Herzlich willkommen beim diatec weekly,
Bam, das hat gesessen!!! Die Rede, die US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz hielt, war bemerkenswert, sowohl inhaltlich als auch in ihrer Wirkung auf die transatlantischen Beziehungen. Die offene Kritik und die Unterstützung für rechtspopulistische Bewegungen könnten zu einer weiteren Spaltung zwischen den USA und Europa führen und das Vertrauen in die Partnerschaft erschüttern. Das sagen unsere emotional betroffenen Volksvertreter, fühlen sich an den Katzentisch gedrängt und äußern nun ihre Sorgen über eine mögliche Erosion gemeinsamer transatlantischer Werte. Müssen wir uns also auch Sorgen machen?
Im Prinzip sind internationale Konferenzen doch dazu da, in einer Art Kuschelatmosphäre an einem schönen Ort mit gutem Essen Einigkeit über die zu diskutierenden Themen herzustellen und anschließend der Welt mit kräftigen Händedruck-Fotos zu signalisieren: Macht euch keine Sorgen! Wir haben mal drüber geredet und werden das auch weiterhin diskutieren. Hauptsache, das Essen war gut.
Nun aber ist Schluss mit Lustig! So könnte man seine Worte interpretieren, denn Vances Rede läutete einen signifikanten Wandel ein in den Beziehungen zwischen den USA und uns hier im alten Europa. Seine Worte waren sicherlich stark übertrieben, ganz bestimmt vermessen und unverschämt und es stand ihm auch nicht zu, uns so dermaßen die Leviten zu lesen. Inzwischen aber hat sich die allgemeine Erregung wieder etwas gelegt und deshalb ist dies ein guter Zeitpunkt, die Kernpunkte seiner Rede mal etwas genauer und kritischer zu beleuchten. Es lässt sich nämlich nicht alles vollkommen von der Hand zu weisen, was er gesagt hat. Hier ist der Versuch einer Analyse:
Vance sieht die größten Gefahren für die europäische Demokratie von internen Entwicklungen und nicht von externen Akteuren wie Russland oder China ausgehend: „Was mich am meisten beunruhigt, ist die Bedrohung Europas von innen.“ Mit anderen Worten: Wir stehen uns hier selbst im Wege mit verkrusteten Strukturen, starren Regulierungen und einem überbordenden Bürokratismus. Trumps Zölle brauchen wir gar nicht, denn wir haben bereits selbst jede Menge interner Barrieren in Europa aufgestellt, die die Handelsbilanz um ganze 45 Prozent für den verarbeitenden Sektor und um 110 Prozent für Dienstleistungen schmälern. So die Aussagen des ehemaligen Präsidenten der europäischen Zentralbank, Mario Draghi, in der letzten Wochenendausgabe der Financial Times.
Diese Barrieren eines stark regulierten europäischen Binnenhandels führen effektiv dazu, dass der Markt, in dem europäische Unternehmen operieren können, immer kleiner wird. Das fällt vor allem auf im Vergleich mit dem Binnenhandel der USA: Der Handel zwischen den EU-Mitgliedsstaaten beträgt weniger als die Hälfte des Handels zwischen den US-Bundesstaaten. Bei einer vergleichbarer Größe wohlgemerkt. Anders ausgedrückt: Die Feinde der Wirtschaft heißen gar nicht Xi Jinping und Putin, sondern Nationalismus und Bürokratismus im Innern der EU.
Vance nächste Aussage: „Kein Wähler auf diesem Kontinent hat bei Wahlen je dafür votiert, die Schleusen für Millionen nicht überprüfter Einwanderer zu öffnen.“ Auch das stimmt und es ist sogar noch schlimmer: Im Jahr 2015 wurden bei uns in Deutschland die Grenzen für den ungehinderten Zustrom von Geflüchteten aus hauptsächlich Syrien geöffnet – OHNE jede Abstimmung mit der EU, ohne ernsthafte Übereinkünfte mit unseren Nachbarstaaten und ohne funktionierende Integrationsprogramme. Kein Wunder, dass die aktuellen EU-Abkommen nicht funktionieren. Die Menschen, die kamen, wurden in Turnhallen gesteckt und bekamen Sozialhilfe, aber arbeiten, die beste aller Möglichkeiten, um sich in ein Land und die Sprache hineinzufinden, war und ist ihnen bis heute vielfach nicht gestattet.
