Es ist DAS fehlende Puzzlestück beim Diabetes-Management, denn wenn es möglich werden würde, nicht nur die Glucose, sondern auch den Gegenspieler ständig zu messen, würde dies die Glucoseverläufe quasi perfektionieren. Aktuell ist die Situation so, dass die Messung der Insulinkonzentration die Gewinnung von geeigneten Blutproben verlangt, die dann an ein größeres Labor versandt werden, wo dann die eigentliche Messung mit beachtlichen Kosten und Zeitaufwand erfolgt. Dies geschieht in der alltäglichen Praxis eher selten, zumal es in den meisten Fällen eher von geringer Aussagekraft für die aktuelle Situation des Menschen mit Diabetes ist, weil sich die zirkulierenden Insulinkonzentrationen ja ebenfalls rasch in einem beachtlichen Ausmaß ändern.
Während wir ja nun schon auf einige Dekaden mit CGM zurückschauen und diese diagnostische Option mittlerweile Standard geworden ist, gibt es bisher keine alltagstauglich-nutzbare kontinuierliche Messung der Insulinkonzentration – CIM. Wir sollten aber auch im Hinterkopf behalten, dass die Entwicklung von praktisch nutzbaren CGM-Systemen Jahrzehnte gedauert hat, von Mitte der 1970-iger Jahre bis ins Jahr 2000. Dabei ist die Messung von Glucose im Prinzip wesentlich einfacher. Dieser Analyt liegt in deutlich höheren Konzentrationen im Blut vor als das Hormon Insulin, wir reden hier über pico-Mol im Vergleich zu milli-Mol. Die Sensitivität der Messmethodik für Insulin muss also wesentlich höher sein als bei der Glucose.
Die bisher verwendeten Bioaffinitätsassays für Insulin sind im Vergleich zu der enzymatischen Messung bei Glucose komplexe Immunoassays mit einer Reihe von notwendigen Handhabungsschritten. Für ein praktisch nutzbares CIM braucht es deshalb andere Ansätze, denn es reicht nicht nur eine Messung pro Stunde oder ähnlich. Dabei wäre schon die Messung der Insulinkonzentration in einem kapillären Blutstropfen durch den Patienten selbst, wie bei der ja immer noch viel verwendeten konventionellen Blutglucosemessung, eine wichtige Option.
Bisher gibt es aber keine „Insulinteststreifen“, die eine Messung in Kombination mit einem Messgerät ermöglichen. Solch eine „Point-of-Care“-Messung vor Ort (POC) könnte auch eine Möglichkeit sein, die Insulinkonzentration von aktivem Insulin in den Pens zu bestimmen. Diese ist ja wesentlich höher, kann aber aufgrund unzureichender Lagerung des Insulin vor dem Gebrauch auch wiederum nicht so hoch sein, wie sie eigentlich sein sollte.
Für CIM bedarf es Insulinrezeptoren, die eine hochselektive Messung ermöglichen, vergleichbar mit den Rezeptoren auf vielen Zellen im menschlichen Körper. Da die Struktur dieser Rezeptoren bekannt ist, kann man diese „nachbauen“ bzw. abgewandelte Versionen mit anderen/besseren Eigenschaften entwickeln. Wenn man diese Rezeptoren, die eine fixe Bindung mit dem Insulin in der Probe eingehen, mit geeigneten Substraten koppelt, dann liefern solche Sandwich-Assays einen gewissen Stromfluss, der einen Rückschluss auf die Insulinkonzentration in der Probe erlaubt. Die Messung könnte auch spektroskopisch erfolgen, wenn sich durch die Insulinbindung die optischen Eigenschaften des Systems ändern. Solche Ansätze zu „Immuno-Insulin Chips“ sind wohl in der klinischen Entwicklung, sie brauchen zwar immer noch eine gewisse Zeit (ca. 15 min) für eine Messung, diese könnten aber vor Ort durchgeführt werden.
Es gibt auch Ansätze, bei denen Glucose und Insulin gemeinsam auf einem Teststreifen gemessen werden, so wie auch andere Analyten, z.B. Cortison oder Ketonkörper. Der Redner stellte auch noch andere Messansätze für CIM vor, die auf der Verwendung von Antikörpern und dem kapillären Fluss von der Messflüssigkeit durch einen Teststreifen basieren.
Eine kontinuierliche Messung von Insulin verlangt sogenannte „Aptamer“-Rezeptoren, die eine reversible Messung eingehen: Das Insulin koppelt an, es erfolgt eine Messung, dann wird der Rezeptor wieder freigesetzt für eine erneute Messung, ohne dass es dafür einer Waschung des Messfeldes bedarf. Elektrochemische Aptamer-Biosensoren, die auch viele andere Analyten messen können, erfahren bei der Bindung eine Konfirmationsänderung, die zu einer Reduktion der Entfernung von der Oberfläche führt, auf der sie fixiert sind. Dies ändert den Stromfluss durch ein solches Messsystem im Verhältnis zu der Menge an gebundenem Analyten. Mit solchen Rezeptoren wurden bereits Sensorsysteme gebaut, bei denen Mikronadeln in die Haut von Ratten eingestochen und befriedigende Messergebnisse erreicht wurden – alle zwei Minuten ein neues Messergebnis!
Fazit: Solche Arrays von Mikronadeln werden auch von einer Firma in San Diego entwickelt, die damit im ersten Schritt Glucose messen will und aktuell mit den Zulassungsbehörden in Verhandlung ist. Dies ist auch eine Aussage dazu, wie weit solche neuen Chip-Ansätze für ein praktisch nutzbares Produkt für die CIM schon gediehen sind, auch wenn sie bei Insulin noch weit von der klinischen Anwendung entfernt sind.
Eine Zukunftsvision ist die Verwendung von Wearables, die diverse Parameter parallel (nahezu) nicht-invasiv bestimmen – wobei Glucose nur ein Parameter ist, neben vielen anderen Vitalparametern wie der Herzfrequenz, Atemfrequenz, Temperatur, Blutdruck, Sauerstoffgehalt, Schrittfrequenz etc. sowie anderen biochemischen Parametern. Solche Sensor-Systeme würden auch AID-Systemen wesentlich mehr an Input-Parametern liefern als nur Glucose, was eine individualisierte und optimierte Anpassung der Insulinzufuhr für die aktuelle Situation des Nutzers ermöglichen würde.
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