Herzlich willkommen beim diatec weekly,

ja, wo leben wir denn eigentlich? Im Lala-Land oder in Absurdistan? Irgendwie in beiden Ländern, diesen Eindruck kann man angesichts der aktuellen hitzigen Debatten jedenfalls gewinnen. Entweder waren wir jahrelang in einem Tiefschlaf und haben Chancen und Möglichkeiten verpasst, das sagt zumindest die eine Partei oder wir sind in unseren Handlungsspielräumen inzwischen so begrenzt durch Nationales und Europäisches Recht, dass egal welche Vorschläge auch gemacht werden, immer alles nicht geht. Sagt die andere. Wir wollen mal versuchen, die Debatte ein wenig zu erhellen. 

Mit äußert kontrovers diskutierten Argumenten geht es um den Zufluss, die Integration und die Abschiebung von Menschen mit einem Migrationshintergrund, die zu uns kommen und da gibt es nun alle möglichen Gründe, warum wir damit überfordert sind und deshalb dringend schärfere Lösungen benötigen, auch wenn die mit der kalten Hand des Teufels vereinbart wurden: Es sind zu viele, wir schaffen das nicht mehr, wir sind in einer Notsituation, wir müssen uns an Abkommen wie Dublin halten und wer ist eigentlich für was zuständig? Gerne wird auch genannt: Als europäisches Binnenland sind unsere Grenzen viel zu lang, um sie kontrollieren zu können. 

Fangen wir mal mit dem letzten Punkt an: Argumentiert wird mit 3.850 Kilometer, die unsere Grenzen zu den Nachbarländern betragen. Zieht man mal die Grenzen zu Frankreich, Luxemburg, Belgien, die Niederlande und Dänemark mit insgesamt 1750 km ab, weil dies Länder sind, aus denen eher nicht die Massen an Migranten ins Land drängen, bleiben mit Polen, Tschechien und Österreich im Osten und Süden noch 2095 Kilometer übrig, die engmaschiger kontrolliert werden müssen. Nur noch gut die Hälfte also und das ist nach aktueller Aussage der Bundespolizei durchaus machbar und geschieht auch bereits. Seit Oktober 2024 kommen deutlich weniger Menschen ins Land hinein und würden wir die Bundespolizei mit mehr Kompetenzen ausgestatten, müssten auch nicht bis zu fünf (!) verschiedene Behörden in die Abschiebeverfahren involviert sein. 

Wer ist eigentlich für was zuständig? Hier geht es munter zu wie beim Völkerball: Ländersache? Nein. Kommunale Ebene? Vielleicht. Muss der Bund regeln, oder vielleicht doch die EU? Die komplexen Zuständigkeitsregulierungen zwischen den verschiedenen Ebenen machen vieles unübersichtlich und schwierig, hinzu kommen innerhalb der Ebenen weitere Kommissionen, Gremien, Parlamente, Agenturen und Verordnungen wie Dublin und Schengen. 

Nächster Punkt – das Dublin-Abkommen! Es regelt, dass der EU-Mitgliedstaat, indem ein Schutzsuchender erstmals die EU betritt und dort registriert wird, auch verantwortlich für das Asylverfahren ist. Unserer Kenntnis nach gehören Polen, Tschechien und Österreich zur EU. Warum also stehen aus diesen Ländern überhaupt Menschen an unseren Grenzen und bitten um Asyl, wenn sie das doch längst in einem der drei Länder erhalten haben sollten? Leide nehmen alle drei Länder auch Menschen nicht zurück, wenn sie einmal den Fuß über die Grenze gesetzt haben, und leider scheint Deutschland mal wieder das einzige Land zu sein, das sich akribisch an die Gesetzeslage hält, während eine Reihe anderer europäischer Länder sich wenig darum kümmert. 