Nächster Punkt: „Da ist kein Platz für Brandmauern!“ Mit der einsamen Entscheidung vor zehn Jahren wurden Tür und Tor nicht nur für Menschen in Not geöffnet, sondern auch für Bürger, die die Dinge etwas anders sehen. Wir nennen sie Rechtspopulisten und betrachten sie mit Abscheu, aber sie leben nun mal auch in diesem Land und haben dasselbe Recht wie wir, ihre Stimme bei Wahlen abzugeben. Deshalb liegt Vance auch nicht vollkommen daneben, wenn er uns vorwirft, abweichende Meinungen zu unterdrücken. Was sonst soll die permanente Beschwörung einer Brandmauer? Warum reden wir nicht einfach mal mit den Menschen, die eine andere politische Haltung haben? Es macht einen Unterschied, ob man einem Menschen sagt: „Du bist ein Nazi“ oder ob man sie fragt: „Wovor hast du Angst?“ oder „Was genau würdest Du anders machen?“ Gute Politik sollte immer mit einem Dialog beginnen und die Gefühle seiner Bürger ernst nehmen, weil es fast immer um Gefühle geht und nicht immer um Sachzwänge.
Natürlich hat J.D. Vance noch vieles mehr gesagt und mit vielen Aussagen lag er auch klar daneben, war schlecht informiert oder einfach nur ignorant. Vance, der noch jung genug ist, um politisch viel mehr zu erreichen als Vize-Präsident, hat uns einen Spiegel vorgehalten und es stünde uns gut zu Gesicht, dort einmal hineinzuschauen. Was wir sehen würden, wäre ein trotziger Teenager, der zwar gegen den strengen Papa rebelliert und sich nichts mehr sagen lassen will, Verantwortung will er aber auch nicht übernehmen und auch die Full-Service-Annehmlichkeit nicht aufgeben. Übertragen hieße das, endlich erwachsen zu werden und uns aus der über lange Zeit liebevollen Umarmung von Papa Amerika zu lösen.
Wir müssen in Europa mehr für uns tun und eine echte Staatengemeinschaft werden! Wir müssen raus aus dem kleinlichen Denken und Handeln und wir müssen vor allem ernsthaft verteidigungsfähig werden, damit wir uns im Falle des Falles auch verteidigen können. Und wenn wir nicht länger am Katzentisch sitzen wollen, sondern mit den Großen mitpokern, müssen wir aufhören, zu jammern und endlich mal unsere eigene Strategien entwickeln. Und ein Pokerface!!!
Mit den Themen der Woche berichten wir über eine aktuelle JAMA Publikation zu AID bei Typ-2 Diabetes, dann gibt es einen neuen Versuch für ein nicht-invasives Glucosemesssystem, diesmal aus China und mit dem letzten Beitrag machen wir auf ein Problem mit Software-Updates aufmerksam. Auf geht’s.
Im Journal der Amerikanischen Medizinergesellschaft (JAMA) wurde aktuell ein Artikel von Pasquel et al. zu den Ergebnissen einer vom Studiendesign her nicht wirklich adäquaten Studie mit dem Omnipod 5-AID-System publiziert [1]. Diese einarmige prospektive Studie wurde von dem Medical Director von Insulet (Trang T. Ly) und Roy W. Beck betreut, der bei vielen Studien mit AID-Systemen involviert ist:
AID bei Typ-2-Diabetes – Ergebnisse einer nicht-randomisierten klinischen Studie
Die Studienfrage dieser Studie lautete: Ist die Nutzung einer automatischen Insulinzufuhr (AID) sicher und wirksam bei Patienten mit Typ-2-Diabetes, die mit Insulin sowie mit oder ohne anderen blutglucosesenkenden Medikamente behandelt werden? Es nahmen 305 erwachsene Patienten an 21 klinischen Zentren in den Vereinigten Staaten teil, die unter sozioökonomischen und ethnischen Aspekten eine recht gemischte Gruppe repräsentierten:
Und wieder macht ein neuer Versuch, Glucose nicht-invasiv zu messen, von sich Reden. Diesmal kommt er aus China, verspricht vollmundig einen neuen Ansatz und wird natürlich mit beträchtlichen staatlichen Mitteln unterstützt. Ist dies nun „DeepSeek“ der Diabetologie, bezogen auf Technologien für CGM-Systeme in der Zukunft?
