Wut – ein unverstandenes Gefühl

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eine der intensivsten und gleichzeitig am meisten missverstandenen Emotionen des Menschen ist die Wut, denn sie wird als negativ wahrgenommen, als etwas, das zerstört und deshalb unterdrückt oder kontrolliert werden muss. Wir können wutentbrannt sein, vor Wut schäumen oder vor lauter Wut außer uns sein. Wutanfälle führen zu einem Verlust der normalen Selbstbeherrschung, aber manchmal muss man einfach mal „Dampf ablassen“ wie ein Kessel, der gerade überkocht.

Wut mehr als nur ein zerstörerisches Gefühl, sondern ein Signal dafür, dass Grenzen überschritten wurden, dass Ungerechtigkeit herrscht oder dass wir etwas an unserer Situation ändern müssen. Wut kann sich auf unterschiedliche Weisen zeigen, sie kann sich mit einem plötzlichen Wutanfall entladen, wenn Worte oder Handlungen entgleisen. Sie kann kalt sein und grausam, aber auch still und leise vor sich hinbrodeln und im Verborgenen vergiften, was langfristig zu Stress, Depressionen und anderen psychischen oder physischen Beschwerden führt.

Wenn wir uns die Wut einmal sinnbildlich versuchen vorzustellen, dann vielleicht am ehesten als Flusen. Wutflusen, die wie Staubflusen aus den Ecken auf uns fliegen und sich auf Haut, Haare und Kleider setzen, sie gelangen in Augen, Nase und Mund und sind schließlich so viele, dass sie uns den Blick verstellen und die Orientierung nehmen. In einem Wutanfall können wir buchstäblich nicht mehr klarsehen und denken. Wir sagen Dinge, die wir so nicht meinen oder werfen mit Gegenständen herum. In einem übertragenen Sinn sind Wutflusen die kleinen, alltäglichen Ärgernisse, Verletzungen des Stolzes, Missverständnisse und unangenehme Erlebnisse – die zwar zunächst unscheinbar erscheinen, sich aber mit der Zeit zu einem immer größer werdenden Gefühl verdichten können und wenn sie sich lange genug ansammeln, können sie zu einem großen „Berg“ anwachsen.

Woher aber kommt die zurzeit so populäre Wut? Wir sehen in den Medien immer öfter Menschen, die eben noch friedlich demonstrieren und dann von jetzt auf gleich aggressiv werden und laut herumschreien. Die sozialen Netzwerke sind voll mit übergriffigen und extrem verletzenden Kommentaren zu größtenteils doch unbekannten Menschen und wer regelmäßig Auto fährt, erlebt die Straße zunehmend als Kriegsschauplatz.

Woher also kommt die Wut?

Gefühle der Ohnmacht, Stress und Frust sind Auslöser für die Wut. Wut auf Machtlosigkeit, auf Unsichtbarkeit. Es sind die vielen kleinen und wiederkehrenden Frustrationen im Alltag, die Einfluss auf unser emotionales Wohlbefinden haben und genau hier findet sich auch die Ursache für den so genannten „Wutbürger“, der erstmals im Zusammenhang mit dem Bahnprojekt „Stuttgart 21“ populär wurde, als viele Menschen gegen das geplante Bauprojekt protestierten. Wutbürger sind Menschen, die sich in der Öffentlichkeit lautstark und emotional gegen politische Entscheidungen, gesellschaftliche Entwicklungen oder Missstände auflehnen. Sie stehen für eine bestimmte Art von Protest gegen das politische System oder gesellschaftliche Veränderungen. Sie fühlen sich ignoriert und missverstanden, vertreten traditionelle und konservative Werte und stehen kritisch gegenüber Migration, Globalisierung und technologischem Wandel. Aber das Establishment kann auch von ihnen lernen, denn Wutbürger zeigen deutlich, dass zumindest ein Teil der Bevölkerung das Bedürfnis hat, gehört zu werden und dass herkömmliche Kanäle der politischen Teilhabe versagen.