Auch das mit der Notsituation ist ein dünnes Argument. Egal wie man zum Thema Migration steht, eine echte Notsituation ist nicht gegeben, jedenfalls keine, die sich nicht lösen ließe. Zwar berichten viele Städte und Gemeinden von überfüllten Unterkünften und Ressourcen bei der Betreuung und Integration von Menschen, die hier Schutz suchen und auch sind unsere Behörden vielerorts nicht ausreichend personell und technisch ausgestattet, um die Vielzahl von Asylanträgen zeitnah zu bearbeiten. Aber – die Ausländerbehörden arbeiten immer noch komplett analog und schieben sich gegenseitig die Papierberge hin- und her. Kein Wunder also, dass es schnell zu einer Überlastung kommt, vor allem wenn die Migranten nicht in einem Bundesland bleiben, sondern munter hin- und herziehen. Würde man die Behörden endlich mal digitalisieren, könnte die Prozesse im Handumdrehen erledigt werden. Dagegen sind interessanterweise die Ministerpräsidenten der Länder. 

Bleibt die Tatsache, dass wir von allem zu wenig haben, was sich um die Fürsorge von Menschen dreht, auch für Menschen ohne Migrationshintergrund übrigens: Zu wenig KindergärtnerInnen, LehrerInnen, Alten- und Krankenpflegepersonal, geschweige denn gibt es ausreichend Hilfe für die Integration und Unterstützung im Alltag dieser Menschen. Doch auch das ließe sich ändern und hat nichts mit europäischem Recht zu tun. 

Letzter Punkt: Sind es zu viele Menschen, die zu uns kommen? In der letzten Legislaturperiode, die nun zu Ende geht, kamen insgesamt 800.000 Menschen zu uns, vornehmlich aus Afghanistan und Syrien. 50.000 von ihnen sollen wieder abgeschoben werden, bleiben als 750.000, die integriert werden müssen, die Wohnraum benötigen, in den Arbeitsmarkt sollen und deren Kinder in Schulen und Kindergärten müssen. Eine Stadt in der Größe von Frankfurt. Schaffen wir das, wie einst vollmundig verkündet wurde? 

Migration so alt wie die Menschheit selbst. Seit Urzeiten haben Menschen ihre Lebensräume verlassen, um nach besseren Bedingungen zu suchen, ob durch klimatische Veränderungen, Ressourcenknappheit oder Nachbarschaftskonflikte – Migration war immer die Antwort auf existenzielle Notlagen. Sie hat Zivilisationen geformt, Kulturen bereichert und wirtschaftlichen Fortschritt ermöglicht und war gleichzeitig auch immer Auslöser für Konflikte und gesellschaftliche Spannungen. Seit der Antike haben Kriege und die Ausdehnung großer Reiche wie des Römischen Reiches Wanderungsbewegungen angetrieben. Das Mittelalter veränderte Handelsrouten und brachte religiöse Verfolgungen, die jüngere Geschichte hatte Auswanderungswellen aus Europa nach Nordamerika oder die Vertreibungen von Juden vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. 

Aber diese Beispiele zeigen, dass Migration Krisen überdauert und Chancen für eine Neuausrichtung bietet. Und noch etwas muss uns klar sein: Migration ist kein vorübergehendes Phänomen. Es werden weiterhin Menschen zu uns kommen, sei es aus politischen, religiösen, oder klimatischen Gründen. Deshalb sind endlich mal langfristige Strategien gefordert, die sowohl humanitäre Verpflichtungen respektieren als auch die Belastbarkeit der Aufnahmegesellschaften berücksichtigen. Dann schaffen wir das auch!

Nun zu den Themen der Woche: Wir stellen die erste generative KI-Plattform von Dexcom vor, haben aktuelles zu Beta Bionics, die frisches Geld für ihr Unternehmen erhalten haben und nun das angekündigte Duale Pumpensystem iLet Bionic Pancreas entwickeln wollen und sprechen zum Schluss noch über Hunde, ihre Riechfähigkeiten und wie sich das auch für die Glucosekontrolle nutzen lässt. In ‚Das Letzte‘ haben wir einen Brandbrief zur aktuellen Lage der Diabetologie, bitte unbedingt lesen, denn hier muss etwas getan werden. Also, auf geht’s! 

