It’s Bildung, stupid!
Herzlich willkommen beim diatec-weekly!
Wann eigentlich hat Deutschland aufgehört, sich ernsthaft um das Thema Bildung zu kümmern und damit in seine eigene Zukunft zu investieren? Leider schon vor langer Zeit.
Noch in den 1960er Jahren galt Bildung als Treibstoff einer neuen Gesellschaft nach den Schrecken des Nationalsozialismus. Bildung stand für Aufbruch, Modernisierung und Fortschritt. Nach den Jahren des Wiederaufbaus erkannten Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, dass Wohlstand und Demokratie auf Wissen und Bildung beruhen. War Bildung bis dahin ein Privileg der Upper Class gewesen, galt sie nun als Grundlage gesellschaftlicher Teilhabe und als Bürgerrecht.
Im Bestreben, eine moderne Gesellschaft aufzubauen, wollte die Politik unter Kiesinger und Brandt verhindern, dass Talente in den unteren Schichten ungenutzt blieben. Auch Kinder aus Arbeiterfamilien sollten Abitur und Studium erreichen. Das Bildungssystem jener Zeit gab ein Versprechen, das ganze Generationen trug: „Ihr sollt es einmal besser haben als wir!“
Doch Mitte der 1970er Jahre endete die Bildungseuphorie. Wirtschaftskrise und Ölpreisschock führten zu massiven Haushaltskürzungen und Bildung galt plötzlich nicht mehr als Investition in die Zukunft, sondern als Kostenfaktor der Gegenwart. In den 80ern wechselte das Bildungssystem in den Verwaltungsmodus, einheitliche Strukturen an Hochschulen für Studiengänge, Prüfungen und Zulassungen brachten jedoch mehr Bürokratie als Vision.
Hinzu kam die Föderalismusfalle: Bildungspolitik ist in Deutschland Ländersache. Sechzehn Kultusministerien mit sechzehn Lehrplänen und sechzehn Prüfungsordnungen schafften es zunehmend, sich gegenseitig zu blockieren. Die Kultusministerkonferenz tagte unermüdlich, um sich schließlich auf eine unsinnige Rechtschreibreform zu einigen, während die Welt sich längst rasant veränderte. Das deutsche Bildungssystem verhedderte sich im Föderalismus und verlor den Anschluss. Auch die Integration der neuen Bundesländer führte eher zu Angleichung als zu Innovation. Gute Systeme aus dem Osten wurden gestrichen, um alles an westliche Normen anzupassen, und Investitionen in frühkindliche Bildung oder Ganztagsschulen blieben gleich ganz aus.
Mit dem Beginn des neuen Jahrtausends, das mit so viel Aufbruchstimmung startete, wurde es nicht besser. Nicht einmal der PISA-Schock von 2001 half, als deutlich wurde: Deutschland ist nur Mittelmaß. Glück hatte, wer im richtigen Bundesland lebte. Zwar folgte eine Reform-Kaskade mit Bildungsstandards und Vergleichsarbeiten, doch einen echten Strukturwandel gab es nicht. Das Lehrpersonal wurde älter, die Schulen verfielen, und Gelder des Bundes durften wegen des Kooperationsverbotes nicht verwendet werden – weil ja schließlich die Bildungshoheit bei den Ländern liegt.
In den 2010er Jahren schließlich setzte sich das digitale Versäumnis fort: Während Länder wie Skandinavien, Estland oder Südkorea längst umfassende Digitalstrategien umsetzten, diskutierte man hierzulande über WLAN in Schulen. Der 2019 beschlossene Digitalpakt Schule mit fünf Milliarden Euro kam zu spät und war zu kompliziert, um ihn zu beantragen, die Mittel blieben weitgehend ungenutzt. Lediglich Tablets und Whiteboards wurden ohne jedes didaktische Konzept angeschafft, Medienkompetenz aber blieb ein Randthema.
Dann kam die Pandemie und zeigte schonungslos, was jahrzehntelang ignoriert wurde: fehlende Infrastruktur, überforderte Lehrkräfte, digitale Inkompetenz, extreme soziale Ungleichheit. „Home-Schooling“ offenbarte eine Spaltung, die längst existierte: Kinder mit gebildeten Eltern kamen klar, die anderen fielen aus dem System.
