Ein Gastbeitrag von Dr. med. Jonas Laaser, Hamburg
“Kommt ein Mensch mit AID in eine Notaufnahme…” Für die meisten Menschen klingt das wie der Anfang eines Witzes, für diejenigen, die diabetologisch tätig sind, löst dieser Satz allerdings häufig ein beklemmendes Gefühl aus. Denn auf diesen Satzbeginn folgt keine humorvolle Pointe, sondern die traurige Realität, dass es in Kliniken immer noch dazu kommt, dass jegliche „Fremdkörper”, wie eben ein AID-System, welches ein Mensch mit Diabetes am Körper trägt, gerade in Akutsituationen erstmal abgenommen wird – manchmal auch ohne jeglichen äußeren Druck. Woran liegt es, dass Menschen mit Diabetes so essenzielle Bestandteile der Therapie einfach weggenommen werden?
Nach knapp vierjähriger Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin und Endokrinologie und trotz meines jahrelangem Engagements in der AG Nachwuchs der DDG sowie meiner aktuellen Tätigkeit in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis, muss ich zugeben: Auch ich weiß noch viel zu wenig über Diabetestechnologie. Woran liegt es, dass die offensichtliche Zukunft unseres Faches noch so wenig Einzug in die Ausbildung der zukünftigen BehandlerInnen hält?
Die Diabetologie ist insgesamt absolut unterrepräsentiert im Studium der Humanmedizin. Wenn man im gesamten Studium im Schnitt vier (!) Stunden Unterricht mit diesem Schwerpunkt erfährt, können Sie sich vorstellen, wie viel Platz hier die Diabetes-Technologie einnimmt. Natürlich ist das ein absolutes Armutszeugnis für ein Krankheitsbild, welches den klinischen Alltag nicht nur in der hausärztlichen Praxis, auf der internistischen Station, sondern in allen Fachrichtungen gleichermaßen prägt.
Dass die Zahl der diabetologischen Lehrstühle an den Universitäten in Deutschland in den letzten Jahrzehnten rückläufig ist und somit die diabetologische Forschung nur noch vereinzelt an wenigen Hochschulen stattfindet, hilft der Ausbildung der Medizinstudierenden und der allgemeinen Präsenz des Faches natürlich überhaupt nicht. Andere Fächer wie die Kardiologie oder Onkologie nehmen deutlich mehr Raum in der Ausbildung ein und bieten somit auch mehr Möglichkeiten für das Entfachen einer Begeisterung und Interesse bei den Studenten.
Aber auch wenn man den endokrinologisch-diabetologischen Ausbildungsweg einschlägt, ist das Erlernen der Diabetestechnologie nicht vorprogrammiert. In fast vier Jahren universitärer Ausbildung habe ich eine Pumpeneinstellung bei einem Menschen mit Diabetes begleitet – was bedeutete, dass ich die Visiteneinträge sowie den Brief geschrieben habe und den pädiatrischen DiabetesberaterInnen viele Fragen zu der Prozedur stellen konnte. Im Konsil-Dienst und auf Station bestand die Möglichkeit zur Einsicht von aktuellen CGM-Daten über das Handy oder das Auslesegerät der PatientInnen. Das Ansehen eines vollständiges AGP-Profils, z.B. über das Krankenhausinformationssystem (KIS) war in der Regel nicht verfügbar.
Aufgrund des Frustes in Bezug auf diese strukturelle Problematik war ich sehr froh, auf die diesjährige diatec eingeladen worden zu sein, um meine bisherigen Eindrücke in der ärztlichen Ausbildung in einem Workshop darstellen zu können. Es auszusprechen hilft aber natürlich nur kurzfristig und man engagiert sich schließlich in der (Berufs)-Politik mit dem Ziel, die Bedingungen für die aktuelle und die nächsten Generationen von MedizinerInnen zu verbessern. Wir diskutierten im Workshop über den Status Quo, aber vor allem über Möglichkeiten, diesen zum Besseren zu ändern.
Was muss im Studium Humanmedizin in Bezug auf Diabetestechnologie gelehrt werden?
Das Studium sollte als Minimalziel die (zeitkritischen) Notfälle aller Fächer vermitteln. Die technischen Messprinzipien und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Anbietern bei den CGM- und AID-Systemen müssen sicherlich nicht via “multiple choice” abgefragt werden. Es sollte aber vermittelt werden, was der Unterschied zwischen Blut- und Gewebezucker ist, welche technologischen Prinzipien verfügbar ist und wie diese zur Feststellung von akuten Notfällen (Hypo-/Hyperglykämien) beitragen. Die Technik entwickelt sich aktuell so rasant weiter, dass wir uns nicht sicher sein können, dass diese auch in fünf Jahren noch relevant sein wird, wenn wir sie heute lehren.
Was ist Wunsch und was ist Wirklichkeit in Bezug auf Diabetestechnologie in den Kliniken?
In Akutkliniken wird häufig – im Rahmen von Infekten oder OPs zum Beispiel – die orale antidiabetische Therapie pausiert und es muss teilweise vorübergehend auf eine ICT eskaliert werden. Eine ICT ist, wie wir alle wissen, deutlich effizienter mittels CGM zu steuern. Aber sind wir mal ehrlich – man kann schon froh sein, wenn wirklich ans Pausieren von Metformin und SGLT2-Inhibitoren gedacht wird. Natürlich wäre es ein großer Fortschritt, sollte gemäß des Essener Vorzeige-Projekts von Prof. Dr. Susanne Reger-Tan jeder Mensch mit Diabetes in einer Klinik für den Aufenthalt mit einem CGM versorgt werden. Die Realität ist allerdings noch so, dass oft absolute Basics fehlen – unabhängig von der Fachrichtung und dem Ausbildungsstand.