Dexcom hat im Dezember 2024 die erste generative KI-Plattform im Bereich der Glukose-Biosensorik eingeführt, eine innovative Plattform, die individuelle Gesundheitsdaten analysiert, um Zusammenhänge zwischen Lebensgewohnheiten und Glukosewerten aufzuzeigen. Dabei bietet die Plattform umsetzbare Einblicke zur Verbesserung der metabolischen Gesundheit: Erste generative KI-Plattform im Bereich der Glukose-Biosensorik von Dexcom

Das erste Produkt, das diese GenAI-Technologie nutzt, ist Stelo, der zugelassene Glukose-Biosensor für den Freiverkauf. Mit wöchentlichen Einblicken erhalten Nutzer personalisierte Tipps und Empfehlungen zu Ernährung, Bewegung und Schlaf.

Beta Bionics, ein innovatives Unternehmen in der Diabetes-Technologie, hat sich auf die Entwicklung und Vermarktung von KI-gesteuerten Systemen zur Diabetesbehandlung spezialisiert und will mit iLet® Bionic Pancreas eine Pumpe entwickeln, die beide Hormone, Insulin und Glukagon, einsetzt, um den Blutzuckerspiegel im Körper dynamisch zu regulieren. Für diese Entwicklung ist das Unternehmen an die Börse gegangen und hat 204 Millionen US-Dollar eingesammelt: Beta Bionics entwickelt mit iLet Bionic Pancreas die erste duale Pumpe

Beta Bionics, ein kalifornisches Unternehmen mit Sitz in Irvine, wurde von dem Bioingenieur Ed Damiano gegründet, als sein Sohn an Typ-1-Diabetes erkrankt ist. Derzeit vertreibt das Unternehmen mit iLet eine klassische Insulinpumpe als Schlauchversion und hat nach eigenen Angaben aktuell ca. 15.000 Nutzer. 

Hunde haben einen extrem ausgeprägten Geruchssinn, der bis zu 100.000 Mal empfindlicher ist als der des Menschen. Bei einer Unterzuckerung verändert sich der Körpergeruch durch biochemische Prozesse und ein entsprechend trainierter Hund kann diese Veränderungen durch die Konzentration bestimmter Stoffe im Atem oder Schweiß erschnüffeln. Nun gibt es einen technologischen Ansatz zur Glucosemessung: PreEvnt misst im Atem

Was bei Hunden funktioniert, lässt sich vielleicht auch auf Technologie übertragen, dachte sich die kalifornische Firma PreEvnt (https://preevnt.com/) und hat nun sowohl in einer Pressemitteilung und bei der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas die Einführung von „isaac“ angekündigt. Isaac ist ein nicht-invasives Gerät zur Überwachung der Glucosekonzentration durch Messung von flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) in der Atemluft von Patienten. Mit diesem Ansatz versucht man, die Fähigkeiten von Diabetes-Warnhunden zur Erkennung von Hypoglykämien nachzuahmen, denn diese Hunde sind darauf trainiert, durch Schnüffeln der etwa 2.000 VOCs in der Atemluft zu niedrige oder zu hohe Glucosewerte bei ihrem Besitzer festzustellen. 

Das Bild der Woche

Dies sind Aussagen von Menschen mit Diabetes dazu, wie sie ihr Leben mit Diabetes empfinden! Das Bild wurde beim diesjährigen t1day aufgenommen, die Aussagen stammen von den anwesenden Teilnehmern. Eine besonders schöne Aussage kam von Max, 15 Jahre alt: Diabetes ist viel Mathe und wenig Kuchen!