Und heute? Laut Kultusministerkonferenz fehlen bis 2035 über 80.000 Lehrkräfte. Kein Wunder – es wurden ja auch viel zu wenige ausgebildet. Die Gebäude vieler Schulen sind marode und der Investitionsbedarf beträgt geschätzte 40 Milliarden Euro. Mindestens! Und weil wir unsere eigenen Talente jahrzehntelang nicht gefördert haben, suchen wir nun Fachkräfte im Ausland, ohne zu fragen, wie diese unsere Kinder in einer fremden Sprache und Kultur adäquat unterrichten sollen.
Dabei fehlt es nicht am Geld. Es fehlt an Haltung. Wir verwalten Bildung, statt sie zu gestalten.
Wir zählen Abschlüsse, statt Erkenntnisse. Wir standardisieren Tests, statt Neugier zu wecken. Und wir sprechen immer noch von „Chancengleichheit“, während Herkunft und Wohnort den Bildungsweg stärker bestimmen als Talent oder Motivation. Das Versprechen sozialen Aufstiegs durch Bildung – jahrzehntelang der Kitt der Bundesrepublik – ist brüchig geworden. Deutschland, einst stolz auf seine humanistische Bildung, hat sich in eine Bürokratie der Mittelmäßigkeit verwandelt.
Bildung ist der Schlüssel zu Selbstbestimmung und Demokratie und nicht einfach nur Schulorganisation. Bildung ist Zukunft und die Investitionen, die wir heute in Bildung versäumen, zahlen wir später doppelt und dreifach: in Form von Fachkräftemangel und politischer Radikalisierung einer Gesellschaft, die auseinanderdriftet, weil sie das gemeinsame Fundament des Verstehens verliert. Wer nicht gelernt hat, kritisch zu denken, ist anfällig für Parolen. Wer nie die Freude des Lernens erfahren hat, verliert auch die Lust, Verantwortung zu übernehmen.
Vielleicht ist es noch nicht zu spät, nachzuholen, was wir so lange versäumt haben: Bildung wieder als wesentliches Element für unsere Gesellschaft zu begreifen. Wir brauchen keine weiteren Strategiepapiere, sondern wir brauchen Mut! Den Mut, die Kinder zu fragen, was sie wirklich interessiert. Den Mut, die Schulen zu öffnen, statt sie zu verwalten. Und den Mut, Lehrende zu ermächtigen, statt sie zu überlasten. Bildung gehört auch nicht zu den Kostenfaktoren, sondern ist Zukunftskapital, das sich vermehrt, wenn man es teilt. Bildung schafft Selbstvertrauen, Kritikfähigkeit und Kreativität – genau die Eigenschaften, die wir als rohstoffarmes Land in einer Welt des rasanten Wandels brauchen.
Die Bildungswende kann nicht mit einer Reform beginnen, sondern mit neuem Vertrauen in die Menschen und in ein Land, das wieder an die Kraft der Bildung und damit auch an sich selbst glaubt. Es wäre ein Anfang. Oder besser gesagt: eine Wiederentdeckung. Denn: It’s Bildung, stupid.
Wir kommen zu den Themen der Woche und beginnen mit der Vorstellung des ersten Hackathons, der bei diatec im Januar 2026 parallel zum Fortbildungsprogramm stattfindet. Im Anschluss und auch als letzten Beitrag haben wir eine ausführliche und aktuelle Übersicht zum Marktgeschehen, nach dem Motto: What’s new? Auf geht’s?
Ein Hackathon ist eine Art intensiver Programmier-Workshop, bei dem in einer relativ kurzen Zeitspanne zwischen 24 und 72 Stunden innovative Lösungen gemeinsam erarbeitet werden. Oft steht ein Hackathon im Zusammenhang mit Softwareentwicklung, Technologie oder Datenanalyse in Feldern wie Nachhaltigkeit, Medizin oder Bildung. Eine spannende Sache und deshalb wollen wir erstmalig parallel zur diatec 2026 am letzten Januar-Wochenende in Berlin einen Hackathon durchführen. Inhaltlich wird er getrieben von Mitarbeitern des HDZ NRW, Bad Oeynhausen und der Diabetes-Klinik Bad Mergentheim, organisiert von Prof. Dr. Susanne Reger-Tan, die hier auch den Gastbeitrag scheibt:
Der GluCode-Hackathon – KIS trifft Diabetes
Die Challenge: Die Klinikinformationssysteme (KIS) in den Krankenhäusern sind bislang kaum auf die besonderen Anforderungen des Diabetes-Managements abgestimmt. Im Klinikalltag behelfen wir uns in allen Bereichen des Diabetesmanagements noch allzu häufig mit papierbasierten Workarounds. Das ist in der Ära der Diabetes-Technologie längst nicht mehr ausreichend.
