschritte verschieben die Grenzen des Machbaren bis hin zur Frage, wie viel „Verbesserung“ des Menschen wir wollen. Oder besser: Ertragen können. Und in der Gleichzeitigkeit erleben wir, wie geopolitische Konflikte unseren Blick verengen und versuchen, Horizonte zu verengen.

Politisch grenzt der Horizont Räume ein und trennt Weltanschauungen. Philosophisch jedoch beschreibt er das Spektrum unserer Erfahrungen und das Feld des Denk- und Vorstellbaren.
„Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont!“, sagte einst Konrad Adenauer und von Einstein ist überliefert: „Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit Radius Null und das nennen sie dann ihren Standpunkt.“ Das, was wir sehen, steckt also den Rahmen unseres Denkens ab.

Aber fordert nicht genau dieser Rahmen uns heraus, ihn zu überschreiten? Ist nicht der Horizont seit jeher das Sinnbild unserer Sehnsucht? Als wir die Erde noch für eine Scheibe hielten, galt der Horizont als Rand der Welt. Und als ein Ort, den man aus Angst, hinunterzufallen, auch nie erreichen wollte.

Dieses alte Bild passt erstaunlich gut zur Gegenwart: Noch nie konnten wir so weit blicken, und doch fühlen sich viele orientierungsloser denn je. Wo alles möglich scheint, wächst die Angst, falsch zu wählen. Klare Linien verschwinden, Unschärfen nehmen zu. Der Horizont wird flexibel und beweglich – und damit für viele Menschen unheimlich.

Doch gerade diese Verunsicherung eröffnet Chancen. Ein neuer Horizont entsteht nicht, indem wir die alte Linie verschieben, sondern indem wir unsere Perspektive ändern. Nicht das „Wo geht es weiter?“ zählt, sondern das „Wie geht es weiter“. Was trägt uns, wenn wir Grenzen überschreiten? Welche Verantwortung entsteht, wenn wir neue Räume öffnen? Und wer entscheidet, wie wir morgen leben wollen? „Neue Horizonte“ stehen daher für weit mehr als technische Innovation, wirtschaftlichen Wandel oder geopolitische Verschiebung, sondern für den Mut, den eigenen Blick zu heben und das Gemeinsame in den Mittelpunkt zu rücken. Und für eine Zukunft, die weiter reicht als der kurzfristige Vorteil.

Bald ist Weihnachten und da darf man sich etwas wünschen! Wir wünschen uns natürlich, dass endlich die Waffen in der Ukraine schweigen und dass es zu ernsthaften Friedensverhandlungen kommt. Und wir wünschen uns noch etwas: Viele von Euch haben bereits die Befragung für den dt-report ausgefüllt. Aber je mehr es wird, umso besser werden die Ergebnisse. Wenn ihr den dt-report also noch nicht ausgefüllt habt, jetzt ist die Gelegenheit dafür!

Warum ist der dt-report wichtig? Er schafft Daten, die ganz unmittelbar zur Verbesserung Eurer eigenen Versorgung beitragen können. Eure Teilnahme ist also ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu einer besseren Zukunft für Menschen mit Diabetes.

Bei der diatec 2026 gibt es an dem Donnerstagnachmittag wieder eine Session, in der die Ergebnisse der Befragung für den dt-report 2025/2026 vorgestellt werden. Sie ist vielfältig und hochkarätig besetzt: Javier Ampudia Blasco aus Valencia und Tobias Wiesner zeigen, welche Chancen und Herausforderungen sich aus internationalen Daten ergeben. Michi Resl aus Linz und Norbert Hermanns diskutieren unter dem Titel „CGM für alle?“ Zufriedenheit, Zukunftsoptionen und Verbesserungspotentiale. Einen Reality-Check für AID-Systeme machen Peter Diem aus Bern und Dominic Ehrmann, indem sie analysieren, wie AID in der klinischen Praxis tatsächlich genutzt wird und welche Hürden und Chancen bestehen.

Bernd Kulzer und Christian Graf aus Wuppertal fragen mit einer Kosten-Nutzen-Analyse: „Sind Diabetestechnologien kosteneffizient?“ und einen Blick in die Zukunft der Innovation wagen Cordelia Trümpy und Derek Brandt, beide vom Diabetes Center Bern, und geben Einblicke in neue Startups und technologische Entwicklungen, die sich in Bern regelmäßig in einem anspruchsvollen Wettbewerb beweisen müssen. Ralph Ziegler aus Münster und Timm Roos aus Bad Mergentheim reflektieren darüber, ob KI in der Diabetestherapie bereits angekommen ist – oder ob wir noch davon träumen und Gedanken zur Therapie von morgen machen Winfried Keuthage aus Münster und Lutz Heinemann, indem sie unter „What’s next?“ die Zukunft der Diabetestherapie versuchen zu skizzieren.