 

Zum Schluss noch wie immer das Letzte

Aus Bayern hat uns der folgende Brandbrief des in München seit vielen Jahren in einer Schwerpunktpraxis aktiven Kollegen Christoph Neumann erreicht, der beim aufmerksamen Lesen betroffen macht und denn wir hier veröffentlichen, mit Zustimmung von Christoph selbstverständlich: 

Brandbrief

… zunächst möchte ich mich sehr herzlich für die wie immer bereichernden Tage bei diatec in Berlin bedanken! Ich habe wieder Neues mitgenommen und gute Anregungen für unsere weitere praktische Arbeit bekommen.

Gestattet mir ein paar Gedanken, die ich gern mitteilen möchte, möglicherweise kann man diese ja bei der nächsten Veranstaltung mit aufgreifen? Wie ihr wisst, arbeite ich seit 2009 sehr erfolgreich auf bayerischer Ebene im Vorstand unseres Berufsverbands bndb (Berufsverband der niedergelassenen Diabetologen Bayerns).

Ca. 90% aller Menschen mit Diabetes mellitus werden mittlerweile im ambulanten Setting betreut. Die Bezahlung variiert sehr von Bundesland zu Bundesland und hängt direkt von der Zusammenarbeit des jeweiligen Vorstands des Berufsverbands mit der KV und den GKVen zusammen, bei uns geregelt in der sogenannten Diabetesvereinbarung. Die pauschal pro Monat gezahlten Beträge (bei uns in Bayern 75 Euro pro Patient und Quartal) sind seit 25 Jahren unverändert, ebenso die Honorierung der Diabetesschulungen. Durch unsere Arbeit konnten wir etliche Zusatzleitungen auf den Weg bringen, wie zum Beispiel das telemedizinische Coaching, das auf der Grundlage unseres Projektes verhandelt werden konnte und das ich wiederholt bei diatec vorgestellt habe.

Die Patientenklientel hat sich aber in den letzten Jahren stark verändert. Die PatientInnen sind älter und multimorbider geworden und häufig durch einen Migrationshintergrund sprachlich limitiert. Die Menschen kommen immer häufiger mit ausgeprägten Glukoseentgleisungen zu uns, weil die meisten Kliniken für Diabetesbehandlung geschlossen wurden und in den vorhandenen Kliniken keinerlei Expertise zur Diabetesbehandlung mehr existiert.

Kurzum, die Anforderungen an das Diabetesteam sind kontinuierlich steigend, die technische Entwicklung insbesondere bei AID-Systemen ist rasant, die Notwendigkeit zur kontinuierlichen Weiterbildung immens. Nun endlich ist die rt-CGM-Schulung SPECTRUM akkreditiert und hier ist es nun an jedem Landesverband, die GKV dazu zu bewegen, die Schulung ins Portfolio aufzunehmen und zu bezahlen, das dauert sicher. Seit Jahren schulen unsere Mitarbeiterinnen hier ohne eine adäquate Vergütung für ihre Expertise!

Dies alles gelingt nur mit größter Anstrengung bei im Verlauf kontinuierlich rückläufigem Umsatz, da alle Kosten steigen und die extrabudgetäre Bezahlung konstant bleibt. Jetzt steht die drohende Streichung der Chroniker Pauschale wieder ganz real im Raum und dies dürfte ohne Änderungen viele Schwerpunktpraxen zum Aufgeben zwingen. Die Diabetologie hat keine Lobby, die Gehör findet, während die Hausärzte täglich in den Medien trommeln – mit Erfolg.

Es kommt noch ein weiteres Problem hinzu. Die Kliniken zur Weiterbildung Diabetologie sind mittlerweile aus Kostengründen weitgehend verschwunden, die Weiterbildung müsste also mit Hochdruck ambulant erfolgen, um das Fortbestehen des Berufsstands sichern zu können. Durch eine fehlende rechtliche Grundlage ist eine Förderung der Weiterbildung analog der hausärztlichen Weiterbildung nicht möglich, diese wird zur Hälfte von den KV’en und den GKV finanziert. Von derzeit 110 Weiterbildern in Bayern werden aktuell nur 8 Stellen angeboten. Das Durchschnittsalter der DiabetologInnen im Verband liegt bei 60 Jahren, es ist also absehbar, wann hier ohne Änderungen der Rahmenbedingungen die ambulante Diabetologie komplett verschwinden wird.