Wie kann im Rahmen der Ausbildung zum DiabetologInnen DDG die Ausbildung bezüglich der Diabetestechnologie verbessert werden?
Die zweiwöchigen Kurse bieten einen ersten – und guten – Einstieg ins Thema, die Fortbildungsangebote der AGDT und von diatec ergänzen diesen, erscheinen aber teilweise zu oberflächlich und manchmal nicht praktisch genug. AssistenzärztInnen sind in der Lebensphase, in der sie die Diabetologie erlernen, möglicherweise vielfach in der Familiengründungsphase – somit sollte für das digitale Thema auch ein digitales, zeitlich und örtlich flexibles Lernen ermöglicht werden. Eine Traumvorstellung ist natürlich ein individuelles Mentoring und ein Lernen in Kleingruppen, welche einen guten Austausch ermöglichen. Leider kann man manchmal nicht alles haben.
Kann die DDG dies langfristig anbieten oder sind wir hier weiterhin auf die Industrie angewiesen? Als Nachwuchs würde ich mir wünschen, dass erfahrene ExpertInnen hier die nächste Generation aktiv unterstützen.
Wie können die Probleme akut gelöst werden?
Das Erlernen des Umgangs mit Diabetestechnologie als Arzt oder Ärztin in Weiterbildung beruht momentan noch primär auf Eigeninitiative und Kontakten mit der Industrie. Eine Idee im Workshop war es, an den Universitäten Kurse für Diabetestechnologie anzubieten, um Interesse an der Mustererkennung, der Logik und der Technologie dahinter zu wecken. Als AG Nachwuchs der DDG gehen wir mit “Students Diabetes Days” mehrfach pro Jahr an verschiedene Unis und bieten solche Kurse an, bei denen wir auch an CGMs und Pumpen heranführen wollen. Aus zeitlichen, personellen und finanziellen Gründen können wir solch ein Angebot aber nicht flächendeckend realisieren.
Dass die universitäre Lehre das Thema Diabetes mellitus nicht adäquat abdeckt, muss kurzfristig geändert werden! Mittel- bis langfristig muss die Anzahl der Lehrstühle an Universitäten wieder gesteigert werden. Daran arbeiten wir bereits mit dem Vorstand der DDG intensiv. Aber was kann die aktuelle Generation an DiabetologInnen dazu beitragen, um die dargestellte Problematik aufzufangen? Natürlich ist mir bewusst, dass die Führung einer Schwerpunktpraxis oder einer diabetologischen Klinik neben dem privaten Alltag nicht besonders viel Zeit für andere (unbezahlte) Tätigkeiten lässt. Um große und kleine Projekte zur Verbesserung der diabetologischen Lehr- und somit später Versorgungssituation umzusetzen, brauchen wir so viel Unterstützung wie nur möglich. Bitte engagieren Sie sich in Ihren lokalen Berufsverbänden, direkt bei der DDG oder in Eigeninitiative.
Ich glaube vor allem, dass die Ausbildung der nächsten Generationen durch Studierendenunterricht sowie der hochqualitativen Betreuung von FamulantInnen und PJler-Innen unumgänglich ist. Bitte laden Sie die nächste Generation aktiv zum Lernen zu sich ein, entfachen Sie die Begeisterung für unser tolles Fach und vermitteln Sie Grundkenntnisse!
Wenn sich jemand entscheiden sollte, selbst diabetologisch tätig sein zu wollen, sichern Sie vielleicht Ihre eigene Versorgung und/oder Ihre Praxisnachfolge. Wenn dies nicht klappen sollte, so wissen Sie doch, dass es ein paar weniger Personen mit Respekt (oder sogar Angst) vor Diabetestechnologie geben wird. Dies führt hoffentlich dazu, dass Insulinpumpen sowie CGM-Systeme unseren Patient*innen in Zukunft hoffentlich gar nicht mehr, aber zumindest seltener, in Akutsituationen vom Körper gerissen werden.
Wenn nach “Kommt ein Mensch mit einem AID in die Notaufnahme…” der Satz so fortgeführt wird: “wird dieser adäquat auf hohem Niveau interprofessionell betreut” folgt, können wir zufriedener sein.
Fazit: Gerne würde ich mit Ihnen die nächsten Jahre die Kniffe der Diabetestechnologie erlernen und freue mich, meinen Weg dahin in einer kleinen Kolumne im Diabetes Forum mit Ihnen zu teilen. Wenn Sie noch Tipps haben, wie ich ein absoluter Profi für CGMs, Pumpen, AID und Co werden kann, freue ich mich, wenn Sie sich per Email mit mir austauschen unter jonas_laaser@hotmail.de.
Dieser Artikel erscheint als Teil des wöchentlichen Letters zu hochaktuellen Entwicklungen im Bereich Diabetes Technologie. Nutzen Sie das nebenstehende Formular um sich für den diatec weekly Newsletter anzumelden!
Mit freundlichen Grüßen