Zum Abschluss des Nachmittags werden die Ergebnisse des dt-report 2026 in der Podiumsdiskussion „Und nun?“ zusammengeführt. Im Fokus steht dabei eine zentrale Botschaft: Daten allein verändern nichts. Entscheidend ist, aus den Ergebnissen konkrete Maßnahmen abzuleiten, um die Patienten-Versorgung mit Hilfe von Diabetes-Technologie auf das nächste Level zu heben. Wir freuen uns auf viele Teilnehmer für den Donnerstagnachmittag!

Nun aber zu den Themen der Woche: Es gibt eine deutsche Studie zu nicht-invasivem Glucosemonitoring, die wir uns angeschaut haben. Dann folgt eine laaange Zusammenfassung von Real-World-Studien, die zum Thema AID-Systeme beim letzten EASD vorgestellt wurden. Auf geht’s!

Kaum ein Thema elektrisiert die Diabetes-Tech-Szene seit Jahrzehnten so zuverlässig wie das nicht-invasive Glukosemonitoring (NIGM), das nach wie vor als der Heilige Gral der Diabetes-Technologie gilt. Weltweit wird fieberhaft daran gearbeitet – und ebenso beständig scheitert man an den Tücken der Physiologie. Nun hat die Berliner Firma DiaMonTech neue Studiendaten zu ihrem NIGM-Ansatz veröffentlicht [1]. Ein genauerer Blick lohnt sich also:

NIGM – Stand der Dinge und eine aktuelle Studie aus Deutschland

Nicht-invasives Glucosemonitoring (NIGM) gilt als der Heilige Gral der Diabetes-Technologie, weltweit wird intensiv an der Entwicklung eines entsprechenden Produktes gearbeitet. Aktuell hat die Firma DiaMonTech aus Berlin die Ergebnisse einer Studie mit ihrem NIGM-Ansatz publiziert [1]. Alle Autoren sind Mitarbeiter des Herstellers.

Wir haben immer noch nicht den EASD abgearbeitet, denn es gab dort ja, wie bereits erwähnt, eine Menge zum Thema AID und dem Einsatz bei den verschiedenen Patientengruppen. Auch Real-World-Daten, also Daten aus der echten Welt – im Gegensatz zu klinischen und hochkontrollierten Bedingungen – wurden in verschiedenen Vorträgen und Postern gezeigt:

EASD 2025: Real-World-Daten zur Nutzung von AID-Systemen

Weil sich der Einsatz von AID-Systemen in die Diabetes-Therapie massiv verändert hat, muss angesichts der rasch zunehmenden Nutzung auch die Durchführbarkeit einer flächendeckenden Einführung in die Gesundheitssysteme bewertet werden. J. Jendle (SO078-868) stellte die Ergebnisse eine gesundheitsökonomischen Studie vor, die eine umfassende Analyse der klinischen und wirtschaftlichen Auswirkungen von AID bei verschiedenen Patientengruppen in den nordischen Ländern liefert. Dafür wurde die Kosteneffizienz von AID im Vergleich zu MDI+CGM über einen Zeitraum von 30 Jahren bewertet.

Das Bild der Woche

Alle 144 Jahre findet in Indien die größte Versammlung der Welt statt: Mahakumbh Mela ist
ein religiöses Fest. Über 400 Millionen hinduistische Pilger nahmen in diesem Jahr an der eigens
für diesen Anlass errichteten temporären Metropole teil. Foto von Georg Steinmetz

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Zum Schluss noch wie immer das Letzte

Uns erreichte in dieser Woche ein Kommentar eines Lesers, der seinem Unmut über das aus seiner Sicht langsame Tempo von Forschung und Entwicklung in der Diabetologie Luft machte. Er versteht nicht, warum es bis heute keine Heilung des Diabetes gibt, und vermutet dahinter eine allzu zögerliche Haltung der Beteiligten, die mit der Krankheit lieber Geld verdienen wollten, als wirksame Therapien voranzutreiben.

