Bei der Behandlung von Diabetes-Patienten ist bekanntlich eine präzise Dosierung von Insulin entscheidend, weil es bei „Dosierungsfehlern“ sowohl zu Hyperglykämien als auch Hypoglykämien kommen kann, wobei insbesondere die Hypoglykämien lebensbedrohlich sein können. AID-Systeme mit automatisierter Insulindosierung gewinnen immer mehr an Bedeutung, sie basieren auf einer Kombination aus CGM-Systemen und Insulinzufuhr, sowie einem Algorithmus, der die Insulindosierung steuert. Eine vielversprechende Klasse dieser Algorithmen basiert auf neuronalen Netzwerken und wir wollen die Rolle solcher neuronalen Netzwerke in AID-Systemen und deren Potenzial zur Verbesserung der Therapie von Diabetes mellitus kurz vorstellen.
Die traditionelle Insulintherapie beruht auf der manuellen Berechnung der Insulindosis anhand von Faktoren wie dem aktuellen Blutglukosewert, der mit der Nahrung zugeführten Kohlenhydratmenge und dem körperlichen Aktivitätsniveau. Der Mensch mit Diabetes muss also rechnen. Algorithmen hingegen ermöglichen die Insulindosen automatisiert und in Echtzeit anzupassen. Zwei der am weitesten verbreiteten Algorithmen sind:
- Proportional-Integral-Derivative (PID)-Controller: Dieser Ansatz verwendet mathematische Modelle zur Anpassung der Insulindosierung basierend auf der Abweichung der Blutglukose vom Sollwert.
- Model Predictive Control (MPC): MPC-basierte Systeme prognostizieren den zukünftigen Blutglukoseverlauf und passen die Insulinzufuhr entsprechend an.
Obwohl beide Methoden in der Praxis gute Ergebnisse liefern, stoßen sie bei komplexeren und weniger vorhersehbaren Verläufen, z.B. verursacht durch Stress, Krankheit oder unvorhersehbare Nahrungsaufnahme, an ihre Grenzen. Hier setzen die neuronalen Netzwerkalgorithmen an. Sie gehören zur Familie der Algorithmen des maschinellen Lernens und sind darauf ausgelegt, Muster in großen und komplexen Datensätzen zu erkennen. Bei AID-Systemen sind sie besonders geeignet, weil sie aus historischen Daten lernen und dadurch hochkomplexe Beziehungen zwischen variablen Faktoren wie Nahrungsaufnahme, körperlicher Aktivität und Glukoseschwankungen erfassen können.
Ein neuronales Netzwerk besteht aus mehreren Schichten von künstlichen Neuronen, die miteinander verbunden sind. Die wichtigsten Typen neuronaler Netzwerke, die für automatische Insulindosierungssysteme relevant sind, umfassen:
- Feedforward Neural Networks (FNN): Diese Netzwerke bestehen aus mehreren Schichten (Eingabe-, versteckte und Ausgabeschicht), durch die Informationen in eine Richtung fließen. Sie eignen sich gut für die Vorhersage von Glukosewerten basierend auf einer festen Menge von Eingabeparametern.
- Recurrent Neural Networks (RNN): Diese Netzwerke sind darauf ausgelegt, zeitliche Abhängigkeiten in Daten zu modellieren. Sie können sich frühere Glukosespiegel merken und sind daher in der Lage, kontinuierliche Glukoseverläufe besser zu interpretieren.
- Long Short-Term Memory (LSTM): Eine spezielle Form von RNNs, die besonders gut darin ist, Langzeitabhängigkeiten in den Daten zu lernen. LSTM-Netzwerke haben sich als besonders nützlich für die Vorhersage des Glukoseverlaufs erwiesen.
Die Integration neuronaler Netzwerke in AID-Systeme erfolgt in mehreren Schritten. Die Grundlage für die Ausbildung neuronaler Netzwerke sind Daten aus CGM-Systemen, sowie zusätzliche Parameter wie Mahlzeiten, Insulindosen, körperliche Aktivität und andere relevante Faktoren. Da diese Daten oft verrauscht und unvollständig sind, ist eine sorgfältige Vorverarbeitung entscheidend, um die Trainingsqualität zu gewährleisten.
Neuronale Netzwerke müssen anhand historischer Daten trainiert werden. Hierbei wird ein Modell entwickelt, das den Glukoseverlauf basierend auf den Eingabedaten vorhersagt. Durch kontinuierliches Lernen passt das Netzwerk seine internen Parameter an, um eine möglichst genaue Vorhersage zu liefern. In der Praxis wird oft eine Kombination aus Feedforward- und Recurrent-Neural-Network-Modellen verwendet.
Nach dem Training muss das neuronale Netzwerk validiert werden, um sicherzustellen, dass es robust gegenüber neuen, nicht im Trainingssatz enthaltenen Daten ist. Dies geschieht durch die Anwendung des Modells auf Testdatensätze und die Überprüfung der Vorhersagegenauigkeit. Nach erfolgreicher Validierung wird das neuronale Netzwerk in das Insulindosierungssystem integriert. Es erhält Echtzeitdaten von CGM-Sensoren und anderen Eingaben und berechnet daraufhin die optimale Insulindosis. Der Vorteil neuronaler Netzwerke liegt darin, dass sie in der Lage sind, sich an unvorhergesehene Änderungen, wie z. B. plötzliche Glukosespitzen nach Mahlzeiten oder körperlicher Aktivität, anzupassen.
Trotz des Potenzials neuronaler Netzwerke gibt es Herausforderungen, die bei der Implementierung in AID-Systemen zu beachten sind. Dazu gehören in erster Linie Datensicherheit und Datenschutz. Weil neuronale Netzwerke auf großen Mengen personenbezogener Daten basieren, ist der Schutz dieser Daten von entscheidender Bedeutung.
Auch der Rechenaufwand ist erheblich, denn neuronale Netzwerke können insbesondere in der Echtzeit-Anwendung sehr rechenintensiv sein. Effiziente Algorithmen und Hardware sind also notwendig, um die Systeme in tragbaren Insulinpumpen zu implementieren. Außerdem muss ein neuronales Netzwerk nicht nur auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasst sein, sondern auch robust gegenüber Änderungen im Lebensstil oder externen Faktoren wie Stress oder Krankheit reagieren können.
In Zukunft könnte die Kombination von neuronalen Netzwerken mit anderen maschinellen Lernverfahren, wie dem Reinforcement Learning, weitere Fortschritte ermöglichen. Dies könnte eine noch präzisere Anpassung der Insulindosis und eine personalisierte Behandlung von Menschen mit Diabetes mellitus unterstützen.
Fazit: Neuronale Netzwerke haben das Potenzial, die automatische Insulindosierung bei der Diabetes-Behandlung signifikant zu verbessern. Ihre Fähigkeit, aus großen und komplexen Datenmengen zu lernen und zeitliche Abhängigkeiten zu modellieren, macht sie zu einer idealen Technologie für die Glukosevorhersage und Insulinsteuerung. Trotz bestehender Herausforderungen wie Rechenaufwand und Datensicherheit eröffnen sie neue Perspektiven für eine personalisierte und effektivere Diabetesbehandlung.
diatec weekly – September 20, 24
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