Die Weiterbildung ist deshalb ohne finanzielle Unterstützung nicht zu leisten. Wir haben das Problem mit allen Beteiligten (GKV, KVB, Politik) auf bayerischer Ebene thematisiert. Die GKV erkennen das Problem und wären zur Finanzierung bereit, die KV beruft sich auf den fehlenden rechtlichen Rahmen, der auf politischer Ebene im Bund geschaffen werden muss.

Durch Kontakte mit Herrn Dr. Pilsinger, MdB, haben wir die angehängte kleine Anfrage an die Bundesregierung auf den Weg gebracht. Die unzureichende Antwort zeigt, dass das Problem nicht verstanden wurde und somit keine Änderungen erfolgen werden. Bleibt nur die Hoffnung, dass die nächste Regierung hier aufgeschlossener sein wird! Es wäre ein Jammer, wenn all die technischen Errungenschaften der letzten Jahre nicht mehr zum Wohl der PatientInnen eingesetzt werden könnten, weil die medizinische Betreuung wegbricht. Wer kümmert sich um all die Systeme? Hausärzte sind hier sicher ungeeignet.

Auch muss es uns gelingen, jungen KollegInnen für den Beruf zu begeistern. Wenn aber die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen (kontinuierlich sinkende Einnahmen bei 24/7 Verfügbarkeit, extrem teures Fachpersonal und hohe Anforderungen von Seiten der GKV/KVB wird sich niemand mehr dafür entscheiden.

Es würde mich freuen, wenn auch die diatec die bestehenden Schwierigkeiten aufgreifen und thematisieren würde. Unsere Fachgesellschaft DDG hat das Problem nicht auf dem Schirm und wird nach wie vor von Professoren in Kliniken dominiert, die ganz andere Dinge umtreibt. Die Dominanz der Kliniker im Referentenpool schafft ein unrealistisches Bild vom Berufsstand, weil hier ganz andere Kriterien eine Rolle spielen. Der Einsatz teuer Medikamente im ambulanten Setting muss stets gut überlegt und begründbar sein, um eventuelle Regresse zu vermeiden. Auch der Einsatz von DiGAs sollte kritisch betrachtet werden, denn wie lange werden diese von wieviel Prozent der Nutzer erfolgreich eingesetzt? Zusätzlich fehlt die Einbeziehung der DiabetologInnen und die Honorierung. Wenn hier unterschiedliche Dinge transportiert werden, kann das Ergebnis schwerlich gut sein. Darüber hinaus sind die Kosten immens und werden von uns allen getragen.

Herzliche Grüße, Christoph Neumann, München

c.neumann@diabetes-muc.de

Wir haben den Vorstand des Bundesverbandes der niedergelassenen Diabetologen um eine Kommentar zu Christoph Neumanns Brandbrief gebeten und Antje Weichert, Vorstandsmitglied des BVND und der DDG und niedergelassene Diabetologin hat kommentiert: 

Kommentar 

Lieber Christoph Neumann, 

ich möchte dir als jemand antworten, der mindestens genauso lange wie du mit Herzblut für die Menschen in der ambulanten Diabetologie tätig ist. Seit 2002 wurden zuerst in meinem Heimatland Sachsen-Anhalt die DMP-Programme für Typ2- und Typ1-Diabetes eingeführt, mit denen spezialisierte ambulante Versorgungsstrukturen wie die Diabetes-Schwerpunktpraxen erst geschaffen wurden. Historisch sind diese, da es damals keinen Facharzt für Diabetologie gab (und bis heute nicht gibt) durch spezialisierte HausärztInnen (FÄ für Innere und Allgemeinmedizin) mit Zusatzweiterbildung Diabetologe DDG entstanden. In keinem anderen Land und bei keinem anderen Fachgebiet hat sich in den vergangenen 20Jahren eine solche ‚Ambulantisierung‘ der ehemals stationären Versorgung einer komplexen chronischen Erkrankung vollzogen. Die PatientInnen sind älter und multimorbider geworden, aber kommen nicht mehr wegen des Diabetes, sondern mit der Nebendiagnose Diabetes ins Krankenhaus.  

