Herzlich willkommen zum diatec weekly.
Es gibt ein Wort, das mehr ist als ein Begriff. Es ist eine Haltung, fast ein stiller Aufruf: Die Kraft der Selbstwirksamkeit!
In einer Welt, die täglich komplexer, schneller und unübersichtlicher wird, fühlen sich viele Menschen zunehmend ohnmächtig. Politische Entscheidungen, die scheinbar über unsere Köpfe hinweg getroffen werden. Globale Krisen, Kriege, soziale Ungleichheit. Marode Systeme, die nicht mehr tragen. Und über allem: die permanente digitale Reizüberflutung, bei der Algorithmen bald besser wissen sollen, was wir wollen, als wir selbst. Kein Wunder, dass sich viele fragen: Was soll ich da schon ausrichten?
Die Antwort ist überraschend einfach: Mehr, als du denkst.
Wer an seine eigene Selbstwirksamkeit glaubt, nimmt sein Leben nicht als etwas hin, das einfach passiert, sondern als etwas, das gestaltet werden kann. Der kanadische Psychologe Albert Bandura, einer der einflussreichsten Forscher des 20. Jahrhunderts in diesem Bereich, hat mit seiner sozialkognitiven Theorie die Grundlagen für dieses Verständnis gelegt. Sozial steht für das Miteinander, kognitiv für unsere Denk- und Wahrnehmungsprozesse – und beides zusammen beschreibt, wie sehr unser Lernen, Handeln und Entscheiden durch unser soziales Umfeld beeinflusst wird. Und wie wir im Gegenzug dieses Umfeld beeinflussen können, indem wir ermutigend und inspirierend mit anderen Menschen umgehen.
Bandura definierte Selbstwirksamkeit als das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern und Einfluss auf das eigene Leben zu nehmen. Keine Allmachtsfantasie, sondern die feste Überzeugung: Ich bin nicht ausgeliefert. Ich kann etwas tun. Selbstwirksamkeit heißt, nicht in Resignation zu verharren, sondern das eigene Handeln als wirksam zu erleben, gerade in unsicheren Zeiten. Ob durch bewussten Konsum, politisches Engagement, Zivilcourage im Alltag oder durch aktive Mitgestaltung im Beruf: Wer Haltung zeigt, sich informiert, mitredet und Verantwortung übernimmt, wirkt dem Gefühl der Ohnmacht entgegen. Die großen Probleme unserer Zeit mögen komplex sein, aber Veränderungen beginnen oft mit kleinen, mutigen Schritten, und genau darin liegt die Kraft der Selbstwirksamkeit.
Diese Haltung ist kein Luxus. Sie ist lebenswichtig – persönlich wie gesellschaftlich. Menschen, die sich als selbstwirksam erleben, bleiben auch in Krisen handlungsfähig. Sie entwickeln Resilienz, treffen mutigere Entscheidungen und übernehmen Verantwortung. Und das Beste: Selbstwirksamkeit ist nicht angeboren. Sie ist wie ein Muskel, der durch Übung, Erfahrung – und ja, auch durch Scheitern und Wiederaufstehen – wächst.
Bandura hat vier zentrale Quellen benannt, durch die Selbstwirksamkeit gestärkt wird:
- Eigene Erfolgserlebnisse – auch kleine – zählen.
- Beobachtung anderer, die ähnliche Herausforderungen meistern.
- Ermutigung durch andere – sei es durch Worte, Vorbilder oder Begleiter.
- Selbstreflexion – das bewusste Erkennen eigener Stärken und Fortschritte.
Diese Faktoren lassen sich kultivieren – in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Medizin, in der Politik. Und in der Erziehung unserer Kinder, denn sie brauchen nicht nur Wissen, sondern das Gefühl, dass ihr Handeln etwas bewirkt.
Bürgerinnen und Bürger müssen spüren, dass ihre Stimme zählt – nicht nur am Wahltag, sondern auch im Alltag, im Dialog, im zivilgesellschaftlichen Engagement. Patientinnen und Patienten sollten nicht nur behandelt, sondern ermutigt werden, Mitgestalter ihrer Gesundheit zu sein.
Besonders In der Diabetologie ist Selbstwirksamkeit nicht nur ein psychologisches Konzept, sondern durchaus klinisch relevant: Menschen mit hoher Selbstwirksamkeit steuern ihre Glucosekontrolle besser, nehmen regelmäßiger an den Schulungen teil und nutzen Technologie bewusster und treffen aktivere Therapieentscheidungen. Sie erleben weniger Überforderung und entwickeln eine stabilere Resilienz gegenüber Rückschlägen oder technischen Problemen. Deshalb braucht moderne Diabetesversorgung mehr als nur Technik und Therapiepläne, sondern Zuwendung, Aufklärung und Vertrauen in die Fähigkeit der Betroffenen, selbst aktiv zu werden.