Wir haben länger überlegt, wie wir mit dieser sehr direkt formulierten Nachricht umgehen wollen, in der Frust und Bitterkeit aus 70 Jahren Leben mit Typ-1-Diabetes deutlich spürbar sind. Stellvertretend für diesen Leser – und für viele andere Menschen mit Diabetes, die den weekly lesen – möchten wir heute antworten.

Zunächst danken wir für die Offenheit. Wer seit 1954 mit Diabetes lebt, hat eine Zeit erlebt, in der die Behandlungsmöglichkeiten extrem begrenzt waren. Jeder, der das über Jahrzehnte gemeistert hat, verdient großen Respekt – und hat auch den unseren.

Gleichzeitig lässt sich sagen: Gerade in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten hat sich enorm viel getan. Wir haben heute AID-Systeme, die Insulin automatisiert dosieren. Kontinuierliche Glukosesensoren messen zuverlässig und nahezu in Echtzeit. Moderne Insuline wirken schneller, digitale Tools stehen breit zur Verfügung, strukturierte Schulungen und gut organisierte Versorgungsstrukturen erleichtern den Alltag vieler Menschen mit Diabetes spürbar. Diese Fortschritte wären noch vor wenigen Jahrzehnten kaum denkbar gewesen.

Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen zerstört – aus bis heute nicht vollständig verstandenen Gründen. Auch wenn es leider noch keine Heilung gibt, möchten wir klar sagen: Niemand hält Forschungsergebnisse zurück oder bremst bewusst. Im Gegenteil: Die Entwicklung neuer Therapien und Technologien ist ein komplexer, langwieriger und streng regulierter Prozess. Zwischen einer ersten Idee und einer zugelassenen Therapie liegen häufig viele Jahre – und das ist auch gut so. Fatal wäre es, wenn jede Idee ungeprüft auf den Markt käme und womöglich Leben und Gesundheit von Menschen gefährden würde.

Trotzdem wird weltweit intensiv geforscht: an Beta-Zell-Ersatz, Immuntherapien, Inselzelltransplantationen, besseren Sensoren, noch intelligenteren AID-Systemen und vielem mehr. Der Weg ist weit, aber es bewegt sich viel. Und Rückmeldungen wie die unseres Lesers zeigen, wie wichtig es ist, dass dieser Weg konsequent weitergegangen wird.

Wir wünschen all unseren Leserinnen und Lesern und darüber hinaus allen Menschen, die Tag für Tag ihren Diabetes managen, dass moderne Technologien ihren Alltag erleichtern und sie gute Unterstützung und Versorgung finden.

Ein Buch, das dabei helfen kann: „Weil Du es kannst!“ ist das neue, sehr persönliche und zugleich praktische Handbuch für alle, die gerade erst mit Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurden. Geschrieben wurde es von Shirin Valentine, Moderatorin, Sängerin und seit über 20 Jahren selbst Typ-1erin. Ein Buch, das sie sich selbst bei ihrer Diagnose gewünscht hätte: verständlich, ermutigend, lebensbejahend. „Diabetes ist nicht dein Feind, sondern gehört nun zu dir. Freunde dich also mit ihm an.“

„Weil Du es kannst!“ ist im Verlag MedTrix (Wiesbaden) erschienen: ISBN: 978-3-87409-791-8

Ein wunderbares Buch, das neben Energie sicher auch viel Mut gekostet hat. Danke, Shirin!

Und danke an Euch alle, dass ihr auch diesmal bis hierher gelesen habt. Dies ist der letzte weekly des Jahres 2025. Es hat uns viel Freude gemacht, Euch Woche für Woche zu begleiten – egal, ob ihr selbst mit Diabetes lebt, Menschen mit Diabetes betreut oder in Unternehmen an den Technologien
arbeitet, die das Leben damit Schritt für Schritt leichter machen.

Ganz zum Schluss haben wir noch ein Weihnachtsgedicht für Insider:

Weihnachten ist wie ein AID-System,
glättet Spitzen und fängt die Tiefs,
und schenkt uns einmal im Jahr
für ein paar Stunden Time-in-Peace.

Bleibt nur noch, Euch eine entspannte und friedvolle Adventszeit und ein wunderschönes Weihnachtsfest zu wünschen. Genießt diese ruhige Zeit sehr bewusst und kommt gut ins neue Jahr hinein.

Mit herzlichen Grüßen,

 

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Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das nebenstehende Formular um sich für den diatec weekly Newsletter anzumelden!

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