Du beschreibst richtig, das einerseits aufgrund der Schaffung effektiver ambulanter Versorgungsstrukturen im DMP die stationäre Diabetesversorgung und diabetologische Weiterbildung in Kliniken erheblich reduziert wurden. Andererseits führte 2004 die Einführung der DRGs in den Kliniken zu einem stark prozeduren-getriggerten Abrechnungssystem, in dem sich die generalistische und kümmernde komplexe Diabetologie nicht mehr adäquat abbildet und ärztliche Weiterbildung nicht eingepreist ist. Trotz der großen gesundheitspolitischen Bedeutung des weitgehend ambulantisierten Krankheitsbildes Diabetes fehlt es an Lehrstühlen für angewandte Diabetologie, an Universitäten und im Medizinstudium spielt die Volkskrankheit eine untergeordnete Rolle. 

Inzwischen arbeiten ambulante DDG-zertifizierte Diabetes-Exzellenz-Zentren auf Augenhöhe mit Universitätskliniken, insbesondere bei der Versorgung von Menschen mit Typ1-Diabetes mit Diabetestechnologie wie rtCGM, Insulinpumpen und AID-Systemen.                                                                  

Die Vergütung der ambulanten diabetologischen Versorgungsstruktur ruht auf den 2 Säulen – EBM mit Grundvergütung zumeist aus dem Hausarzt-Topf – und regionalen DMP- und Selektiv-Verträge.  Leider hat der Gesetzgeber – im Interesse des gleichwertigen Zugangs zu medizinischer Versorgung unabhängig  vom Wohnort des Patienten – keine Pflicht zum Abschluss bundesweit einheitlicher DMP-Verträge verfasst. Somit kann der BVND auf GBA-Ebene nur Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung der DMP nehmen, die DMP-Verträge müssen von jeder KV und jeder Krankenkasse mit Unterstützung des Berufsverbandes regional verhandelt werden.

Da es keine Bedarfsplanung für DiabetologInnen wie für andere fachärztliche Berufsgruppen gibt, ist für KVen, Kassen und Gesundheitspolitik hier auch kein Nachwuchsmangel erkennbar oder messbar.

Bereits vor 10 Jahren haben einige ProtagonistInnen der angewandten Diabetologie im Rahmen der „Düsseldorfer Resolution“ notwendige Weichenstellungen in der ambulanten Diabetologie benannt und in die Fachgesellschaft und ihre Gremien hineingetragen. Das führte inzwischen zu respektvollem Miteinander und Augenhöhe von KlinikerInnen und niedergelassenen DiabetologInnen. Gesundheitspolitische Strategien werden zwischen DDG und BVND gemeinsam abgestimmt vor dem Hintergrund der Bedrohung von diabetologischer Versorgung und Nachwuchsgewinnung in Klinik und Praxis.

Im Rahmen der aktuellen Gesundheitsgesetzgebung zum GVSG (Gesundheitsversorgungs-stärkungsgesetz) konnte der BVND im September 90.000 Patientenstimmen öffentlichkeitswirksam mit Unterstützung von Gesundheitspolitikern an das BMG übergeben und schließlich in der Anhörung im Gesundheitsausschuss die Auswirkungen auf das Rückgrat der Diabetesversorgung, die Diabetes-Schwerpunktpraxen darlegen. 