Wut gilt in unserer Kultur als destruktiv, dabei hat sie enormes Potenzial zur positiven Veränderung. Wut kann uns antreiben, z.B. um Ungerechtigkeiten zu bekämpfen oder uns aus Situationen zu befreien, die uns schaden. Viele gesellschaftliche Veränderungen, von den Bürgerrechtsbewegungen bis hin zu Frauenrechten, wurden von kollektiver Wut über Missstände und Ungleichheit angetrieben. Wut kann deshalb auch eine Form von Macht sein, insbesondere wenn wir sie konstruktiv kanalisieren. Evolutionsbiologisch betrachtet war die Wut wichtig, um in gefährlichen Situationen durch Flucht oder Angriff zu reagieren.

Wut ist weder gut noch schlecht, sondern Teil unserer emotionalen Landschaft, die uns wichtige Botschaften über unsere Bedürfnisse und Grenzen übermittelt, deshalb geht es nicht darum, Wut zu unterdrücken oder zu glorifizieren, sondern sie zu verstehen und auf eine konstruktive Weise in unsere Gefühlslandschaft zu integrieren. Wenn wir lernen, unsere Wut anzuerkennen, zu respektieren und sie bewusst zu lenken, kann sie eine Quelle von Kraft, Motivation und Klarheit sein. Der Weg dazu führt über das Akzeptieren der Wut, die in uns ist und versuchen, sie zu verstehen: Was war der Auslöser? Kommt sie in bestimmten Situationen? Möglicherweise ist das etwas Altes, bekanntes, aus der Kindheit kommend? Das funktioniert natürlich nur dann, wenn sich die Wutflusen aufgelöst haben und man wieder klarsehen kann. Im nächsten Schritt kann man versuchen, einen Weg zu finden, seine Wut auszudrücken, ohne sich selbst zu schaden. Dabei helfen gute Gespräche mit Freunden oder körperliche Bewegung, aber auch Schreiben, z.B. ein Tagebuch. Und wir können lernen, loszulassen, denn nicht alles unterliegt unserer Kontrolle.

Wut kann uns also viel über uns selbst lehren, zeigt sie uns doch, was uns wirklich wichtig ist, wo unsere wunden Punkte liegen und welche Werte wir verteidigen wollen. Wenn wir lernen, unsere Wut bewusst zu reflektieren, anstatt sie impulsiv auszuleben, wird sie zu einem wertvollen Lehrer. Vielleicht schaffen wir es auch, die wütenden Menschen zu verstehen, die sich in unserer Gesellschaft so abgehängt fühlen.

Nach diesem kleinen Exkurs über die Wut in uns und bevor wir zu den Themen der Woche kommen, möchten wir Sie noch auf eine Studie aufmerksam machen, für die sowohl PatientInnen mit Typ-2-Diabetes als auch Behandlungseinrichtungen gesucht werden: Es geht um die Erprobung der glucura app, einer zugelassenen DiGA (digitale Gesundheitsanwendung), die im DiGA-Verzeichnis des BfArM gelistet ist [1,2]. Im Rahmen der Studie soll die App im häuslichen Setting getestet werden. Die Studie dauert 180 Tage und währenddessen tragen die TeilnehmerInnen einen Glucosesensor und – basierend auf den Glucoseprofilen – unterstützt die App die alltägliche Umsetzung der Nahrungsaufnahme durch personalisierten Ernährungsanpassungen sowie Ansätzen zur Lebensstilmodifikation.

Teilnehmen können Personen mit Typ-2-Diabetes, die nicht insulinpflichtig und seit mindestens drei Monaten im Disease-Management-Programm (DMP) eingeschrieben sind. Auch Einrichtungen der diabetologischen Versorgung sind eingeladen, als Studienzentrum an der Umsetzung der RCT mitzuwirken.