Nichtinvasive Glucosemessung – Durchbruch mit einem neuen Ansatz
Eine Publikation durch eine chinesische Forschergruppe in der angesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature Metabolism zum Thema nichtinvasive Glucosemessung sichert erhebliche Aufmerksamkeit [1] und wird in seiner Bedeutung durch ein Editorial von einem deutschen Kollegen unterstrichen [2]. Die universitäre Forschergruppe umfasst mehr als 100 Mitarbeiter und wurde anscheinend mit beträchtlichen staatlichen finanziellen Mitteln ausgestattet. Nun ist die Verwendung der Raman-Spektroskopie als einer attraktiven Methode für die Messung der Glucosekonzentration in der Haut kein wirklich neuer Ansatz. Hier werden aber die Raman-Signale räumlich versetzt in unterschiedlichen Hauttiefen erfasst – mit einer Wellenlänge von 785 nm. Der Artikel mit einer Länge von 26 Seiten beschreibt die Ergebnisse von vielen Jahren Arbeit!
Smartphones sind inzwischen die bevorzugte Plattform für die Handhabung von Daten aus Diabetes-Technologie-Produkten wie Pumpen und CGM-Systemen. Fast alle Hersteller bieten entsprechende Apps an und normalerweise laufen diese auch zuverlässig mit ihren Anzeigen und Warnsignalen. Was aber, wenn die Betriebssysteme der Smartphones ein Update erhalten?
Warnhinweise für Patienten, die Einstellungen bei den Apps für ihre Diabetes-Geräte auf den Smartphones nach Updates, Installation von Hardware etc. zu überprüfen
Aktuell hat die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) eine Warnung für Patienten mit Diabetes und die Diabetes-Teams herausgegeben, weil es wohl Berichte gab, nach denen Benutzer von CGM-Systemen, Insulinpumpen, AID-Systemen und anderen Diabetesgeräten keine ausgelösten Warnmeldungen von ihren Smartphones erhalten oder gehört haben, nachdem Updates des Betriebssystems erfolgten. Praktisch alle diese Systeme verwenden Apps als integralen Bestandteil zu der Steuerung des Gerätes. Diese Apps laufen auf unterschiedlichen Smartphones und verwalten oder liefern Informationen von den Geräten. Ein verpasster Alarm kann ein ernsthaftes Sicherheitsproblem darstellen, da es als Konsequenz zu schweren Hypo- oder Hyperglykämien kommen kann, bis hin zu potentiell letalen diabetischen Ketoazidosen.
Zum Schluss noch wie immer das Letzte
Dies ist eine Geschichte über bürokratische Ineffizienz, die zu seltsam klingt, um wahr zu sein, aber sie ist es. Die Geschichte spielt in Amerika und zeigt, dass es schon Sinn macht, die verkrusteten bürokratischen Strukturen einmal durchzukämmen und auf Effektivität zu trimmen. Wir haben sie aus der New York Times und es geht um die persönlichen Rentendaten von Bundesbediensteten wie ehemalige Bundesangestellte, Militärangehörige und Regierungsbeamten.
Wenn ein Bundesangestellter in den Ruhestand geht, werden die Personalakten des Bundesangestellten zusammengesammelt und es wird eine byzantinische Reihe von Berechnungen „manuell“ durchgeführt, um die zustehenden Leistungen zu ermitteln. Die Rentenansprüche werden auf Papier geschrieben und abgelegt. In den 1950er Jahren verlegte die Regierung ihre Personalakten in eine Reihe alter Kalksteinminen, die 70 Meter unter der Erde liegen, und zwar unterhalb von Boyers in Pennsylvania.
Iron Montain heißt die Mine und sie wurde wegen der stabilen geologischen Bedingungen und des konstanten Klimas unter Tage als sicherer Lagerort für sensible Dokumente und Daten entdeckt. Die Mine ist riesig und Millionen von physischen Rentenakten befinden sich dort in bis zu 28.000 Aktenschränke. Auch andere wichtige historische Dokumente, Regierungsakten, Bankunterlagen, Film- und Musikarchive, sowie digitale Backups von Unternehmen werden in den unterirdischen Stollen gelagert.