Selbstwirksamkeit beginnt im Kleinen: Beim Nein-Sagen. Beim Sich-Einbringen. Beim Dranbleiben. Konstruktive Gespräche mit Menschen führen, die andere politische Meinungen vertreten, statt sie abzuwerten. Selbstwirksamkeit ist das Gegengift zu Zynismus, Rückzug und Populismus. Denn wer sich als Gestalter seines Lebens erfährt, glaubt auch an die Gestaltbarkeit der Welt.
Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft unserer Zeit: Du kannst etwas tun. Nicht alles. Aber immer etwas. Und das ist der Anfang von allem.
Nun zu den Themen der Woche und da haben wir ganz aktuell Ergebnisse der Reflect-Studien von Abbott, die eine deutliche Verringerung von Krankenhausaufenthalten zeigen, gefolgt von einem TecTorial der Firma Roche Diabetes Care zu ihrem neuen CGM-System Accu-Chek SmartGuide und der letzte Beitrag schaut nochmal in die Welt der Smartpens, auch wenn es dort außer bei Medtronic wenig Neues gibt. Auf geht’s!
Die REFLECT-Studien sind von Abbott finanzierte, retrospektive Real-World-Analysen, die den Nutzen des kontinuierlichen Glucosemonitorings (CGM) mit dem FreeStyle Libre®–System bei Menschen mit Diabetes untersuchen. Sie basieren auf Daten aus dem Schwedischen Nationalen Diabetesregister und wurden im Oktober 2024 und im April 2025 veröffentlicht:
CGM reduziert Krankenhausaufenthalte bei Menschen mit Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Ein Ergebnis der REFLECT-Studien ist eine signifikante Verringerung des Risikos von Krankenhausaufenthalten bei Menschen mit Diabetes. Die von Abbott finanzierten REFLECT-Studien waren retrospektive Analysen, die unter Verwendung von Daten aus dem schwedischen Nationalen Diabetesregister (NDR) durchgeführt wurden. Das Risiko für Krankenhausaufenthalte aufgrund von kardiovaskulären Erkrankungen (CVD) bei Menschen mit Typ-1-Diabetes (T1D) ohne CVD in der Vorgeschichte bei Verwendung von intermittierend gescannten CGM-Daten (isCGM; Libre) im Vergleich zu solchen mit einer herkömmlicher Blutglucosemessung (BGM) war um 80% reduziert.
TecTorial
CGM-Systeme werden immer ausgefeilter und verfügen über technische Features, die das Leben mit Diabetes immer einfacher und sicherer machen, z.B. durch ein intelligentes Vorhersagemodell der Glukosewerte. Unser zweiter Beitrag ist ein TecTorial der Firma Roche Diabetes Care GmbH über das:
Accu-Chek SmartGuide CGM-Lösungen – Technische Informationen und Prädiktion
Trotz erheblicher Fortschritte in der Diabetestherapie und dem zunehmenden Einsatz von Diabetes-Technologie erreichen noch immer 55-60% der Patienten ihre Therapieziele nicht. Aktuell erfolgt die Markteinführung der Accu-Chek SmartGuide CGM-Lösung der Firma Roche Diabetes GmbH in Deutschland. Sie soll in den kommenden Monaten auch in ausgewählten europäischen und internationalen Märkten verfügbar sein. Die CGM-Lösung ist u.a. indiziert für Personen ab 18 Jahren mit Typ-1-Diabetes und solcher mit Typ-2-Diabetes mit einer Insulintherapie. Roche schätzt, dass 50% der weltweiten CGM-Nutzer mehrfach pro Tag Insulin mit einem Pen oder einer Spritze applizieren (MDI-Therapie).
SMART-Pens verfügen über digitale Funktionen und können die herkömmliche Insulintherapie deutlich verbessern, weil sie im Gegensatz zu klassischen Pens automatisch wichtige Daten wie Dosis, Zeitpunkt der Injektion und manche sogar Temperatur oder Insulinart erfassen. Eigentlich genial und trotzdem:
Wenig Neues zu Smartpens beim ATTD 2025
Medtronic präsentierte Beim ATTD aktuelle Daten zu seinem InPen-System. Zunächst hob Ohad Cohen, der Medical Direktor dieser Firma, die Vorteile für Nicht-Pumpenanwender hervor. Dieses „intelligente“ MDI-System führte bei InPen-Nutzern zu „pumpenähnlichen“ Ergebnisse mit einer TIR von >70%. Dabei besteht dieses System aus einem CGM-System (Simplera), dem InPen-Insulinpen und der InPen-App, die den Patienten den Großteil der Handlungsanweisungen liefert. Das System ist darauf ausgelegt, Patienten, die weiter MDI nutzen wollen, personalisierte Anweisungen zu liefern und die täglichen Entscheidungsprozesse zu optimieren. Es unterstützt bei der Dosisberechnung, gibt Warnmeldungen bei einer vergessenen Insulindosis und zu hohem Glucosewerten aus und ermöglicht einen einfachen Zugriff auf Berichte und Erkenntnisse.