Als Patientin oder Patient können Sie mit dem Fragebogen auf der Studienseite herausfinden, ob Sie für die Teilnahme an der Studie geeignet sind. Für Einrichtungen, welche die RCT als Studienzentrum unterstützen möchten, steht Ihnen Prof. Dr. Freimut Schliess (Perfood GmbH, Senior Indication Lead Metabolic) über als Ansprechperson zur Verfügung.

[1] glucura ist im DiGA Verzeichnis des BfArM gelistet.
[2] Kannenberg, S., Voggel. J., Thieme. N., Witt. O., Pethahn. K.L., Schütt. M., Sina. C., Freckmann, G., Schröder, T. Unlocking Potential: Personalized Lifestyle Therapy for Type 2 Diabetes Through a Predictive Algorithm-Driven Digital Therapeutic. J. Diabetes. Sci. Technol. 2024, doi: 10.1177/19322968241266821, online ahead of print.

Nun zu den Themen der Woche: Können Flugreisen durch Höhenveränderungen die Insulinabgabe bei einer Pumpe beeinträchtigen? Eine Studie behauptet, veränderte Insulinabgaben nachzuweisen. Der zweite Beitrag dreht sich um das CGM-System Lingo von Abbott, das jetzt auf den US-Markt kommt und mit dem dritten Beitrag berichten wir Aktuelles von iLet von Beta Bionic, ein AID-System, das jetzt auch den Libre von Abbott einsetzt. Auf geht’s!

Können Flugreisen die Insulinabgabe aus einer Insulinpumpe bei Menschen mit Typ-1-Diabetes beeinträchtigen? Eine britische Studie, die beim diesjährigen EASD gezeigt wurde, lässt diese Annahme zu, denn sowohl während des Steig- als auch während des Sinkfluges gab die Pumpe erhöhte bzw. verringerte Insulinmengen ab:

Auswirkungen von Luftdruckänderungen auf die Insulinabgabe

Beim diesjährigen EASD wurde eine britische Studie präsentiert (Abstract 836 Fan et al. Simulated commercial flights and the effects of atmospheric pressure changes on insulin pump delivery), nach der die Druckänderungen während eines Fluges zu unbeabsichtigten Insulinabgaben führen können, damit die Glucosekontrolle von Patienten mit Typ-1-Diabetes beeinflussen und möglicherweise Hypoglykämien induzieren.

Nachdem das Lingo CGM-System von Abbott bislang ausschließlich in Großbritannien erhältlich war, ist es seit Juni 2024 auch in den USA zugelassen worden. Lingo muss nicht verordnet werden, sondern ist über eine Webseite erhältlich, so wie dies auch für das Stelo-System von Dexcom gilt. Ebenfalls vergleichbar wie bei Dexcom hat Abbott das Lingo-System von der Marke FreeStyle getrennt:

Lingo von Abbott kommt auf den US-Markt

Bei der Behandlung von Diabetes-Patienten ist bekanntlich eine präzise Dosierung von Insulin entscheidend, weil es bei „Dosierungsfehlern“ sowohl zu Hyperglykämien als auch Hypoglykämien kommen kann, wobei insbesondere die Hypoglykämien lebensbedrohlich sein können. AID-Systeme mit automatisierter Insulindosierung gewinnen immer mehr an Bedeutung, sie basieren auf einer Kombination aus CGM-Systemen und Insulinzufuhr, sowie einem Algorithmus, der die Insulindosierung steuert. Eine vielversprechende Klasse dieser Algorithmen basiert auf neuronalen Netzwerken und wir wollen die Rolle solcher neuronalen Netzwerke in AID-Systemen und deren Potenzial zur Verbesserung der Therapie von Diabetes mellitus kurz vorstellen.