Der Markt für Diabetes-Technologie bleibt in Bewegung. Neue Produkte, Fusionen und Zulassungen prägen das Bild – mit deutlichen Impulsen aus Europa und den USA. Hier ein Überblick über die wichtigsten aktuellen
Entwicklungen aus der Industrie
ViCentra und Diabeloop bringen neue Generation ihres AID-Systems auf den europäischen Markt
Das niederländische Unternehmen ViCentra plant im Herbst dieses Jahres den Start einer begrenzten Einführung der Kaleido-Patch-Pumpe in Deutschland und den Niederlanden. Gemeinsam mit Diabeloop ist die vollständige Markteinführung der neuen Generation ihres AID-Systems für Anfang 2026 vorgesehen. Gleichzeitig bereiten beide Unternehmen den Markteintritt in den USA vor – Diabeloop hat dazu bereits einen Zulassungsantrag für DBLG2 bei der FDA eingereicht.
Das Bild der Woche

Balance, Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit – wer die Wellen des Blutzuckers
beherrschen will, braucht dasselbe Gefühl für Gleichgewicht wie ein Surfer auf dem Brett.
Zum Schluss noch wie immer das Letzte
Mit vollen Segeln voraus – so fand am vergangenen Wochenende in Mannheim die diesjährige DDG-Diabetes-Herbsttagung 2025 statt und wer dabei war, merkte schnell: Unter dem Motto „360° Diabetes: Leinen los, gemeinsam zu neuen Ufern“ wehte ein frischer Wind durch die Diabetologie. Rund 3.500 Ärztinnen, Ärzte, Diabetesberater und Beraterinnen sowie Industrievertreter kamen zusammen, um in Symposien, Workshops und Flurgesprächen das weite Meer des Diabetes einmal von allen Seiten aus zu durchsegeln.
Inhaltlich war das Programm so vielfältig wie die Community selbst. Unter dem Titel „Alles eine Frage der Hormone?“ drehte sich vieles um hormonelle Einflüsse in verschiedenen Lebensphasen – von der Pubertät über die Schwangerschaft bis hin zur Menopause. Weiter ging es mit „Diabetes, Darm und Leber: Zusammenhänge verstehen“, wo die inneren Organe endlich die Aufmerksamkeit bekamen, die sie verdienen – als eigentliche Taktgeber des Stoffwechsels.
Auch das Gehirn kam nicht zu kurz: „Diabetes von Kopf bis Fuß – von A wie Auge bis Z wie ZNS“ zeigte neue Ansätze im Komplikationsmanagement, während bei „Hand aufs Herz: Alles im Fluss?“ die Gefäße und das Herz-Kreislauf-System auf den Prüfstand kamen. Wer dachte, damit wäre Schluss, irrte: „Wenn Diabetes auf die Nerven geht“ nahm sich den neurodegenerativen Folgen an – und mit „Auch bei stürmischer See: Segel setzen, Kurs halten!“ ging es schließlich um das, was im Alltag zählt: Lebenssituationen, Psychologie und Versorgungsfragen.
Begleitet wurde das Ganze von praxisnahen Workshops zu Prävention, diabetischem Fußsyndrom und neuer Glukosetechnologie (CGM/FGM) sowie einer lebhaften Industrieausstellung, auf der sich fast alles um das drehte, was in der digitalen Versorgung künftig eine Rolle spielen dürfte.
Insgesamt zeigte die Tagung, wie sich die Diabetologie immer stärker in Richtung ganzheitlicher Stoffwechselmedizin und vernetzter Versorgung bewegt. Oder, um im Bild zu bleiben: Der Kurs stimmt – jetzt heißt es, bei Wind und Wellen die Segel richtig zu setzen.
Das war‘s mal wieder für die Woche. Der Herbst zeigt sich von seiner besten Seite und wir haben kürzlich gelernt, dass es so etwas wie „zu viel Licht“ überhaupt nicht gibt. Also, warmen Pullover an und feste Schuhe und raus, am besten um die Mittagszeit. Dann steht die Sonne am höchsten.
Wir wünschen Euch ein schönes und erholsames Wochenende und – bleibt gesund.
![]()
Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das nebenstehende Formular um sich für den diatec weekly Newsletter anzumelden!
Mit freundlichen Grüßen
![]()