Nach einiger Zeit verlegte die Regierung auch die Angestellten, die die Personalakten bearbeiten, in die Mine, um den umständlichen Hin- und Her-Transport der Akten zu vermeiden. Dort sind sie bis heute und die Mine gehört zu den seltsamsten Büros, die man sich vorstellen kann. Es gibt wie in jedem richtigen Büro die üblichen Cubicles, Kopiergeräte und Kaffeetassen und vielleicht auch die eine oder andere Grünpflanze.
Ob es sich aber um einen attraktiven Arbeitsplatz handelt, darf durchaus in Frage gestellt werden, denn man betritt die Mine über einen hoch-gesicherten Tunnel. Über den Köpfen spannt sich ein Dach aus zerklüftetem Fels, das mit Metallgittern bedeckt ist, damit niemanden Steine auf den Kopf fallen können. Eine Kantine gibt es nicht, eine offene Flamme könnte eventuelle aus dem Fels sickernde Gase entzünden. Dafür kommt einmal am Tag gegen 11:30 Uhr ein Pizzabote mit Sicherheitsfreigabe, der die zuvor bestellte Pizza liefert.
In der Mine ist man auf Papier angewiesen. Und zwar auf jede Menge Papier, weil die allermeisten Rentenansprüche noch immer manuell bearbeitet werden, obwohl der Rest der USA längst im digitalen Zeitalter lebt. Die Bundesangestellten müssen die verschiedenen Behörden monatelang bedrängen, um ein einziges Formular oder eine Unterschrift zu bekommen, mit der sie die Papierakte vervollständigen können. Wenn ein Stück Papier verloren geht, ist es unersetzlich.
So brauchen die Angestellten in der Mine durchschnittlich 64 Tage, um einen einzigen Fall zu bearbeiten. Alle Versuche, diesen Prozess zu automatisieren, sind gescheitert, weil sie die unterschiedlichen Computersysteme der verschiedenen Behörden nicht überbrücken können und es zu aufwendig und teuer wäre, sämtliche Rentenansprüche im Nachhinein noch zu digitalisieren. Das Problem ist also nicht Faulheit, sondern ein völliges Missverhältnis zwischen der Komplexität der Arbeit und der Komplexität der Systeme, die die Regierung dafür gebaut hat. Manchmal dauert es schlicht Monate oder sogar Jahre, bis ein Rentenantrag bearbeitet werden kann.
Es besteht wenig Zweifel daran, dass die Mine ein Musterbeispiel an Ineffizienz ist – und das in Amerika, dem Mutterland der elektronischen Datenverarbeitung. Ähnlich dürfte es auch bei unseren Behörden ausschauen, wo jeder Versuch, die Prozesse zusammenzulegen, zu koordinieren und zu optimieren, an irgendeinem komplizierten technischen Problem scheitert. Die Frage für unsere nächste Regierung, die ja Bürokratie nun doch endlich mal abbauen will, lautet deshalb, ob sie tatsächlich bereit und in der Lage ist, solche schwierigen Probleme zu lösen.
Sie haben die Wahl und wenn Sie noch nicht wissen, wen Sie wählen sollen – wir haben eine Empfehlung für Sie: Wählen Sie Ehrlichkeit, Empathie und Loyalität. Entscheiden Sie sich für Respekt, Vertrauen und Geduld und machen Sie Ihr Kreuzchen bei Verantwortungsbewusstsein, Teamfähigkeit und Humor. Dann bekommen wir schon die richtige Regierung.
Das wars mal wieder für die Woche. Wir hoffen, unsere Ausführungen haben Ihnen gefallen und Sie denken bitte nicht von uns, wir seien nun ins rechte Lager abgewandert. Als tolerante Menschen möchten wir mit einem Statement von Kafka enden: „Toleranz ist der Verdacht, dass der Andere recht haben könnte.“
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen ein entspanntes Wochenende mit einem spannenden Sonntagabend,
Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das nebenstehende Formular um sich für den diatec weekly Newsletter anzumelden!
Mit freundlichen Grüßen