Der kleine kalifornische Hersteller Beta Bionics ist ein Medizintechnik-Hersteller mit Sitz in Irvine bei Los Angelos. Das Produkt iLet Bionic Pancreas ist das erste von der FDA zugelassene autonome Insulinabgabegerät mit geschlossenem Kreislauf auf dem Markt und hat bislang mit den CGM-Systemen G6 und G7 von Dexcom gearbeitet. Nun nutzt Beta Bionic für das iLet-System auch:

Libre 3 Plus-CGM-System von Abbott

Der kleine US-Hersteller von AID-Systemen Beta Bionics gab jüngst bekannt, dass das FreeStyle Libre 3 Plus CGM-System von Abbott nun mit seinem iLet Bionic Pancreas genutzt werden kann. In Deutschland ist dieses AID-System noch nicht auf dem Markt.

Zum Schluss wie immer das Letzte

Wenn wir mal den aktuellen Zustand der KI-Branche mit der Metapher der Wutflusen vergleichen, sehen wir auch hier viele kleine und scheinbar unbedeutende Probleme, die sich aber anhäufen und zu größeren Problemen werden. Die KI-Branche entwickelt sich rasant und kommt voller Versprechen daher, aber auch voller Herausforderungen, die sich, wenn sie nicht angegangen werden, zu erheblichen Problemen entwickeln könnten, als da wären: Ethische Probleme wie verzerrte Datensätze, undurchsichtige Algorithmen und fragwürdige Datenschutzpraktiken, die isoliert betrachtet unbedeutend erscheinen mögen, aber in ihrer Kumulation zu größeren gesellschaftlichen Problemen wie Diskriminierung, Überwachung und Manipulation beitragen werden.

Regierungen und Institutionen haben jetzt schon Mühe, mit dem schnellen Tempo der KI-Entwicklung Schritt zu halten. Der Mangel an klaren Vorschriften mag wie ein nicht dringendes Problem erscheinen, aber mit der Zeit könnte der Mangel an Governance zum Missbrauch von KI-Technologien und sogar zu potenziellen Krisen führen. Hinzu kommen unterschwellige Bedenken darüber, dass Automatisierung und KI Arbeitsplätze verdrängen könnten. Noch ist die Situation nicht weit fortgeschritten, doch mit zunehmender Komplexität von KI-Systemen könnten sich diese kleinen Flusen zu größeren gesellschaftlichen Unruhen entwickeln.

Insgesamt gesehen ist die KI-Branche voller Versprechungen, die aber nicht immer der Realität entsprechen. Enttäuschungen über überbewertete Technologien häufen sich und auch die Unterrepräsentation von Frauen und Minderheiten in KI-Entwicklungsteams mag heute noch wie ein Nischenproblem erscheinen, könnte aber in Zukunft dazu führen, viele gesellschaftliche Gruppen zu benachteiligen.

Die KI-Anbieter kommen mit unerträglicher Arroganz und Entscheidungen daher, die auf Glauben basieren. Die etablierten Unternehmen, die sich selbst hoch einschätzen, Illusionen haben und Vorurteile hegen, glauben, sie hätten die wichtigste Technologie entwickelt, die je geschaffen wurde und drängen uns Produkte auf, nach denen eigentlich niemand gefragt hat – und sie haben bislang ein Investitionsvolumen von sagenhaften 600 Milliarden Dollar dafür ausgegeben. Diese Entschlossenheit wirkt geradezu unheimlich, denn die Unternehmen haben aktuell nur einen marginalen Return of Investment, beharren aber darauf, dass sie die größten Investitionen in der Geschichte des Kapitalismus begünstigen, die jedoch auf nichts anderem basieren als auf voreingenommenen Projektionen ihrer eigenen Überzeugungen.

Wenn wir also nicht schleunigst die vielen kleinen, ungelösten Probleme von heute angehen, werden wir morgen noch viel größere Probleme mit KI haben. Wie das genau gehen soll, wissen wir leider auch nicht, aber wir wissen, dass wieder Wochenende ist und dazu wünschen wir Ihnen entspannte Stunden.

Es grüßen herzlich,

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Mit freundlichen Grüßen