Das Bild der Woche
Dieses Oran-Utan-Baby konnte gerade noch aus den Händen des illegalen Tierhandels
gerettet werden und wird hier in einer Tierklinik versorgt. Wo das Baby genau herkommt
und wer seine Mutter ist, weiß man nicht.
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Zum Schluss noch wie immer das Letzte
Wieso kann ein Land wie Deutschland, das doch immerhin seit Jahrzehnten die besten Autos und Maschinen baut, eigentlich nicht auch die beste KI entwickeln? Eine gute Frage, mit der sich auch Prof. Dr. Holger Hoos von der RWTH Aachen, Träger des höchstdotierten deutschen Forschungspreises Alexander von Humboldt, beschäftigt. Er hat den Lehrstuhl für Maschinelles Lernen am Leiden Institute of Advanced Computer Science in den Niederlanden geleitet und war Professor an der University of British Columbia in Kanada. Nun ist er zurück in Deutschland und sieht hier großes Potential, etwas Eigenständiges im Bereich KI auf die Beine zu stellen. Dazu braucht es seiner Ansicht nach Mut, Entschlossenheit und Bündelung aller Kräfte, um offene und wissenschaftlich fundierte KI-Systeme zu entwickeln, die NICHT von kommerziellen Großkonzernen dominiert werden. Sprachmodelle müssen seiner Meinung nach in öffentlicher Hand entwickelt und trainiert werden.
Warum aber hat Deutschland nicht längst die beste KI entwickelt und was sind die Hürden auf dem Weg dazu? Die deutsche Forschungslandschaft ist exzellent, aber fragmentiert. Fördermittel werden breit gestreut, statt gezielt in strategische Projekte wie große europäische KI-Modelle investiert zu werden, Zersplitterung statt Fokussierung also. Innovationen scheitern an Förderlogiken, ethischen Bedenken oder an der bürokratischen Überregulierung. Während in China oder in den USA schnell skalieren, diskutiert Deutschland noch über den Datenschutz oder ethische Leitlinien, was alles auch wichtig ist, aber gleichzeitig auch hinderlich.
Hinzu kommt eine fehlende Infrastruktur: Wir haben keine Supercomputer und die Datenzugänge und Rechenkapazitäten sind nicht auf dem Niveau, das für das Training großer KI-Modelle nötig wäre. Die Abhängigkeit von US-amerikanischen Cloud-Diensten zeigt dies deutlich. Last but not least gibt es bei uns viel zu wenig Risikokapital. Im Vergleich mit China, wo der Staat Unsummen in innovative Technologie steckt oder in den USA, wo das Geld der Superreichen permanent auf der Suche nach vielversprechenden Ideen ist, haben es bei uns Start-ups im KI-Bereich schwer, ausreichend Kapital für ambitionierte Projekte zu bekommen.
Prof. Holger Hoos steht für eine visionäre, aber realistische europäische KI-Politik und fordert mehr Mut, mehr Kooperation und mehr strategisches Denken. Was wir vor allem brauchen, ist KI fürs Gemeinwohl statt nur für Profite, z. B. im Gesundheitswesen, in der Bildung oder bei der Energiewende. Europa hat im Gegensatz zu den USA oder China dabei große Chancen, eine wertebasierte, transparente und menschenzentrierte KI zu entwickeln und Deutschland hätte das Potenzial, eine führende Rolle dabei zu übernehmen – aber nur, wenn man jetzt entschlossen handelt. Dafür braucht es jedoch deutlich mehr Investitionen und eine strategische Bündelung der Kräfte.
Und Selbstwirksamkeit. Von allen Beteiligten!
Das wars mal wieder für die Woche. Nächste Woche pausieren wir einmal, es ist der Deutsche Diabeteskongress in Berlin und wir verlagern mal wieder unseren Aufenthaltsort. Übernächste Woche melden wir uns aus Kalifornien. Starten Sie gut ins Wochenende, es grüßen herzlich
Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das nebenstehende Formular um sich für den diatec weekly Newsletter anzumelden!
Mit freundlichen Grüßen