Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Freimut Schliess
Die pan-europäische CLOSE Initiative hat sich das Ziel gesetzt, ein Portfolio an AID Lösungen für Typ-2 Diabetes zu erstellen, welches die Diversität der Patient:innen im Hinblick auf Komorbiditäten, Gebrechlichkeit, Mobilität und Lebensumfeld abbildet. CLOSE steht für Automated Glucose Control at Home for People with Chronic Disease. Die Initiative wurde durch den Homecare-Dienstleister Air Liquide Healthcare und das Profil Institut für Stoffwechselforschung ins Leben gerufen.
Das CLOSE Projekt verfolgt einen ganzheitlichen Entwicklungsansatz, der neben Technologieanpassung von vorneherein auch das Management von Interessengruppen und damit Themen wie Evidenzgewinnung, Schulungsbedarf, Kostenerstattung und Geschäftsmodelle verfolgt. Entsprechend integriert das CLOSE Konsortium Kompetenzen in den Bereichen Medizintechnik, klinische Prüfung, Zulassung, Diabetesversorgung, und Gesundheitsökonomie. Diese Kompetenzen werden durch zwei globale Gesundheitskonzerne, ein klinisches Auftragsforschungsinstitut, eine Wirtschaftshochschule, zwei Universitätskliniken, sowie ein auf Qualitätssicherung im Gesundheitswesen spezialisiertes Institut eingebracht. CLOSE ist Teil des von der öffentlich-privaten Partnerschaft EIT Health kuratierten Innovationsportfolios und konnte eine Kofinanzierung durch die Europäische Union einwerben.
Gemeinsam mit Diabetolog:innen und Patient:innen hat CLOSE eine Reihe von klinisch relevanten Szenarien für die Nutzung von AID bei Typ 2-Diabetes aufgezeigt. AID Systeme könnten den frühzeitigen Einstieg in die Insulintherapie erleichtern und somit die Manifestation von Komplikationen verzögern. Eine erhebliche Entlastung von Patient:innen, pflegenden Angehörigen, und ambulanten Dienstleistern wird in der Versorgung älterer Personen mit fortgeschrittenem Typ 2-Diabetes und Begleiterkrankungen für möglich gehalten. In dieser Gruppe könnten AID Systeme extreme, oft unerkannt bleibende Auslenkungen der Blutzuckerkonzentration verhindern. Die häufig beobachtete Abwärtsspirale aus Gebrechlichkeit und Gesundheitsverlust bis hin zu Unselbstständigkeit und Multimorbidität könnte so ausgebremst werden. In der Folge könnten vermeidbare Krankenhausaufenthalte, einer der stärksten Kostentreiber bei Typ 2-Diabetes, reduziert werden. Tatsächlich hat das Fraunhofer Institut für Internationales Management und Wissensökonomie (IMW) kürzlich im Zuge einer Post-Funding Evaluation des CLOSE Projekts modelliert, dass AID alleine für die Gruppe der Typ 2-Diabetespatient:innen mit mikro- und makrovaskulären Komplikationen jährlich bis zu 3,9 Mrd € (Europa) bzw. 640 Mio € (Deutschland) Kosten für Krankenhausaufenthalte einsparen könnte.
Was sind die Besonderheiten von CLOSE?
- Co-creation: Zusammen mit Patient:innen, Diabetolog:innen, Homecare-Dienstleistenden und Krankenversicherern entwickelt CLOSE die AID Nutzung zunächst für schwerer erkrankte Menschen mit Typ 2-Diabetes, welche auf eine häusliche Gesundheitsversorgung angewiesen sind. CLOSE hat hierfür besonders attraktive Voraussetzungen in Frankreich vorgefunden: Dort ist eine durch Krankenkassen finanzierte Nutzung von Diabetestechologie bei Typ 2-Diabetes bereits relativ breit etabliert. Französische Homecare-Dienstleister verfügen über voll integrierte Versorgungsplattformen, welche das Eingehen von AID Entwicklungspartnerschaften an der Schnittstelle zwischen Patient:innen, Gesundheitspersonal, Verschreibenden und Versicherern erleichtern. Ausgehend vom französischen Modell will CLOSE die AID Nutzung bei Typ 2-Diabetes auf weitere Regionen und Patient:innengruppen auszuweiten.
- CLOSE stellt AID Systeme in das Zentrum von Produkt- und Dienstleistungspaketen, welche eine effektive Nutzung des jeweiligen AID Systems durch zielgruppengerechte Trainings sowie bedarfsgerechte Hausbesuche oder telemedizinische Konsultationen erleichtern sollen. Spezifisch entwickelte Ergebnisprädiktoren sollen die Versorgenden dabei unterstützen, Erkrankte zu identifizieren, die am meisten von einer (halb)automatischen Insulindosierung profitieren könnten. Leistungsindikatoren sollen den Einfluss von AID Systemen auf die Qualität und Effizienz der Versorgung messbar machen. Dies ist relevant im Hinblick auf die Kostenerstattung im Rahmen einer wertorientierten Gesundheitsversorgung (value-based healthcare).
- Bei der technologischen Konzeption verfolgt CLOSE einen Top-down Ansatz, der auch eine Design-to-cost Analyse beinhaltet. Der Einfluss von AID Designoptionen auf Herstellungs- und Erhaltungskosten, Time-to-market, Weiterentwicklungspotenzial und Nutzerzufriedenheit wird konsequent geprüft. CLOSE arbeitet weltweit mit Best-in-class Entwicklern digitaler Diabetestechnologien zusammen.
Gegenwärtig evaluiert das CLOSE Konsortium ein erstes AID System für homecare-pflichtige Erkrankte mit Typ 2-Diabetes in einer randomisiert kontrollierten, real-world klinischen Studie, die an zehn Zentren in Frankreich durchgeführt wird (ClinicalTrials.gov, NCT04233229). Neben der Qualität der Blutzuckerkontrolle werden auch ökonomisch relevante und von Patient:innen berichtete Ergebnisse (patient-reported outcomes) erfasst. Darüber hinaus adressiert die Studie Endpunkte, welche die Effizienz der Versorgungsprozesse und die Zufriedenheit des Gesundheitspersonals widerspiegeln.
Fazit: CLOSE verfolgt einen subgruppenspezifischen Ansatz der partizipativen Entwicklung und Implementierung rasch adaptierbarer AID Systeme. Als zentrale Bestandteile von Produkt- und Dienstleistungspaketen könnten diese eine kosteneffiziente Verbesserung der Versorgung insulinpflichtiger Personen mit Typ 2-Diabetes gewährleisten. Heute entwickelte AID Systeme sind Übergangstechnologien hin zu vollumfänglich integrierten Multisensorsystemen. Die Vision ist, eine Vielzahl alltäglich erhobener Daten, gestützt durch künstliche Intelligenz, für eine personalisierte Steuerung von (Pharmako-)Therapien nutzbar machen. In Anbetracht zunehmend anspruchsvoller Regulatorik bei kürzer werdenden Lebens- und Entwicklungszyklen von Medizinprodukten können pan-europäisch kuratierte Initiativen wie CLOSE durch die kollaborative Verzahnung von Schlüsselkompetenzen die Agilität entwickeln, die es braucht, um neueste Therapieoptionen für Menschen mit chronischen Erkrankungen und den sie versorgenden Teams rasch und evidenzbasiert zugänglich zu machen.
Prof. Dr. Freimut Schliess
Referenzen
CLOSE Konzept: J. Diabetes Sci. Technol. 13(2):261-267, 2019
Fraunhofer IMW Post-funding Evaluation
DiaTec weekly – Januar 14, 22
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