Dadurch hat die Politik wahrgenommen, dass Menschen, die in Diabetes-Schwerpunktpraxen versorgt werden, nicht mit Jahres-Versorgungspauschalen nach dem Motto „ ein Hausarzt – ein Patient – eine Pauschale“ vom quartalsweisen Arztbesuch abgehalten werden müssen, sondern aufgrund ihrer „chronischen Erkrankung mit kontinuierlichen Arzneimittel- und Behandlungsbedarf sowie intensivem Betreuungsbedarf“ weiter quartalsweise im DMP geführt und vergütet werden müssen. Vorbehaltlich der Zustimmung im Bundesrat am 14.02.2025 und Gestaltung im Bewertungsausschuß wird die Endbudgetierung der HausärztInnen durch das Rumpf-GVSG nicht zu einem „Kollateralschaden“ mit Bedrohung der DSP führen.

Der gemeinsame Kampf im Schulterschluss mit PatientInnen und Fachgesellschaft hat sich gelohnt! 

Künftig muss Diabetesversorgung und Weiterbildung des Nachwuchses sektorenübergreifend geplant und gestaltet sein. Nur im Verbund können wir hier attraktive Arbeits- und Weiterbildungsstätten sein, womöglich wird gerade die Ausgestaltung des KHVVG in den Kliniken nur mit der Expertise ambulanter DiabetologInnen stationäre Diabetesstrukturen und -weiterbildung erhalten können.

Auch wir setzen uns für die Förderung ambulanter diabetologischer Weiterbildung ein, haben zunächst die Weiterbildungsinhalte von ZB Diabetologie und Diabetologe DDG in Abstimmung mit BÄK und DDG harmonisiert und die Strukturqualität von Weiterbildungsstätten definiert.                        Ambulante DDG-zertifizierte (Exzellenz)-Zentren werden vom Nachwuchs als attraktive Weiterbildungsstätten und Leuchttürme der Versorgung wahrgenommen und erhalten Initiativ-Bewerbungen zur Weiterbildung Diabetologe DDG. Hier kann zumindest im Rahmen der Weiterbildung zum FA für Allgemeinmedizin, ggf. im Quereinstieg die diabetologische Weiterbildung finanziert werden. Für internistische Weiterbilder bedarf es hier einer Initiative zur ambulanten Förderung des hausärztlichen Internisten.                                                                                                                                           

Mit dieser Qualitäts- und Zertifizierungs-Offensive gelingt es auch, Strukturverträge mit Abbildung der besonderen Versorgungsqualität zu verhandeln und über unsere bundesweite Clearingstelle in regionale DMP-Verhandlungen einzubringen.   

Also, lieber Christoph, du siehst wir sind in den letzten 10 Jahren nicht untätig geblieben, aber brauchen auch weiterhin die Unterstützung jedes/jeder niedergelassenen Diabetologen/-in…..

….. danke für tatkräftige Unterstützung auf allen Ebenen….

Antje Weichard, Vorstandsmitglied DDG und BVND, Magdeburg-Haldensleben                                                            

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Beiden, Christoph und Antje, die die Beiträge.

Unter folgendem Link (Link) finden Sie die Antwort der Bunderegierung auf die Anfrage zu der genannten Problematik. Leider erschöpft sie sich in einer Aneinanderreihung von Auszügen aus dem Sozialgesetzbuch sowie einer unvollständigen Interpretation aus DMP-Daten. Hinzu kommt, siehe unser Intro, das übliche Zuständigkeits-Pingpong-Spiel zwischen Ländern und Bund. 

Wie von Antje angeregt ist es für eine gute Diabetesversorgung unabdingbar, dass Alle – und zwar Menschen mit und ohne Diabetes, Ärzte aus Kliniken und Praxen, Partner aus der Industrie und Akademiker aus Forschung und Wissenschaft mit lauter und einheitlicher Stimme sprechen.

Wie heißt es bei Grönemeyer? Zeit, dass sich was dreht!

Damit entlassen wir Sie ins wohlverdiente Wochenende. Genießen Sie das kalte Winterwetter und passen Sie auf sich auf. Es grüßen herzlich

 

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Mit freundlichen Grüßen